Eine Sekunde Gleichgewicht

Yves Tumor hat sich selbst übertroffen. Sein neues Album trägt tatsächlich den Titel »Praise a Lord Who Chews but Which Does Not Consume; (Or Simply, Hot Between Worlds)«, der längste und extravaganteste seiner Karriere. Früher klang auch die Musik von Sean Bowie, so sein bürgerlicher Name, ähnlich überspannt, doch von den Ambient-Collagen ist wenig übriggeblieben. Das mögen Fans der ersten Stunde bedauern, aber limitiert oder eingehegt klingt Tumors Musik immer noch nicht.

Bereits der Opener »God Is a Cir­cle« nimmt die Zuhörer:innen mit auf einen Höllenritt. Er beginnt mit einem schauderhaften Schrei, der aus einem Horror-B-Movie stammen könnte, gefolgt von energischem Atmen, das als Loop durch den Song geistert. Antreibende Drums und knirschende Gitarrenriffs legen sich darüber, während Tumor von einer erschöpfenden Beziehung berichtet. Ein Teufelskreis, der gleichermaßen den Atem raubt und am Leben hält. Von solch zerstörerischer Romantik erzählt das Album, lässt aber in Sätzen wie »Heaven is a place that we all have« immer eine hoffnungsvolle Luke ­offen.

Der vollendete Star, als der Yves Tumor sich präsentiert, hält sein Gleich­gewicht allerdings bloß mit den Kanten seiner Absätze und könnte jeden Moment fallen.

Mit Noah Goldstein war bei der Produktion jemand involviert, der zuletzt Pop-Highlights wie Rosalías »Motomami« oder FKA Twigs’ »Magdalene« produzierte. Gemeinsam gleiten Goldstein und Tumor spielerisch durch diverse Genres. Am exponiertesten sind die Bezüge zum Shoegaze. Nebenbei tauchen Samples von The Cure oder der sambischen Zamrock-Ikone Keith Mlevhu auf.

Tumor scheint sein musikalisches Hoch sehr zu genießen, wie sich schon auf dem Cover erkennen lässt. Dort trägt er ein zitronengelbes Toupet, dazu ein schillerndes Glam-Rock-Outfit. Der vollendete Star, als der er sich präsentiert, hält sein Gleich­gewicht allerdings bloß mit den Kanten seiner Absätze und könnte jeden Moment fallen. Diese Sekunde Gleichgewicht, der zeitweilige Himmel auf Erden, ist nur einen Schrei vom nächsten teuflischen Loop ­entfernt. Wer weiß, wie der klingt.

Yves Tumor: Praise a Lord Who Chews but Which Does Not Consume; (Or Simply, Hot Between Worlds) (Warp Records)