Aus dem Vorwort zur Neuauflage von »Der Berliner Antisemitismusstreit«

»Prozeß gegen die deutsche Geschichte«

1879 stellte der Historiker Heinrich von Treitschke die Zugehörigkeit der Juden zur deutschen Nation in Frage. Sein Artikel löste eine heftige Kontroverse aus, die der Publizist Walter Boehlich in der 1965 unter dem Titel »Der Berliner Antisemitismusstreit« veröffentlichten Anthologie dokumentierte. Die Quellensammlung erscheint nun in einer Neuausgabe.
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Mit der Bezeichnung »Berliner Antisemitismusstreit« wurden und ­werden – ohne dass die Angabe einer Jahreszahl nötig wäre – Ort und Zeit eines Schlüsselereignisses der deutschen und jüdischen Geschichte auf den Begriff gebracht: der publizistische Angriff auf die Juden im November 1879 durch Heinrich von Treitschke, den berühmten Historiker und Nachfolger Leopold von Rankes an der Berliner Universität. In seinem in den Preußischen Jahrbüchern erschienenen Aufsatz »Unsere Aussichten« machte er zwischen »abend­ländischem und semitischem Wesen« eine unhintergehbare »Kluft« aus und polemisierte gegen »deutsch-jüdische Mischcultur«. Nicht nur prangerte Treitschke dabei das vermeintliche »Uebergewicht des Judenthums in der Tagespresse« an; er erklärte insbesondere die jüdische Einwanderung nach Berlin, die seinerzeit vor allem aus der preußischen Provinz Posen erfolgte, zu einer nationalen Gefahr, weil, so seine vielzitierte Formel, »deren Kinder und Kindes­kinder dereinst Deutschlands Börsen und Zeitungen beherrschen« würden. Dieser Essay trug vor allem auch die antisemitische Hassparole »Die Juden sind unser Unglück!« in die Öffentlichkeit, die sofort – und bis ins 20. Jahrhundert hinein – zum neuen Slogan der antisemitischen Bewegung wurde.

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