Die IG Metall geht mit der Forderung nach der Viertagewoche in der Stahlindustrie in die Offensive

Mehr Bock auf weniger Arbeit

Kämpfe um radikale Arbeitszeitverkürzung müssen endlich mit solchen um Klimaschutz und um Vergesellschaftung zentraler Ressourcen verbunden werden.
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Kurz vor Ostern überraschte die Gewerkschaft IG Metall mit der Forderung nach Arbeitszeitverkürzung. Eine Viertagewoche mit 32 Wochenstunden bei vollem Lohnausgleich – mit dieser Forderung will die Gewerkschaft in die Ende 2023 anstehende Tarifrunde in der nordwestdeutschen Stahlindustrie gehen. Ihr Vorsitzender Jörg Hofmann erwartet gar eine gesamtgesellschaftliche Wirkung: Die Stahlindustrie sei schon oft Vorreiter für fortschrittliche Regelungen gewesen. Insofern habe diese Forderung eine »grundsätzliche Ausstrahlung über die Stahlbranche hinaus«.

Mit Recht verweist die IG Metall auf die intensiver werdende Debatte über Arbeitszeitverkürzungen. Laut einer Forsa-Umfrage aus dem vergangenen Jahr wünschen sich 70 Prozent der Beschäftigten in Deutschland eine Viertagewoche.

Die Ankündigung der Gewerkschaft kommt zur richtigen Zeit, sie setzt einen Kontrapunkt zu den belehrenden und anmaßenden ­Tönen von Politikern und Arbeitgebern. Erst im Februar ermahnte Andrea Nahles, ehemalige SPD-Vorsitzende und heutige Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, junge Menschen mit erhobenem Zeigefinger: »Arbeiten ist kein Ponyhof.« Und Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände, forderte längere Arbeitszeiten und »mehr Bock auf Arbeit«. Arrogante Ansprüche, die meilenweit entfernt sind von dem, was immer mehr Menschen bewegt, die aus guten Gründen eben keinen Bock haben.

Prinzipiell ist es zu begrüßen, dass Gewerkschaften die Arbeitszeitverkürzung zum Thema machen. Doch so offensiv, wie es nötig wäre, ist die IG Metall dann doch nicht.

Die Arbeitgeber reagierten alarmiert. Mit Blick auf die Tarifrunde im Herbst kommenden Jahres wiesen die Metall- und Elektrounternehmen im Südwesten schon mal vorsorglich solche Forderungen zurück. Die Viertagewoche gehe in die falsche Richtung, teilte der Hauptgeschäftsführer von Südwestmetall, Oliver Barta, der Stuttgarter Zeitung mit. Infolge des Fachkräftemangels wüssten viele Unternehmen kaum noch, wie sie ihr Geschäft erledigen sollen. »Generell weniger zu arbeiten«, wäre demnach »kein Beitrag zu einer ­Lösung«, so Barta.

Prinzipiell ist es zu begrüßen, dass Gewerkschaften die Arbeitszeitverkürzung zum Thema machen. Doch so offensiv, wie es nötig wäre, ist die IG Metall dann doch nicht. Zwar verweist sie auch auf »Lebensqualität und Gesundheit«, begründet ihre Forderung aber vor allem mit der Sicherung von Arbeitsplätzen und einer erhöhten Produktivität, mit der sie glaubt, Arbeitgeber ködern zu können.

Das unterscheidet sie nicht von vielen anderen Befürwortern der Viertagewoche. Selbst der Co-Vorsitzende der Linkspartei, Martin Schirdewan, stößt ins selbe Horn. Erfahrungen aus Schweden, Island oder Belgien würden bereits zeigen, dass die Viertagewoche die ­Arbeitsbelastung senke und die Produktivität erhöhe, so seine Argumentation.

Doch das unreflektierte Beschwören erhöhter Produktivität versäumt es nicht nur, die zerstörerische Megamaschine aus maximalem Profit und ewigem Wachstum zu kritisieren, die die Beschäftigten jeden Tag mit ihrer Arbeit am Laufen halten. Es tut sogar so, als könne deren rasendes Tempo ohne negative Folgen noch weiter gesteigert werden. Mit permanent steigender Produktivität immer noch mehr schädliche und überflüssige Betonbauten, Containerschiffe, Flugzeuge und Autos zu bauen, führt in die Klimakatastrophe.

Produktivität wäre vernünftigerweise kein unhinterfragbares Prinzip, dem sich fraglos zu unterwerfen ist, sondern von Fall zu Fall gesellschaftlich auszuhandeln: Was soll produziert werden und was nicht? Das aber setzte die Abkehr von der kapitalistischen ­Wirtschaftsweise voraus. Dass diese in den Gewerkschaften bis dato kaum kritisiert wird, hat allerdings einen handfesten Grund. Das Problem ist, dass die ganze Gesellschaft und eben auch die Arbeitsplätze der Gewerkschaftsmitglieder von der kapitalistischen Wirtschaft abhängen: die Profite, die Arbeitsplätze, die Steuereinnahmen.

Doch die Gleichsetzung von sicherem Leben mit sicheren Arbeitsplätzen ist das entscheidende Hindernis auf dem Weg in eine bessere Zukunft. Es wäre daran gelegen, Kämpfe um radikale Arbeitszeitverkürzung mit solchen um Klimaschutz und um Vergesellschaftung zentraler Ressourcen zu verbinden.