Tristan Brusch klingt auf seiner neuen Platte einmal mehr nach Hildegard Knef

»Wenn es keine Ambivalenzen gibt, dann macht es mich depressiv«

Schlager, aber mittlerweile ganz unironisch: Tristan Brusch hat kürzlich sein neues Album »Am Wahn« veröffentlicht. Es erinnert ein wenig an Hildegard Knef, ein wenig an Tom Waits – und klingt so gut wie keine vorherige Platte des Musikers.

Es gibt Aspekte im gegenwärtigen Musikgeschäft, an die man als Mu­siker nicht allzu viele Gedanken ­verschwenden sollte, will man in Zukunft den kreativen Antrieb nicht gänzlich stilllegen. Die Verhältnis zwischen der Arbeit, die man in ein Album steckt, und dem Geld, das man damit am Ende verdient, ist so ein Aspekt, den auch Tristan Brusch lieber ausklammert.

»Eigentlich ist es komplett hirnrissig, heute noch mit so viel Aufwand ein Album aufzunehmen«, resümiert er im Gespräch mit der Jungle World mit Blick auf die Produktion von »Am Wahn«, seinem neuen Album. Zu niedrig sind die Klickzahlen auf den gängigen Streamingportalen – von Plattenverkäufen ganz zu schweigen. Brusch sagt das insbesondere mit Blick auf den Beginn seiner Musiklaufbahn, als er seine Alben noch innerhalb weniger Tage und Nächte im Schlafzimmer seiner damaligen WG aufnahm.

Diese Lo-Fi-Arbeitsweise ist wohl auch der Grund, warum ihm nicht mehr ganz klar ist, wie viele Alben genau er damals produziert hat. Fest steht, dass »Am Wahn« sein drittes seit 2018 ist. Damals erschien »Das Paradies«, das künstlerisch in mehrerer Hinsicht ein Wendepunkt war. Nach über zehn Jahren, in denen er englischsprachige Musik produziert hatte, veröffentlichte er zum ersten Mal eine LP, deren Texte ausschließlich in deutscher Sprache verfasst waren. In einem Interview mit dem Musikmagazin Diffus ließ er sogar verlautbaren, dass er langfristig plane, Helene Fischer als »neue Schlagergöttin« vom Thron zu stoßen.

Darauf wird er heutzutage eher nicht mehr so gerne angesprochen – zu oft musste das Zitat schon herhalten. Dass er mit ihr ungefähr so viel zu tun hat wie Rammstein mit feinfühliger Musik, muss kaum weiter erläutert werden.

Brusch verbindet romantische Lieder mit Außenseiterballaden, pessimistische Weltbetrachtungen mit einem Funken Hoffnung.

Dann doch lieber Hildegard Knef als Referenz, deren Album »Knef« aus dem Jahr 1970 bis heute einen großen Einfluss auf Brusch hat. Sie stellt für ihn eine große Ausnahmeerscheinung in der deutschsprachigen Musik dar, die alles in allem doch von einer enormen Grobschlächtigkeit geprägt sei. »Wenn es keine Ambivalenzen mehr gibt, wenn dir ein Gefühl innerhalb von fünf Sekunden auf dem Silberlöffel serviert wird, dann macht es mich depressiv«, erzählt er im Gespräch. »Vielmehr mag ich es, wenn man ein tieftrauriges Thema trotzdem noch mit einem gewissen Witz verbinden kann. Diese Liedtradition gab es in besonderer Weise in der Weimarer Republik, aber sie ist durch die Nazis komplett zerstört worden. Was nicht zuletzt daran lag, dass viele der damaligen Kabarett- und Chansonmusiker ­Juden waren.«

Knef habe als eine der wenigen in der Nachkriegszeit an diese Tradition von Musikern wie Kurt Weill oder Hanns Eisler angeknüpft, deren ­Ideen im angloamerikanischen Raum auf wiederum ganz andere Weise etwa von Musikern wie Tom Waits weiterentwickelt wurden. Auch ihn und seine unnachahmliche Verknüpfung von Brachialität und Zerbrechlichkeit hört man in der Musik Tristan Bruschs immer wieder als Einfluss heraus.

Dass Brusch bis heute von dieser langen musikalischen Tradition zehrt, hört man insbesondere seinen beiden jüngsten Alben an. Kokettierte er 2018 auf »Das Paradies« noch ganz auf Höhe der Zeit mit den mitunter unappetitlichen Trash-Elementen der Biedermeier-Bürgerlichkeit, die wieder und wieder ironisch durch den Wolf gedreht werden – nachzuhören und etwa in seinem damaligen Hit »Zuckerwatte« –, zeugte »Am Rest« drei Jahre später im Vergleich dazu von einer enormen musikalischen Weiterentwicklung und Reifung. Die haben nicht zuletzt mit veränderten Lebensverhältnissen zu tun. In der Zwischenzeit war Brusch Vater geworden und hatte eine Trennung hinter sich, die sich auch auf dem neuen Album noch bemerkbar macht. »Das Paradies« betrachtet er rückblickend dennoch mit einer gewissen Milde: »Ich musste das, was ich mache, einmal ironisch brechen. Das brauchte ich damals irgendwie.«

Doch diese Phase scheint längst ­abschlossen, denn auch auf »Am Wahn« setzt Brusch den 2021 eingeschlagenen Weg musikalisch kon­sequent fort. Dabei verbindet er romantische Lieder mit Außenseiterballaden, pessimistische Weltbetrachtungen mit einem Funken Hoffnung, der zwischen den Zeilen immer wieder aufblitzt. Nicht ohne Grund ließ Brusch 2021 Laut.de wissen, dass ihn die reine Depression musikalisch nicht interessiere.

Auf den ersten Blick irritierend, auf den zweiten naheliegend erscheint die Zusammenarbeit mit der Chansonette Annett Louisan.

Und trotz aller Schwermütigkeit, die sich in Liedern wie »Glücklich« oder »Kein Problem« Bahn bricht, rutscht seine Musik tatsächlich nie in eine reine Beweihräucherung der eigenen Wehleidigkeit ab. Was nicht zuletzt seiner Fähigkeit geschuldet ist, stets auch nicht nur seine Gefühle zu registrieren, sondern auch die anderer. »Wenn vorm Späti 36 der Opa seinen Billigkaffee trinkt /Im Duft der neuen Rösterei nebenan / Vergisst er kurz die Wirklichkeit«, singt Brusch mit seiner ausgeprägten ­Beobachtungsgabe für subtile Alltäglichkeiten, die man in der deutschsprachigen Musik sonst nur von Songschreibern wie Sven Regener oder Christiane Rösinger kennt.

Auf den ersten Blick irritierend, auf den zweiten naheliegend erscheint dabei auch die Zusammenarbeit mit der Chansonette Annett Louisan im Song »Kein Problem«. »Wir sind uns vor einiger Zeit über den Weg gelaufen, weil wir mit Tim Tautorat den gleichen Produzenten haben«, führt Brusch aus. »Bevor wir uns kennengelernt haben, hatte sie für mich schon so eine Art Legendenstatus, fast schon vergleichbar mit Stars wie Harald Juhnke oder eben auch Knef. Als wir uns dann trafen, haben wir schnell festgestellt, dass wir einen sehr ähnlichen Humor ­haben und uns vor allem unsere Liebe zu alter französischer Musik sehr verbindet.«

Dabei sieht er das Lied insbesondere angelehnt an die musikalische Zusammenarbeit zwischen Serge Gainsbourg und Jane Birkin, die Ende der sechziger Jahre mit »Je t’aime« einen Welthit lan­deten. Der wird Brusch und Louisan aller Voraussicht nach zwar verwehrt bleiben, doch die erotische Intimität, die die Vorlage einst auszeichnete, wird auch von ihnen mühelos erzeugt.

Im Herbst wird Brusch eine kleine Tournee spielen. Vorher aber will er sich noch einem anderen Projekt widmen: Vor kurzem wurde er angefragt, die musikalische Leitung der »Woyzeck«-Inszenierung am Berliner Ensemble zu übernehmen – worum er sich nicht zweimal bitten ließ. Und es erscheint auch naheliegend für einen wie Brusch, eine derartig von inneren wie äußeren Widersprüchen und Verstrickungen geplagte Figur wie Woyzeck musikalisch zu zeichnen. Fast schon zu naheliegend.
 

Albumcover

Tristan Brusch: Am Wahn (Four Music/Tautorat Tonträger)