Das riskante Leben von Lesben im Film
Lesbische und bisexuelle Figuren sind im Film und im Fernsehen längst keine Seltenheit mehr. Spielfilme wie »Everything Everywhere All at Once« (2022), »Tár« (2022) oder »Kajillionaire« (2020) sowie Serien wie »The Last of Us« (2023) und »A League of Their Own« (2022) stellen homosexuelle und queere Frauen und Teenager in den Mittelpunkt. Doch auch wenn es inzwischen viele homosexuelle Protagonist:innen gibt, widerfährt den Queers ein Schicksal überproportional häufig: Sie sterben.
Zwar sind Hindernisse, Konflikte, Katastrophen und vor allem überraschende und unvorhersehbare Wendepunkte dramaturgisch unabdingbar, das Erzählmuster kill the lesbians, also »töte die Lesben« – analog zu der Regel bury your gays, »begrabe deine Schwulen« –, das sich in den besonderen Todesumständen queerer Charaktere offenbart, folgt allerdings einem Muster der Pathologisierung von Homosexualität.
Ein Blick zurück ist aufschlussreich: Wenn die Vorgabe bury your gays erfüllt wurde, ermöglichte das Theater- und Romanautor:innen im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Geschichten über homosexuelle Figuren zu erzählen, ohne dafür sanktioniert zu werden.
Homosexuellen Figuren wurden häufig verzichtbare Nebenrollen zugedacht. Dabei werden die Figuren nicht als eigenständige Charaktere gezeichnet, sondern als Sidekicks für die heterosexuellen Figuren.
Homosexuelles Begehren konnte in einer Gesellschaft, die sich dem verpflichtet hatte, was man Sitte und Anstand zu nennen pflegte, nur über den Umweg der anschließenden Bestrafung und das Herausstellen der Verkommenheit und Unsittlichkeit der Figuren geschildert werden. Auf den intimen Moment folgt daher oft der Tod einer der beiden Figuren, so dass die andere wieder in ihr normales Leben zurückkehren kann und sich idealerweise in die ausgestreckten Arme eines heterosexuellen Partners stürzen kann.
Mit der zunehmenden Popularität des Kinos in den USA war der Ruf nach einem sittlichen Regelwerk für den Film immer lauter geworden. Das Hollywood-Kino der späten zwanziger Jahre wurde vor allem von republikanischer Seite als vulgär, obszön, unsittlich oder gar blasphemisch diskreditiert. Der Republikaner William Harrison Hays, seines Zeichens Vorsitzender Motion Picture Association of America, dem Lobby-Verband der großen Filmgesellschaften, reagiert darauf.
Um einer drohenden staatlichen Zensur der Filmproduktion zuvorzukommen, erstellte Hays eine Liste von »Don’ts« (Tu das nicht) und »Be Carefuls« (Sei vorsichtig), auf deren Einhaltung sich die Filmgesellschaften am 31. März 1930 offiziell einigten. Diese Liste trug den Namen »Motion Picture Production Code«. Die Einhaltung der Regeln war zunächst freiwillig, wurde aber ab 1934 vom Filmverband zur Pflicht gemacht, den Produktionen drohte bei Verstößen der Ausschluss von den wichtigsten nationalen Premierenkinos und eine Geldstrafe.
Das umgangssprachlich »Hays Code« genannte Regelwerk der Selbstzensur wachte darüber, dass Filme stets die richtige Lebensführung abbildeten. Der Verteidigung der heiligen Institution Ehe diente die Bannung von allem, was als sex perversion galt, womit das Zeigen von Handlungen untersagt war, die eine Abweichung von der gottgegebenen heterosexuellen Orientierung bedeuteten.
Damit sollten auch Figuren verfemt werden, die durch ihr Verhalten Geschlechtergrenzen zu übertreten drohten, homosexuell waren und zu einer Verweiblichung der Gesellschaft beitrugen. Im Film sollte an einer hierarchischen Geschlechterordnung und somit auch an einer vermeintlich natürlichen Aufgabenverteilung zwischen den Geschlechtern festgehalten werden.
Dies führte dazu, dass homosexuelle Figuren im Verlauf der Filmhandlung für ihre vermeintliche Immoralität bestraft werden mussten. Zudem wurden sie als boshaft oder psychopathisch charakterisiert, damit sie unter keinen Umständen zur Identifikation einluden. Schließlich galt Homosexualität gleichermaßen als Sünde, Krankheit und Verbrechen; dass eine ahnungslose Filmzuschauerin durch einen Kinobesuch plötzlich in Kontakt mit dem eigenen unterdrücktem Begehren geriet, sollte unbedingt verhindert werden.
Die Zeiten änderten sich: 1967 wurde der Hays Code offiziell abgeschafft. Seit 1973 stuft die American Psychiatric Association Homosexualität nicht mehr als eine psychische Störung ein. Die durch den Hays Code etablierten Erzählmuster hielten und halten sich jedoch hartnäckig, was nicht zuletzt daran liegt, dass einige einflussreiche Kinoklassiker sich genau dieser Pathologisierungen bedienen. So findet sich die Figur der »Psycho-Lesbe« in dem zur Geltungszeit des Hays Code entstandenen Hitchcock-Thriller »Rebecca« (1940) wieder (nach einem Roman von Daphne du Maurier). Die Haushälterin Mrs. Danvers ist derart besessen von der verstorbenen Frau ihres Hausherrn, dass sie seine neue Partnerin nicht akzeptieren kann.
Im Film sollte an einer hierarchischen Geschlechterordnung und somit auch an einer vermeintlich natürlichen Aufgabenverteilung zwischen den Geschlechtern festgehalten werden.
Einem ähnlichen Verhaltensmuster gehorcht die Figur der Roxanne Hardy in Paul Verhoevens »Basic Instinct« (1992). So versucht die Eifersüchtige das love interest ihrer Geliebten mit einem Auto zu überfahren und stirbt schließlich selbst dabei. Wie von Sinnen agiert auch die Protagonistin Betty/Diane in David Lynchs »Mulholland Drive« (2001), als sie einen Auftragskiller auf die Frau ansetzt, in die sie verliebt ist. In Darren Aronofskys »Black Swan« (2010) bekommt man es mit einer mental instabilen Frau zu tun, die zwischen Hysterie und Begehren gefangen ist. Nicolas Winding Refns »The Neon Demon« (2016) treibt das Ganze ironisch auf die Spitze, indem er seine Hauptfigur nekrophil werden lässt. Die »Psycho-Lesbe« geht bis zum Äußersten und wird durch ein nicht erwidertes Begehren in den Wahnsinn getrieben. Die Bestrafung für ihre Abweichung.
In der britischen Serie »Killing Eve« (2018–2022) wurde mit der Protagonistin Villanelle, einer lesbischen und psychopathischen Auftragskillerin, mit der Schablone der »Psycho-Lesbe« gespielt. Die Serie verzichtete über weite Strecken auf stereotype Darstellungen homosexueller Frauen, um sich dann im Staffelfinale einer altbekannten Konvention zu fügen. Villanelle wird in den Armen ihrer Liebhaberin Eve, kurz nachdem sie sich ihre Liebe gestanden haben, angeschossen und kurz darauf tödlich getroffen.
Auf das Bekenntnis folgt die Bestrafung – ein bury your gays-Moment wie aus dem Lehrbuch. Auch der Nebencharakter Lexa in der Serie »The 100« (2014–2020) wird erschossen, kurz nachdem sie eine intime Beziehung mit ihrer Rivalin Clarke eingegangen war. In der Serie »Buffy« (1997–2003) wird die Beziehung von Tara und Willow abrupt beendet. Tara stirbt in den Armen von Willow, durch eine Kugel, die nicht einmal für sie bestimmt war.
Eine Liste auf der LGBT-Website Autostraddle zählt 225 lesbische und bisexuelle Frauen auf, die seit 1976 in Filmen und Serien ums Leben gekommen sind – oft unter abenteuerlichen Umständen. So stirbt beispielsweise Susan aus der Serie »Seinfeld« (1989–1998) am Kleber der Briefumschläge für ihre Hochzeitseinladungen. Allerdings ist die häufigste Todesursache mit knapp 160 Fällen ein Mord, am häufigsten der Tod durch einen Schuss, dicht gefolgt von Erstechen, dem Durchschneiden der Kehle oder diversen Vergiftungen durch ehemalige Liebhaber:innen.
Nach den Morden rangieren Unfälle als zweithäufigste Todesursache auf der Liste. Oft ist es ein Autounfall, aber auch Tod durch ein Feuer oder Gasexplosionen sind geläufig. Bleiben noch die tödliche Erkrankungen: So wird beispielsweise eine lesbische Beziehung in der britischen Serie »Skins UK« (2010–2013) abrupt durch die Krebserkrankung der jungen Naomi beendet.
Homosexuellen Figuren wurden häufig verzichtbare Nebenrollen zugedacht. Dabei werden die Figuren nicht als eigenständige Charaktere gezeichnet, sondern als Sidekicks für die heterosexuellen Figuren. Im Comic wird das Erzählmuster, dem zufolge eine Frau sterben muss, damit sich der Superheld weiterentwickeln kann, fridging, kurz für women in refrigerators, genannt. Es geht auf einen Comic von Ron Marz zurück, in dem der Held die Leiche seiner ermordeten Freundin im Kühlschrank findet. Erst diese Entdeckung setzt seine Charakterentwicklung in Gang.
Jüngeren Untersuchungen zufolge hat das Interesse an Produktionen mit homosexuellen und queeren Figuren in den vergangenen Jahren wieder nachgelassen.
Im Kino der Gegenwart finden sich vor allem in Filmen mit historischen Stoffen besonders facettenreiche lesbische Figuren. So spielt etwa Francis Lees »Ammonite« (2020) im Jahr 1840, »Portrait of a Lady on Fire« (2019) von Céline Sciamma Ende des 18. Jahrhunderts, »The Favourite« (2018) von Giorgos Lanthimos im frühen 18. Jahrhundert und Park Chan-wooks »The Handmaiden« (2016) ist in den dreißiger Jahren angesiedelt. Es scheint fast so, als brauche es den Hintergrund einer illiberalen Gesellschaft, um die Liebesbeziehung zwischen zwei Frauen darstellen zu können.
Jüngeren Untersuchungen zufolge hat das Interesse an Produktionen mit homosexuellen und queeren Figuren in den vergangenen Jahren wieder nachgelassen. Laut einer neueren Pressemitteilung des US-Medienverbands GLAAD ist beispielsweise die Zahl der LGBTQ-Charaktere in US-Serien wieder gesunken, besonders betroffen sind lesbische und bisexuelle Frauenfiguren. Untersucht wurden alle Originalserien, die zwischen dem 1. Juni 2022 und 31. Mai 2023 bei den großen US-Sendern und Streamingdiensten liefen, laufen oder noch kommen werden.
Der Verband weist darauf hin, dass im Untersuchungszeitraum 54 Serien mit LGBTQ-Charakteren abgesetzt wurden, darunter die Neuauflage von »Queer as Folk« (Peacock), »Genera+ion« (HBO Max), »Motherland: Fort Salem« (Freeform) und »First Kill« und »Warrior Nun«. Insgesamt ist damit ein Viertel der 140 LGBTQ-Figuren von der Bildfläche verschwunden. Kill your lesbians? Nicht schon wieder!