Prinzenrolle rückwärts
Es vergeht derzeit kaum eine Woche ohne neue Meldungen über die Machenschaften sogenannter Reichsbürger. Als Beispiel drei Schlagzeilen allein vom Mittwoch vergangener Woche: T-Online meldete einen Vorfall aus dem Landkreis Cuxhaven: »Reichsbürger verletzt Polizisten bei Festnahme schwer.«
Am selben Tag war eine Meldung beim SWR so betitelt: »Reichsbürger in Bad Dürkheim? Polizei beschlagnahmt Waffen bei Razzia« – nach der Durchsuchung werde ermittelt, ob ein 61jähriger zur Reichsbürgerszene gehöre. Ebenfalls beim SWR war zu lesen: »Weiterer Verhandlungstag gegen mutmaßlichen ›Reichsbürger‹«. Die Bundesanwaltschaft werfe dem Mann mehrfachen versuchten Mord vor. Im April vergangenen Jahres soll er auf SEK-Beamte geschossen haben, die seine Wohnung nach einer Waffe durchsuchen wollten.
Solche Meldungen deuten darauf hin, wie gewaltbereit die »Reichsbürger«-Szene ist. Dass es sich dabei keineswegs um ein abstruses Randphänomen handelt, stellte kürzlich eine im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung erstellte Studie fest. Sie kam zu dem Ergebnis, dass fünf Prozent der Bevölkerung Ansichten der »Reichsbürger« teilen. Für die Studie wurden 5.511 zufällig ausgewählte Personen befragt. Davon hätten fünf Prozent der Aussage voll und ganz zugestimmt, dass Deutschland noch von den Besatzungsmächten regiert werde. Weitere acht Prozent stimmten dieser Aussage eher zu.
Nach eigener Angabe zählt Peter Fitzeks »Königreich Deutschland« etwa 5.000 Untertanen – und dem Verfassungsschutz zufolge ist diese Zahl sogar plausibel.
Für die Studie wurden auch qualitative Interviews geführt. Ein 54jähriger sagte beispielsweise: »Ich glaube, dass Deutschland nur eine Filiale ist wie zum Beispiel der DM in der Ackermannstraße und die nächste Filiale ist dann in Ingolstadt in der Meierstraße, das ist eine Filiale der Kapitalistengesellschaft in den USA. Und die diktieren das, was hier geschieht. Unser Bundeskanzler momentan, der macht ja nur das, was woanders diktiert wird. Wir haben noch Waffenstillstand, wir haben keine Freiheit, wir dürfen nicht agieren, wie wir wollen.«
Von den Befragten, die in der Studie Affinität zu den »Reichsbürgern« zeigten, stimmten 23 Prozent voll und ganz der Aussage zu: »Reiche Juden sind die eigentlichen Herrscher der Welt.«
Bei den »Reichsbürgern« handelt es sich nicht um eine einheitliche politische Bewegung. Hier kommen unterschiedliche völkische oder libertäre Strömungen zusammen. Oft werden »Souveränisten« oder »Selbstverwalter« als Oberbegriffe für alle verwendet, die der wahnhaften Vorstellung anhängen, selbst einen souveränen Staat anzuführen – ob sie sich nun als »König von Deutschland« betrachten oder nur ihr eigenes Haus für unabhängig von der Bundesrepublik erklären.
Damit geht hierzulande fast immer die Annahme einher, dass das Deutsche Reich eigentlich weiterbestehe, weshalb die Bundesrepublik als dessen Rechtsnachfolgerin illegitim sei. Als einer der ersten Vertreter dieser Idee gilt der 2014 verstorbene rechtsextreme Terrorist Manfred Roeder. Er nahm in den siebziger Jahren Kontakt zum ehemaligen Großadmiral Karl Dönitz auf, der nach Hitlers Selbstmord die letzte Regierung Nazi-Deutschlands anführte. Roeder wollte ihn als Reichskanzler einsetzen, was Dönitz jedoch ablehnte. Daraufhin erklärte Roeder sich selbst zum »Reichsverweser«. Um einer Haftstrafe zu entgehen, beantragte und erhielt er 1980 im Iran Asyl, kehrte aber alsbald mit falschem Pass nach Deutschland zurück und gründete die »Deutschen Aktionsgruppen«, welche diverse Terroranschläge verübten.
Die Wurzeln der Bewegung liegen im klassischen Neonazismus, doch seit einiger Zeit vermengen sich die Reichsmythen verstärkt mit Elementen der New-Age-Esoterik und des Neopaganismus.
1985 proklamierte der S-Bahnfahrer Frank Ebel in Westberlin die »Kommissarische Reichsregierung« und sich selbst als Reichskanzler. Später arbeiteten die ehemaligen Achtundsechziger-Aktivisten Horst Mahler und Reinhold Oberlercher daran, Reichsbürger-Vorstellungen auszuführen und pseudojuristisch zu rechtfertigen. Im Jahr 2000 veröffentlichte Mahler »in Geschäftsführung ohne Auftrag für das Deutsche Reich« einen »Appell an die Bürger des Deutschen Reiches«. Darin stellt er zum ersten Mal die Behauptung auf, bei der BRD handele es sich um eine GmbH: um ein Geschäftsunternehmen ohne staatsrechtliche Souveränität.
Diese Vorstellung teilen die meisten »Reichsbürger«. Deutschland sei auch nach 1990 feindlich besetztes Land geblieben, dem ein Friedensvertrag vorenthalten werde. Die Bundesrepublik sei nur eine Verwaltungsagentur der Besatzungsmächte, weswegen man sich auf die Haager Landkriegsordnung beruft. Aufgrund des angeblichen Besatzungsstatus seien die Deutschen nicht verpflichtet, Steuern zu zahlen, da »Plünderung« durch die Haager Landkriegsordnung verboten ist.
Die Wurzeln der Bewegung liegen im klassischen Neonazismus, doch seit einiger Zeit vermengen sich die Reichsmythen verstärkt mit Elementen der New-Age-Esoterik und des Neopaganismus. Auch in der sogenannten Querdenker-Bewegung fühlen sich Reichsbürger heimisch. Einer der prominentesten »Querdenker«, Michael Ballweg, traf sich 2020 mit dem bekannten Reichsbürger und selbsterklärten »König von Deutschland«, Peter Fitzek.
Bei manchen »Reichsbürgern« mögen finanzielle Motive überwiegen, wenn sie keine Steuern zahlen oder Bau- und Gewerbenormen missachten– doch in der Praxis treiben sich die Verweigerer eher selbst in den Ruin. Viele Reichsbürger haben etwas von zwanghaften Querulanten, manche schreiben unzählige lange Briefe an Behörden, in denen sie ihre Theorien ausbreiten. Etwas anders sieht es bei den Fürsten der imaginären Reiche aus, die können sich durchaus bereichern. Für solche Anführer der »Reichsbürger«-Bewegung wurde der Begriff des »Milieu-Managers« geprägt.
Peter Fitzek ist dafür wohl das beste Beispiel. Er hat 2012 das »Königreich Deutschland« proklamiert und sich selbst zum König ernannt. Nach eigener Angabe zählt es etwa 5.000 Untertanen – und dem Verfassungsschutz zufolge sei diese Zahl sogar plausibel, berichtete die NZZ. Von seinen Anhängern kassiert Fitzek Gebühren für Seminare, Ausweisdokumente, Führerscheine und Autokennzeichen. Er gibt sogar eine eigene Währung aus. Zudem erhält er Einlagen für die Renten- und Krankenvorsorge sowie auf vom »König« verwaltete Sparkonten seiner Anhänger.
Fitzek verfügt offenbar über genug Geld, um große Land- und Immobilienkäufe zu finanzieren. Zum »Königreich« gehören laut Medienberichten zwei Schlösser in Sachsen. Der FAZ zufolge hat Fitzek eines davon, ein eindrucksvolles Jugendstil-Schloss in Eibenstock, für 2,3 Millionen Euro erwerben lassen. Im Januar habe er es »per königlichem Dekret« zu seinem »Staatsgebiet« erklärt.
Und es gibt weitere Expansionspläne. Im Januar dieses Jahres informierte der brandenburgische Verfassungsschutz die Bewohner von Rutenberg in der Uckermark über einen bevorstehenden Landkauf durch das »Königreich Deutschland«. Fitzek soll dort planen, eine Genossenschaft zu übernehmen, die im Besitz von über 40 Hektar Land ist. Dem RBB zufolge gehörte der Vorstand der Genossenschaft bis 2020 der völkischen Anastasia-Bewegung an.
Das mutmaßliche führende Mitglied des militärischen Arms der Verschwörung, der frühere Bundeswehroffizier Maximilian Eder, befindet sich laut seinem Anwalt seit dem 12. April im Hungerstreik.
Während Fitzek eher einen Unternehmer repräsentiert, der Reichtum anhäuft, verfolgen andere Reichsbürger die Idee des bewaffneten Kampfes. Dazu gehörte offenbar auch das Netzwerk »Patriotische Union« um Heinrich Reuß, zu dem auch die frühere Bundestagsabgeordnete der »Alternative für Deutschland« (AfD), Birgit Malsack-Winkemann, gehörte. Durch gezielte Anschläge auf die Stromversorgung in Deutschland wollte die Gruppierung bürgerkriegsähnliche Zustände herbeiführen, um letztlich in einem Staatsstreich die Bundesregierung abzusetzen.
Im vergangenen Jahr erfasste der Verfassungsschutz bundesweit 23.000 Reichsbürger, im Jahr zuvor waren es 21.000. Von diesen seien 2.100 gewaltorientiert und 500 im Besitz einer Waffenlizenz gewesen.
Der Generalbundesanwalt ermittelt derzeit gegen insgesamt über 60 Beschuldigte in der Reuß-Affäre. Unter ihnen befinden sich laut einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion der Linkspartei »sechs ehemalige beziehungsweise aktive Angehörige der Polizei sowie ein aktiver Bundeswehrangehöriger«. Bei der Razzia gegen das Netzwerk im Dezember vorigen Jahres waren insgesamt 97 Schusswaffen und 25.462 Schuss verschiedener Munitionsarten sichergestellt worden.
Das mutmaßliche führende Mitglied des militärischen Arms der Verschwörung, der frühere Bundeswehroffizier Maximilian Eder, befindet sich laut seinem Anwalt seit dem 12. April im Hungerstreik. Das ehemalige Mitglied des Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr befinde sich im »Todesfasten« und wolle auf diese Weise aus dem Leben scheiden – der letzte Ausweg eines Megalomanen.