Vor den Wahlen in Guatemala geht die Justiz gegen Presse und Opposition vor

Auf dem Weg in eine autoritäre Herrschaft

In Guatemala hat die Justiz kurz vor den Präsidentschaftswahlen im Juni Entscheidungen getroffen, die die Opposition schwächen. Eine für ihre kritische Berichterstattung bekannte Zeitung wird von der Staatsanwaltschaft verfolgt, das Wahlgericht hat mehrere Kandidaten von der Präsidentschaftswahl ausgeschlossen.

José Rubén Zamora ist sich sicher, dass er schlechte Aussichten auf einen Freispruch hat. »Ich bin ein politischer Gefangener«, sagte der Gründer, Herausgeber und Redaktionsleiter von El Periódico zum Prozessauftakt in die Fernsehkameras. Das war Anfang Mai in Guatemala-Stadt. Der renommierte und mehrfach ausgezeichnete Journalist ist wegen Erpressung, Vorteilsgewährung und Geldwäsche angeklagt. Über 30 000 US-Dollar sind Zamora zufolge seiner Tageszeitung als anonyme Spende zugeflossen. Doch das glaubt ihm die Staatsanwaltschaft nicht. Zuletzt wurde noch ein weiterer Anklagepunkt hinzugefügt: Zamora soll die Justiz behindert haben.

In seinem letzten großen Artikel Ende Juli berichtete Zamora über Korruption im Umfeld des seit 2019 amtierenden, erzkonservativen Präsidenten Alejandro Giammattei. Dieser hatte immer wieder gegen ihn gerichtete Ermittlungen mit juristischen Mitteln, verbalen Attacken, aber auch mit der Kriminalisierung seiner Gegner zu unterdrücken versucht.

 Der »Pakt der Korrupten« geht in Guatemala rabiat gegen Kritiker und Oppositionelle vor, viele verlassen das Land.

Am 29. Juli wurde Zamora festgenommen, er sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Kurz darauf wurden die Konten von El Periódico gesperrt, seit Ende November erscheint die 1996 gegründete, international anerkannte Zeitung nur noch digital. »Die Justiz hat alle Register gegen Zamora und El Periódico gezogen«, sagt die Ressortleiterin Julia Corado der Jungle World. »Die Printausgabe mussten wir einstellen und 140 Redak­teur:in­nen verloren am selben Tag ihren Arbeitsplatz – ohne dass es einen einzigen konkreten Beweis für Geldwäsche gäbe.« Die Journalistin ­arbeitet seit 2003 bei dem Blatt.

»Wir brauchen kritische Medien in Guatemala, wir brauchen investigative Recherchen. Dafür steht El Periódico«, sagt Corado mit fester Stimme. Auch gegen sie und acht ihrer Kolleg:innen wird wegen des Vorwurfs der Verbreitung von Falschinformationen ermittelt. Doch das, so das Online-Portal Plaza Pública, sei nicht verfassungskonform. Der Artikel 35 der guatemaltekischen Verfassung garantiere das Recht, Kritik an Inha­ber:innen öffentlicher Ämter zu veröffentlichen.

Der Jurist Héctor Reyes, Direktor der Menschenrechtsorganisation Centro para la Acción Legal en Derechos Humanos (CALDH), meint, dass etliche Unternehmen, die Militärführung und korrupte Politiker:innen das Ende von El Periódico begrüßen würden. »Es geht ihnen darum, zu verschleiern, was in Guatemala passiert. Wir haben es mit einer diktatorisch auftretenden Regierung zu tun, die die Justiz als ein willfähriges Instrument benutzt«, sagt Reyes der Jungle World. Eine Einschätzung, die auch die NGO Reporter ohne Grenzen (Reporters sans frontières, RSF) teilt. »Nach Staatsanwälten und Richterinnen hat die Regierung Giammattei jetzt die unabhängige Presse im Visier, die Korruptionsfälle aufdeckt. Damit beweist sie, wie weit sie inzwischen in den Autoritarismus abgedriftet ist«, teilte die RSF-Vorstandssprecherin Katja Gloger Ende März mit.

Das Vorgehen gegen El Periódico wurde auch im Ausland kritisiert. »Neu ist jedoch, dass internationale Kritik, selbst aus dem US-Außenministerium oder von der Interamerikanischen Menschenrechtskommission, keinerlei Reaktionen hervorruft«, sagt Corado. Das sei ein Indiz dafür, dass staatliche Institutionen unter Kontrolle des »Pakts der Korrupten« stehen, jener Allianz von Politikerinnen, Unternehmern und Militärangehörigen, die versucht, Korruptionsermittlungen zu behindern und die Unabhängigkeit der Justiz zu untergraben (»Frontalangriff auf die Justiz«, Jungle World 39/2018). Der Begriff wurde von zivilgesellschaftlichen Organisationen und den Medien geprägt, um die Bedrohung für die Demokratie und den Rechtsstaat zu verdeutlichen. Der »Pakt der Korrupten« hat die Internationale Kommission zur Bekämpfung der Straflosigkeit in Guatemala (CICIG) der UN 2019 aus dem Land vertrieben, die zahlreiche Korruptionsfälle aufgedeckt und vor Gericht gebracht hatte (»Rausschmeißen statt aufklären«, Jungle World 2/2019).

Er geht auch rabiat gegen Kritiker und Oppositionelle vor, viele verlassen das Land. Der ehemalige Richter Miguel Ángel Gálvez ist im November 2022 nach Deutschland geflohen und einer von mehr als 30 Richtern, Staatsanwälten und Ermittlungsbeamten, die Guatemala aus dem Exil beobachten. »Der Rollback in der Justiz begann spätestens 2017. Da erwachten die klandestinen Machtkartelle in der Armee zu neuem Leben. Die CICIG war ihnen zu nahe gekommen – sie hatte gegen mehrere ranghohe Offiziere Ermittlungen aufgenommen«, sagt Gálvez.

Der Richter hatte es in seinem letzten Prozess in Guatemala mit dem »Diario Militar« zu tun, einem geheimen Dokument über Verfolgung, Folter und das gewaltsame Verschwindenlassen von mindestens 183 Personen, die zwischen 1983 und 1985 der politischen Opposition in Guatemala angehörten. Das Dokument gilt als ein Beweis für die schweren Menschenrechtsverletzungen, die eine Spezialeinheit des guatemaltekischen Militärs und der Polizei begingen, und dient als Grundlage für die strafrechtliche Verfolgung der mutmaßlichen Täter, zu der der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte den guatemaltekischen Staat 2012 verpflichtet hat.

Doch dagegen gibt es Widerstände auch »auf Geheimdienstebene«, mutmaßt Richter Gálvez. Ihm habe die Vorbereitung des Prozesses verdeutlicht, wie weit der Einfluss des Militärs reicht. Auf Betreiben der rechtsextremen Vereinigung Fundación contra el Terrorismo (Stiftung gegen den Terrorismus), die enge Verbindungen zu Armee und Unternehmern pflegt, wurden in den vergangenen Jahren immer wieder unliebsame Richter, Staatsanwältinnen, Ermittlungsbeamte und Anwälte diffamiert, bedroht und letztlich zur Flucht ins Ausland genötigt.

Gálvez weist darauf hin, dass Guatemalas Generalstaatsanwältin María Consuelo Porras zur Erfüllungsgehilfin dieser Stiftung und ähnlicher Gruppen geworden sei. Ihr Name steht auf der sogenannten Engel-Liste der USA, die Personen aus lateinamerikanischen Ländern aufführt, denen das US-Außenministerium Korruption oder Menschenrechtsverletzungen vorwirft und die Einreise in die USA sowie alle Geschäftstätigkeiten mit US-Unternehmen verweigern kann (»Mittelamerikas Mächtige sind gewarnt«, Jungle World 22/2021). Porras werden mangelnde Unabhängigkeit und eine dubiose Behandlung von Korruptionsfällen vorgeworfen. Im Juli 2022 entließ sie den Leiter der Sonderstaatsanwaltschaft gegen Straflosigkeit, Juan Francisco Sandoval, der als einer der wichtigsten Korruptionsbekämpfer des Landes galt, was zu Protesten und internationaler Empörung führte.

In Guatemala selbst hatte das – anders als früher – kaum einen Effekt auf das Vorgehen der Regierung. Entsprechendes gilt für die Eingriffe in die Pressefreiheit bei El Periódico sowie eine umstrittene Gerichtsentscheidung vor den am 25. Juni anstehenden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen. Das Wahlgericht (Tribunal Suprema Electoral) hat einige Kandidatinnen und Kandidaten von der Präsidentschaftswahl ausgeschlossen, darunter Thelma Cabrera und Jordán Rodas von der linken indigenen Partei Movimiento para la Liberación de los Pueblos (Bewegung für die Befreiung der Völker, MLP), aber auch Roberto Arzú von der konservativen Partei Podemos, Francisco Arredondo Mendoza von der noch konservativeren Partei Compromiso, Renovación y Orden (Creo) und Edmond Mulet von der liberalen Partei Cabal. Umfragen von Anfang März zufolge liegt Zury Ríos Sosa von der rechtspopulistischen Partei Valor mit 23 Prozent vorn, gefolgt von Sandra Torres Casanova von der sozialdemokratischen Unidad Nacional de la Esperanza (UNE) mit rund 18 Prozent. Der MLP-Kandidat Rodas wartet im Exil in Spanien darauf, doch noch zu den Wahlen zugelassen zu werden. Der MLP wehrt sich gegen den Ausschluss und hat beim Obersten Gerichtshof Berufung eingelegt – der nicht stattgegeben wurde. Rund sechs Wochen vor den Wahlen stehen seine Chancen vor dem Verfassungsgericht, wo der Fall jetzt liegt, schlecht.

Gegen die Kandidatur von Ríos Sosa hatte das Wahlgericht hingegen keine Einwände, obwohl die Verfassung eine solche den Verwandten von Diktatoren eigentlich verwehrt. Sie ist die Tochter des 2018 verstorbenen ehemaligen Diktators und Putschisten Efraín Ríos Montt, der 2013 wegen Völkermords zu 80 Jahren Haft verurteilt, aufgrund eines angeblichen Verfahrensfehlers aber schnell wieder freigelassen wurde (»Etappensieg für Ríos Montt«, Jungle World 31/2015). Seine Amtszeit 1982 und 1983 gilt als die blutigste Phase des von 1960 bis 1996 währenden Bürgerkriegs in Guatemala, die da­malige Regierung ging brutal gegen die Guerilla vor. Ríos Montt ordnete die Verwüstung ganzer Dörfer an, nachdem er deren Bewohner beschuldigt hatte, die Rebellen zu unterstützen. Seine Tochter Ríos Sosa gilt nun als Wunschkandidatin der extremen Rechten. Sie ist derzeit Zweite Vizepräsidentin des Parlaments Guatemalas und vertritt die passenden Positionen: Abtreibung lehnt sie ebenso ab wie Korruptionsermittlungen, Gewerkschaften und Kleinbauernverbände.