11.05.2023
Im moldauischen Gagausien stehen sich zwei pro­russische Kandidaten in der Stichwahl gegenüber

Gouverneurin für Putin gesucht

In der autonomen moldauischen Region Gagausien wird das höchste politische Amt neu besetzt. Allerdings unterscheiden sich die Kandidat:innen in ihrer Haltung zu Russland kaum.

Die Lage in der Republik Moldau ist angespannt, die Angst vor einer russischen Invasion weiterhin groß. Seit Herbst 2022 organisiert die kremlnahe zweitgrößte Oppositionspartei Șor regelmäßig Proteste gegen die moldauische Regierung, Präsidentin Maia Sandu und ihre liberale Partei der Aktion und Solidarität. Sandu und ihre Partei streben eine rasche Integration der verarmten, zwischen der Ukraine und dem EU-Mitglied Rumänien gelegenen ehemaligen Sowjetrepublik in die Europäische Union an. Zuletzt fand ein solcher Protestaufmarsch am 7. Mai in der Hauptstadt Chișinău statt. Erwiesenermaßen wurde in der Vergangenheit Geld an einige Teilnehmende ausgezahlt (»Der Kreml lässt grüßen«, Jungle World 12/2023). Die Protestierenden forderten erneut den Rücktritt der Regierung sowie Neuwahlen.

Ilan Șor, der Vorsitzende der nach ihm benannten Partei, floh 2019 vor der moldauischen Justiz, die ihn wegen Betrugs und Geldwäsche anklagte, nach Israel, wo er als Sohn ausgewanderter moldauischer Juden zur Welt gekommen war. Ein Netzwerk, an dem er beteiligt war, hatte eine Milliarde US-Dollar aus dem moldauischen Bankensystem entwendet. Gegen ein früheres Urteil legte er Berufung ein, am 14. April wurde seine Strafe in seiner Abwesenheit auf insgesamt 15 Jahre Gefängnishaft angesetzt. Marina Tauber, stellvertretende Vorsitzende der Șor-Partei und stets an der Spitze der Straßenproteste, wurde am 1. Mai am Flughafen Chișinău beim Versuch festgenommen, das Land ­unter Verstoß gegen ein gerichtliches Ausreiseverbot Richtung Israel zu verlassen. Ihr wirft die Staatsanwaltschaft vor, an illegalen Finanzierungspraktiken ihrer Partei beteiligt zu sein.

Millionär Ilan Șor versprach den Gagausiern bei einem Sieg der Gouverneurskandidatin seiner Partei den Bau eines Vergnügungsparks und höhere Renten und Gehälter.

Es wird erwartet, dass Tauber auch eine Rolle bei den Wahlen zum Başkan – so lautet der Gouverneurstitel der autonomen Region Gagausien – spielen wird. Die Gagausen sprechen eine Turksprache, viele von ihnen gehören orthodoxen Kirchen an, die unter Moskauer Patriarchat stehen. Mehrheitlich befürworten die Bewohner der Region enge Beziehungen zu Russland: Russisch ist neben Gagausisch und Rumänisch dritte Amtssprache (»Nah an Russland«, Jungle World 8/2023). Am 30. April fand der erste Wahlgang mit acht Kandidaten für das Amt statt, das derzeit die parteilose, aber von der Partei der Sozialisten unterstützte, Irina Vlah innehat. Die Wahlprogramme der Parteien unterscheiden sich nicht wesentlich voneinander. Alle zielen auf eine Konfrontation mit Moldaus Regierung ab und fordern eine intensivere Zusammenarbeit mit Russland.

Für die Stichwahl am 14. Mai haben sich Jewgenija Guzul von der Partei Șor und Grigorij Uzun von der Partei der Sozialisten qualifiziert. Erstere wird des Wahlbetrugs verdächtigt, daher ist eine Wiederholung der Wahl wahrscheinlich. Dann könnte sich statt ihrer der parteilose Kandidat Viktor Petrow (in rumänischer Schreibung: Petrov) für die Stichwahl qualifizieren, er gehört zu den aussichtsreichsten Anwär­ter:in­nen auf den Wahlsieg. Er ist der Kandidat mit den offensichtlichsten Verbindungen zum Kreml und erhielt über 16 Prozent der Stimmen im ersten Wahlgang. Petrow pflegt Freundschaften mit russischen Politikern und Diplomaten, gibt in russischen Staatsmedien regelmäßig Auskunft über seine Sicht auf die Lage in Moldau und organisierte am 17. April einen internationalen Kongress für moskautreu Gesinnte aus Politik und Kultur mit dem Titel »Völkerfreundschaft 2023«.

Sein Wahlkampf wurde auch von der deutschen Hilfsorganisation Helping Hands aus der niedersächsischen Kleinstadt Lathen unterstützt. Die aus Deutschland gelieferten Spenden wurden während des Wahlkampfs durch Petrows eigens gegründete Hilfsorganisation Nasch bei als wohltätig deklarierten Aktionen verteilt.

Die ebenfalls mit Petrow in Verbindung stehende propagandistische Nachrichtenwebsite Gagauz News pries Petrow als Philanthropen und idealen Başkan-Kandidaten an. Ein Telefonat mit Svetlana Keller von Helping Hands bestätigte, dass der Verein über Petrows politische Ausrichtung und Verbindungen Bescheid wusste und wissentlich mit Nasch kooperierte: »Ist es denn schlimm, dass er ein prorussischer Politiker ist?« fragte Keller. Passend zum Engagement für Petrow veranstaltet Helping Hands am 4. Juni ein sogenanntes Friedensfest und bewarb es mit Friedenstauben-Symbolik.

Die Başkan-Kandidat:innen auf den derzeit ersten beiden Rängen haben neben ihrer prorussischen Ausrichtung eine weitere Gemeinsamkeit: Sie stammen beide aus dem Dorf Etulia an der Grenze zur Ukraine. In Moldau haben viele Menschen von der Existenz dieses Dorfes erfahren, als Igor Dodon von der Partei der Sozialisten, 2021 Präsidentschaftskandidat und von 2016 bis 2020 Präsident Moldaus, sagte, dass eine alte Frau in Etulia seinen Wahlsieg mit Hilfe von Hühnereiern prophezeit habe. Dodon verlor 2020 trotzdem gegen Maia Sandu.

Grigorij Uzun erhielt knapp über 26 Prozent der Stimmen. Er wurde in Moldau geboren, siedelte aber als Kind mit seinen Eltern nach Russland über. Nach seiner Rückkehr nach Moldau ging der gelernte Ingenieur Mitte der zehner Jahre in die Politik. 2017 wurde er Abgeordneter des gagausischen Parlaments. In Erinnerung geblieben ist er vor allem durch Skandale: So drohte er bei einer Parlamentssitzung im Mai 2020 dem Vorsitzenden des Parlaments damit, ihm das Mikrophon in den Allerwertesten zu stecken. Zuvor war er im Januar 2019 beschuldigt worden, an einem See in der Stadt Vulcănești während eines christlich-orthodoxen Fests alkoholisiert zusammen mit seinen Angestellten Menschen belästigt und geschlagen zu haben. Im Februar 2021 gewann Uzun einen Sitz im moldauischen Parlament in Chișinău. Im laufenden gagausischen Wahlkampf versucht er, sich als religiös zu inszenieren. So machte er Wahlkampf mit Geschichten aus der Bibel, lässt sich vor Kirchen ablichten und verteilt orthodoxe Kalender.

Uzuns Kampagne wurde von Dodon persönlich geleitet, der auch an zahlreichen Wahlkampfveranstaltungen teilnahm. Bei einer Rede auf einer solchen Veranstaltung am 12. März sagte Dodon: »Wir werden ohne Russland nicht überleben. Wir brauchen diesen Markt, wir brauchen billigen Diesel für die Landwirtschaft, billiges Gas, Strom.« Es gebe keinen anderen Weg: »Deshalb möchte ich Sie bitten, nicht aufzugeben, wir werden es schaffen, unsere Leute sind sozusagen in der Nähe.« Dodon sagte später, dass er mit »unsere Leute« die Abgeordneten der Sozialistischen Partei und nicht die russischen Truppen gemeint habe.

Die meisten Stimmen im ersten Wahlgang erhielt Jewgenija Guzul von der Partei Șor mit knapp 27 Prozent. Vor einem Monat war sie in der moldauischen Politik und in Gagausien noch völlig unbekannt. Im Sommer 2018 trat Guzul eine Stelle als Sekretärin der Șor-Partei an, bei der moldauischen Parlamentswahl 2021 stand sie auf dem aussichtslosen Platz 63 der Parteiliste. Mittlerweile ist sie die Hauptanwärterin auf den Posten des Başkan.

Ilan Șor versprach den Gagausiern im Falle von Guzuls Sieg einen Flughafen, Investitionen in Höhe von 500 Millionen Euro, den Bau eines Vergnügungsparks und die Erhöhung von Renten und Gehältern. Auch Russland unterstützte Guzul. »Der Başkan von Gagausien wird zum zweiten Mal in Folge eine Frau sein«, sagte der Duma-Abgeordnete Leonid Sluzkij während eines Online-Gesprächs mit Jewgenija Guzul und Marina Tauber am 14. April. Guzul ihrerseits sagte, die Bewohner Gagausiens wollten »in einer strategischen Partnerschaft mit der Russischen Föderation bleiben«.

Nach Guzuls offiziellen Angaben habe sie 1,7 Millionen Lei (etwa 85 000 Euro) für ihren Wahlkampf ausgegeben. Ein Teil der Gagen für Performer:innen und Hostessen bei Veranstaltungen sowie Auto- und Büromieten wurden Guzul zufolge in Form von Spenden zur Verfügung gestellt. Guzuls Einkommen wirft aber Fragen auf. Nach Angaben des Steuerdiensts, der staatlichen Behörde für die Erhebung der Steuern und die Bekämpfung von Geldwäsche, belief es sich in den elf Jahren ihrer Tätigkeit auf etwa 104 000 Lei. Im Durchschnitt sind das weniger als 10 000 Lei pro Jahr. Für ihre Arbeit in der Șor-Partei von 2018 bis 2022 gab Guzul offiziell ein Einkommen von gerade einmal 23 000 Lei an.

Am 7. Mai fanden bei Guzul und Mitgliedern ihres Wahlkampfteams Durchsuchungen aufgrund des Verdachts des Stimmenkaufs statt. Geld einer kriminellen Vereinigung soll dazu benutzt worden sein, um Wahlkampfhelfer:innen für das Einholen von Wählerstimmen zu belohnen. Die Strafverfolgungsbehörden stellten fest, dass allen Helfer:innen 15 000 Lei für je 30 Wähler gezahlt wurden. Daneben habe es noch weitere illegale Ak­tivitäten gegeben: Wählerinnen wurden in die Wahllokale gebracht, Transparente an nicht genehmigten Orten aufgehängt und Geldeingänge nicht bei den Finanzbehörden registriert.