Basteln ohne Grenzen
Tilman Kuban hat keine Kinder und offenbar ein schlechtes Gedächtnis. Andernfalls würde der CDU-Bundestagsabgeordnete und ehemalige Vorsitzende der Jungen Union vielleicht etwas kritischer zu der Unsitte stehen, Kinder für den Mutter- und Vatertag Geschenke basteln zu lassen. Gerade weil es sich um eine für die Kinder meist lästige Pflichtübung handelt, erwarten sie besonders enthusiastische Bewunderung, und man riskiert sie zu brüskieren, wenn die Präsente keinen angemessenen Ausstellungsplatz finden. Wer seine Mal- und Bastelkünste aus der Kindheit rückblickend selbstkritischer beurteilt oder bereits eine hinreichende Zahl solcher Geschenke erhalten hat, dürfte auch abgesehen von der Kritik an Familientraditionen gute Gründe finden, die Bastelnötigung aufzugeben.
Doch im rechtskonservativen Kulturkampf müssen solche Gesichtspunkte zurückstehen. Am 8. Mai veröffentlichte Kuban die Fotografie eines Elternbriefs, in dem die Mitarbeitenden einer katholischen Kita um Verständnis bitten, dass die Kinder in diesem Jahr keine Geschenke zu Mutter- und Vatertag basteln, und empörte sich: »Dem Wahnsinn sind keine Grenzen mehr gesetzt.« Schließlich sei es »ziemlich cool, wenn man Kindern beibringt, seiner Mutter einfach mal Danke zu sagen für ihren Megaeinsatz Tag für Tag!« Damit bringt Kuban klar zum Ausdruck, was er von Müttern erwartet.
»Auf ein christliches Menschenbild kann sich solche populistische Politik nicht berufen.« Nachrichtenportal katholisch.de
Nach einigen Stunden machte er die Kontaktdaten der Kita auf dem Foto unkenntlich, die aber bereits verbreitet worden waren und zahlreiche Drohungen gegen die Einrichtung nach sich zogen. Dafür und wegen seiner Ignoranz für die unterschiedlichen Konstellationen, in denen Kinder aufwachsen, so dass die Geschenkbastelei für leibliche Eltern ohnehin problematisch ist, fing er sich sogar eine quasi offizielle Rüge der katholischen Kirche auf deren Nachrichtenportal katholisch.de ein: »Auf ein christliches Menschenbild kann sich solche populistische Politik nicht berufen.«
Vielleicht handelt es sich nur um den Profilierungsversuch eines sich unterbewertet fühlenden Abgeordneten. Bislang schien es so, als wolle sich die Union nur gelegentliche rechtspopulistische Ausfälle leisten, da den Funktionär:innen klar geworden ist, dass andernfalls weit mehr Gemäßigte abgeschreckt als AfD-Wähler:innen gewonnen werden. Doch wettern nun auch CSU-Politiker gegen Drag-Darbietungen, so dass eine Tendenz erkennbar wird, den Kulturkampf der Republikaner in den USA nachzuahmen.