Im Berliner Osten kam es zu ­einer Reihe von Brandstiftungen

Kriegserklärung aus dem Plattenbau

Seit Anfang vergangen Jahres erschüttert eine Brandserie den Berliner Ortsteil Neu-Hohenschönhausen. Einer von vier Tatverdächtigen ist derzeit vor der Jugendkammer des Landgerichts Berlin angeklagt. Zu Brandstiftungen kommt es indes weiterhin.

»Das ist eine Kriegserklärung an den Staat!« steht in krakeliger, fast schon kindlicher Schrift auf dem karierten Papier. Islamisierung und Inflation müssten gestoppt werden, sonst würden Zivilisten sterben und Berlin wer­de weiterbrennen. Außerdem sei man im Besitz von »Kriegswaffen und Rizin«, heißt es in dem ominösen Schreiben, dessen Inhalt ein Reporter des Tagesspiegels Anfang Mai auf Twitter veröffentlicht hat.

Es ist einer von zwei Drohbriefen, die seit vergangenem August aufgetaucht sind. Sie waren mit dem Zusatz »Viel Spaß beim Löschen« versehen, womit sie sich auf eine ungeklärte Brandserie im Berliner Ortsteil Neu-Hohenschönhausen beziehen. Das Lichtenberger Register, ein Projekt zur Erfassung rechtsextremer Vorfälle im gleichnamigen Berliner Stadtbezirk, verzeichnet seit Anfang des vergangenen Jahres in dem Ortsteil mindestens 20 Brände. Die Tä­ter hatten sie meist in den Kellern von Wohnhäusern gelegt. Einer der Briefe wurde neben einer verbrannten Mülltonne vor einem Jugendclub gefunden, ein weiterer mit gleichlautendem Inhalt im Briefkasten des Wahlkreisbüros von Danny Freymark, dem Vorsitzenden des CDU-Ortsvereins Hohenschönhausen und stellvertretenden Vorsitzender seiner Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus.

Für einen dieser Brände und die Drohbriefe muss sich seit Anfang Mai der 20jährige mutmaßliche Neonazi Leon S. vor der Jugendkammer des Landgerichts Berlin verantworten. Ihm werden schwere Brandstiftung, Störung des öffentlichen Friedens und die Verwendung verfassungsfeindlicher Kennzeichen vorgeworfen. Der Anklage zufolge hat er Anfang August in seinem eigenen Wohnhaus, einem elfgeschossigen Mehrfamilienhaus in der Randowstraße, einen Kellerverschlag in Brand gesteckt. Zwar wurde dabei niemand verletzt, doch entstand der B.Z. zufolge ein Sachschaden von knapp 330.000 Euro. Die Polizei nahm S. und drei weitere Tatverdächtige Ende Dezember fest und stellte unter anderem eine Gaspistole und Messer sicher. Wie der Tagesspiegel berichtete, ermittelt die Polizei wegen der Brandserie gegen die vier: Ein mögliches Angriffsziel könnten Geflüchtete gewesen sein, denn Anfang Oktober steckten Unbekannte den Keller eines Mehrfamilienhauses in der Zingster Straße in Brand, in welchem Geflüchtete untergebracht waren.

Anfang Oktober wurde der Keller eines Mehrfamilienhauses in der Zingster Straße in Brand gesetzt, in dem Geflüchtete untergebracht waren.

Über die Gesinnung des Angeklagten bestehen spätestens seit dem zweiten Verhandlungstag keine Zweifel mehr. Leon S. war Mitglied der Facebook-Gruppe »NDS Familie«. Hierbei handelt es sich um eine Gruppe von Fans rechtsextremer Rap-Musik; »Neuer Deutscher Standard« (NDS) ist der Titel eines Songs des rechtsextremistischen Rappers Chris Ares und zugleich der Name des Rap-Labels, das dieser 2019 gegründet hat. In der über 30 Mitglieder zählenden Gruppe scheint S. nicht besonders aktiv gewesen zu sein. Zur Begrüßung Anfang Juni 2020 postete er ein Bild des Brandenburger Tors in Berlin vor der untergehenden Sonne, darauf der Text: »Ich werde gegen den Verlust meiner Heimat Widerstand leisten, der Tag, an dem ich damit aufhöre, ist der Tag, an dem ich sterbe!« Zu finden ist auch ein Tiktok-Profil mit Namen und Foto von Leon S., dort posiert der Heranwachsende mit einem Baseballschläger.

Am selben Verhandlungstag sagte eine Sozialpädagogin des Jugendclubs, an dem einer der beiden Drohbriefe sichergestellt worden war, als Zeugin aus. Sie berichtete, Leon S. und die anderen drei Beschuldigten, die allesamt mit­einander befreundet sind, hätten diesen Jugendclub bis vor drei Jahren regelmäßig besucht. Zwei Interessen hätten die Clique offenbar geeint: Graffiti – »und sich über den Hitler und den Zweiten Weltkrieg Gedanken zu machen«, sagte sie. Da S. auch an Graffiti-Workshops teilgenommen habe und ihr daher das Schriftbild von S. vertraut gewesen sei, war sich die Sozialpädagogin recht sicher, dass die Drohschreiben von ihm stammten. Aufgrund von dessen Begeisterung für nationalsozialistische und rechtspopulistische Vorstellungen hätten die Mitarbeitenden des Jugendclubs Gespräche mit S. geführt. Das habe an den Überzeugungen des jungen Mannes wohl nichts geändert, meinte die Zeugin.

Wie ein am selben Verhandlungstag befragter Kriminalbeamter zu Protokoll gab, hatte der Mitangeklagte Roy B. den mit ihm befreundeten Leon S. während seiner Vernehmung nach der Festnahme für die Brandstiftung im eigenen Wohnhaus verantwortlich gemacht. In diesem wohnten »zu viele Ausländer«, denen wolle er Angst machen – so soll es Leon S. dem Kriminalbeamten zufolge Roy B. gesagt haben. Eine eigene Tatbeteiligung stritt B. demnach ab.

Der Beamte sagte außerdem, die Mutter von B. habe während der Durchsuchung mitgeteilt, dass »der Leon« ständig Mist baue; manchmal betrete er auch mit einem Hitlergruß den Raum. Die Verteidigung von Leon S. versuchte daraufhin vergeblich zu verhindern, dass die Aussagen von Roy B. als Beweismittel zugelassen werden.

»Neu-Hohenschönhausen fällt im Kontext des Monitorings extrem rechter Vorfälle seit mehr als zehn Jahren dadurch auf, dass es ein vergleichsweise hohes Potential extrem rechter Wahlstimmen gibt«, schreibt das Lichtenberger Register.

Auch der Büroleiter von Danny Freymark sagte am selben Prozesstag als Zeuge aus und schilderte, dass ein junger Mann im November das Wahlkreisbüro betreten und sich als Leon S. vorgestellt habe. Er habe sich nach der Brandserie im Bezirk erkundigen wollen und einen Termin mit Freymark vereinbart, diesen allerdings nicht wahrgenommen. Dem Büroleiter sei das bereits seltsam vorgekommen, allerdings habe er die Zweifel zunächst beiseitegewischt. Ob es derselbe Leon S. war, der an diesem Tag nur wenige Meter entfernt von dem Zeugen hinter einer Glasscheibe im Gerichtssaal saß, konnte der Büroleiter von Freymark auf Nachfrage des Richters nicht mit Sicherheit sagen. »Auf jeden Fall hat er eine andere Frisur gehabt«, so der Zeuge.

»Neu-Hohenschönhausen fällt im Kontext des Monitorings extrem rechter Vorfälle seit mehr als zehn Jahren dadurch auf, dass es ein vergleichsweise hohes Potential extrem rechter Wahlstimmen gibt«, schreibt das Lichtenberger Register in einer Stellungnahme zu den Brandanschlägen. Dies spiegele sich aber nicht in organisierten extrem rechten Strukturen wider. Rechtsextreme Parteien wie NPD, Pro Deutschland oder die AfD hätten allerdings in Teilen des Gebiets zweistellige Wahlergebnisse errungen. Das Register verzeichnete in dem nun von den Anschlägen betroffenen Wohngebiet seit dem Jahr 2020 vor allem Propaganda der rechtsextremistischen »Identitären Bewegung«, der NPD und der rechtsextremistischen Kleinstparteien »Die Rechte« und »Der III. Weg«.

Während S. seit seiner Festnahme in Untersuchungshaft sitzt, befinden sich die restlichen Tatverdächtigen auf freiem Fuß. An den bislang zwei Verhandlungstagen vor dem Landgericht schwieg S. zu den Vorwürfen. Seit seiner Festnahme gab es weitere ungeklärte Brände, noch am ersten Prozesstag mussten Einsatzkräfte der Feuerwehr und Polizei mehrere Bewohner:innen aus einem brennenden elfgeschossigen Mehrfamilienhaus in der Vincent-van-Gogh-Straße retten.