01.06.2023
Die Reaktionen auf die Letzte ­Generation sind völlig überzogen

Kaum noch Verbündete

Die Razzia gegen die Letzte Generation stellte eine neue Stufe der staatlichen Repression dar. Von der deutschen Öffentlichkeit und führenden Politikern wird die Gruppe schon länger angefeindet.

Nach der Großrazzia gegen Mitglieder der Letzten Generation, bei der vergangene Woche bundesweit 15 Wohnungen und Geschäftsräume durchsucht worden waren, meldete sich sogar die Uno zu Wort. »Klimaaktivisten – angeführt von der moralischen Stimme junger Menschen – haben ihre Ziele auch in den dunkelsten Tagen weiterverfolgt. Sie müssen geschützt werden, und wir brauchen sie jetzt mehr denn je«, sagte der Sprecher von UN-Generalsekretär António Guterres am 26. Mai.

Hintergrund der Razzia ist ein Ermittlungsverfahren wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung. Um diesen Tatbestand zu erfüllen, muss von einer Organisation eine »erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit« ausgehen. Ob ein paar Staus eine solche Gefahr darstellen, müssen jetzt wohl Gerichte klären. Der frühere Verfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle bezeichnete die Aktionen der Letzten Generation kürzlich als »harmlose Sandkastenspiele« verglichen mit denen der früheren Antiatombewegung oder der Hausbesetzerszene.

Weniger harmlos ist die Gewalt, mit der nicht nur der Staat, sondern auch Privatbürger immer wieder gegen die Gruppe vorgehen. Am 10. Mai passierte in Wien das, was passiert, wenn der Volkszorn in Wallung gerät: Ein wütender Autofahrer bedrohte Klimaschützerinnen mit einem Messer, während andere gegen Aktivisten handgreiflich wurden. Am 19. Mai spielten sich ähnliche Szenen in Berlin ab. Als sich Mitglieder der Letzten Generation auf der A 100 festkleben wollten, traten Autofahrer auf sie ein und zerrten sie von der Straße. Seit Wochen kommt es immer wieder zu ähnlichen Gewaltausbrüchen bei Straßenblockaden. In Berlin, wo die Letzte Generation zuletzt besonders aktiv war, zählte die Polizei in den ersten fünf Monaten des Jahres 66 »Straftaten zum Nachteil der Aktivistinnen und Aktivisten«.

Deutschland und Österreich sind Autostaaten. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Yougov von Mitte Mai zufolge lehnen satte 76 Prozent der Befragten die Blockade von Straßen als Mittel zur Durchsetzung von effizienten Klimaschutzmaßnahmen ab, 60 Prozent davon »voll und ganz«. Nur 13 Prozent der Befragten stimmten mit Mitteln und Zielen der Klimaaktivisten überein, davon fünf Prozent »voll und ganz«.

Rechte Meinungsmacher produzieren wahre Lehrbeispiele für Demagogie und Projektion.

Das hindert freilich rechte Meinungsmacher nicht daran, wahre Lehrbeispiele für Demagogie und Projektion zu produzieren. Der Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt beispielsweise veröffentlichte am 24. April einen Text mit dem Titel »Die Marionetten des Neids«. Der präsentiert seine steile These schon im Teaser: »Jeder Falschparker wird in Deutschland gnadenlos verfolgt. Aber wenn Aktivisten der ›Letzten Generation‹ nun auch Schaufenster beschädigen, ­jubeln ihnen die grün geprägten Eliten des Landes sogar noch zu. Für diese ist Klimaschutz nämlich nur noch ein Vorwand für einen ganz anderen Umbau.« Der Klimaschutz diene in Wahrheit dazu, »die Gesellschaft in den Sozialismus ohne Reiche zu treiben und den Kapitalismus abzuschaffen«, schreibt Poschardt später im Text. Die Aktivisten seien »hochgeschrieben« und betrieben die »Zersetzung der Gesellschaft von innen.«

Der »Jubel der grün geprägten Eliten des Landes«, von dem in der Welt die Rede ist, sieht in der Wirklichkeit wie folgt aus: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nannte vergangene Woche die Aktionen der Letzten Generation »völlig bekloppt«. Deren Protest sei »elitär und selbstgerecht«, sagte Mitte April Irene Mihalic, die Parlamentarische Geschäftsführerin der Bundestagsfraktion der Grünen. Am 24. April forderte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt im Münchner Merkur »dringend schärfere Gesetze gegen diese Klima-Straftäter – mit erstens Mindesthaftstrafen und zweitens einer vorbeugenden Ingewahrsamnahme«. Man müsse »verhindern, dass eine Klima-RAF entsteht«. Justizminister Marco Buschmann (FDP) verglich die Aktionen der Klimaschützer mit den Straßenaufmärschen von Nazis und Kommunisten in den zwanziger und dreißiger Jahren. Die Berliner CDU will Aktivistinnen die Kosten für ­Polizei- und Feuerwehreinsätze in Rechnung stellen und fordert eine längere Präventivhaft.

Die Inszenierung des Chefredakteurs einer einflussreichen Tageszeitung als einsamer konservativer Rufer gegen das Toben einer linksgrünen reichenfeindlichen Elite kann nicht ganz der Realität entsprechen. Woher kommt also die Unterstellung, Aktivisten, die gerade einmal 13 Prozent der Bevölkerung hinter sich und dafür nahezu alle führenden Politiker und einen Großteil der Medien gegen sich haben, seien eine Art Stoßtruppe der Eliten?

Eine einflussreiche Verschwörung, um Poschardts Sportwagen zu verstaatlichen, gibt es nur in dessen Phantasie. Es gibt höchstens ein paar junge Menschen, die meinen, der Kapitalismus sei als Besteck ungeeignet, um die Suppe auszulöffeln, die er uns eingebrockt hat.