Ein niederländisches Gericht untersagt Vergleiche von Coronamaßnahmen mit der Shoah

Relativierung verboten

Ein niederländisches Gericht hat es dem Rechtsextremen Thierry Baudet untersagt, die Pandemiepolitik der Regierung mit dem Holocaust gleichzusetzen.

Der niederländische Abgeordnete und Gründer der rechtsextremen Partei Forum voor Democratie (FvD), Thierry Baudet, darf die Coronapolitik der Regierung nicht mehr mit dem Holocaust vergleichen. Das urteilte am 23. Mai ein Amsterdamer Zivilgericht. Geklagt hatten neben der größten jüdischen Interessenvertretung in den Niederlanden, Centraal Joods Overleg (Zentrale Jüdische Beratungsstelle), auch vier Holocaustüberlebende und die Stiftung Centrum Informatie en Documentatie Israel (CIDI), eine unabhängige pro­israelische Lobbyorganisation mit Sitz in Den Haag, die sich für die Rechte von Jüdinnen und Juden in den Niederlanden und gegen Antisemitismus einsetzt. Baudet ist es nun unter Androhung eines Zwangsgeldes von 25.000 Euro pro Tag, an dem seine Tweets online sind, verboten, Parallelen zwischen den Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie der niederländischen Regierung und dem Holocaust zu ziehen.

»Das Urteil zeigt: Es gibt Grenzen für Vergleiche, die man in der Öffentlichkeit vornehmen darf. Ein Vergleich zwischen Maßnahmen zur Bekämpfung der Coronapandemie und der Shoah ist nicht erlaubt«, fasste der Vorsitzende des Centraal Joods Overleg, Chanan Hertzberger, das Urteil des Amsterdamer Gerichtshofs in einer Mitteilung zusammen.

Anlass der Klage gegen Baudet waren mehrere Posts des Parlamentsabgeordneten in den sozialen Medien im November 2021. In einem Tweet hatte er ­geschrieben: »Die heutige Situation ist vergleichbar mit der der dreißiger und vierziger Jahre. Die Ungeimpften sind die neuen Juden.«

Außerdem hatte er auf seinem Instagram-Kanal eine Fotomontage, bestehend aus zwei Bildern, geteilt. Auf dem einen Bild war ein Kind von hinten zu sehen, das hinter einem Zaun steht und diesen mit den Händen festhält. Baudet suggerierte, das Kind werde von einer Feier ausgeschlossen, weil es ungeimpft sei. Auf dem zweiten Bild war ein historisches Foto eines Kinds im polnischen Ghetto von Łódź mit einem sogenannten Judenstern auf seinem Mantel abgebildet. Baudet kommentierte die Montage mit den Worten: »Ist dies wirklich das Land, in dem Sie leben wollen? Machen Sie nicht länger mit bei dieser Apartheid, dieser Ausgrenzung!«

Das Amsterdamer Gericht urteilte, dass diese Vergleiche eine indirekte Verharmlosung des Holocaust darstellen und die Würde der Überlebenden der Shoah und das Andenken der Angehörigen verletzen. Zudem haben Baudets Posts nach Auffassung des Gerichts auch zur Verbreitung antisemitischer Äußerungen im Internet geführt. »In diesem Fall gibt es genügend Gründe, um den Rechten der Überlebenden und Angehörigen Vorrang vor Baudets Meinungsfreiheit einzuräumen«, schlussfolgerte das Gericht in seinem Urteil.

»Wir sind erfreut über den Schuldspruch des Gerichts und darüber, dass es Herrn Baudet zukünftig untersagt ist, Vergleiche zwischen dem Holocaust und der Coronapolitik zu ziehen«, teilte das CIDI zur Urteilsverkündung mit. »Baudets Vergleiche sind historisch völlig unzutreffend und verletzen unnötigerweise die Opfer des Holocausts und deren Angehörige.«

Das Gericht urteilte, dass die Vergleiche eine indirekte Verharmlosung des Holocausts darstellen und die Würde der Überlebenden der Shoah und das Andenken der Angehörigen verletzen.

Baudet galt mit dem Forum voor Democratie einst als Shootingstar der Neuen Rechten in den Niederlanden. Nach ihrer Gründung im Jahr 2015 gelang der Partei zunächst ein rapider Aufstieg, bei den niederländischen Senatswahlen im Jahr 2019 avancierte sie gar zur stärksten Partei. Dabei konnte das FvD jene widersprüchlichen Kräfte der niederländischen extremen Rechten auf sich vereinigen, denen Geert Wilders’ Partij voor de Vrijheid (Partei für die Freiheit) als zu moderat gilt. Insbesondere während der Pandemie machte das FvD dabei immer wieder durch antisemitische Äußerungen auf sich aufmerksam.

Insgesamt ist die Relativierung des Holocaust in den Niederlanden einer aktuellen Umfrage der Jewish Claims Conference zufolge insbesondere unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen weitverbreitet. Demnach gaben etwa 23 Prozent der Befragten in der ­Altersgruppe von zehn bis 40 Jahren an, der Holocaust sei ein Mythos oder die Zahl der getöteten Juden werde stark übertrieben. Holocaustrelativierende Symbole wurden während der Pandemie auch in den Niederlanden vielfach verwendet. So trugen Geg­ner:innen der Coronamaßnahmen der Regierung auf Demonstrationen immer wieder sogenannte Judensterne, wie aus Berichten des Nachrichtensenders NOS hervorgeht.
Wenig überraschend also, dass der FvD-Vorsitzende Baudet versuchte, mit seiner holocaustrelativierenden Rhetorik und Bildsprache an die verschwörungstheoretisch inspirierten Proteste gegen die Coronamaßnahmen anzuknüpfen. Teils gelang ihm damit auch eine inhaltliche und strategische Zusammenarbeit mit der Protestbewegung.

Zugleich führten die antisemitischen Äußerungen Baudets jedoch zu Austritten und innerparteilichen Abspaltungen. Übrig blieb ein harter Kern. So hat FvD in jüngsten Umfragen und bei den Wahlen der Provinzparlamente im März erheblich an Bedeutung verloren und gilt inzwischen als marginalisiertes Sammel­becken rechtsextremer Aktivisten und als Sprachrohr antisemitischer ­Ideologen.