Die DDR dient als hippe Kulisse für Serien über die Wende

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In einer Reihe neuer Serienproduktionen von »Kleo« bis »Sam – ein Sachse« werden retrotopische Klischeewelten der DDR entworfen. Sächselnde, oberlippenbärtige Jogginganzugträger sind Protagonisten von Spionagegeschichten und ulkigen Alltagsanekdoten.

Serien über die DDR haben Konjunktur. Sie transportieren in aller Regel eine kitschige Faszination für die Stasi, Muckefuck und das Centrum Warenhaus am Alexanderplatz. Garniert mit einer Liebesschmonzette wird jeder DDR-Mehrteiler zum austauschbaren Serienhit. Derzeit wendet sich die Branche explizit der Wendezeit zu. Die Serie »Sam – ein Sachse« soll die Vereinigungsgeschichte aus der Perspektive eines Underdogs erzählen.

Auch gilt: Stasi sells. Das zeigt die Netflix-Serie »Kleo« (2022). Der Erfolg der fiktiven Story der tschekistischen Auftragskillerin Kleo Straub liegt wohl auch in dem hipsterähnlichen Auftreten der Protagonisten mit ihren Trainingsanzügen und Oberlippenbärten begründet. Zuvor hatte die Spionageserie »Deutschland 89« (2020) an den Hype der vorherigen beiden Staffeln »Deutschland 83« (2015) und »Deutschland 86« (2018) anknüpfen können.

Die Produzenten der Deutschland-Reihe haben nun den Mehrteiler »Sam – ein Sachse« auf dem Streamingdienst Disney+ herausgebracht, parallel dazu erschien die Autobiographie »Ich – ein Sachse« beim Ullstein-Verlag. Die Serie erzähle die »wahre Geschichte von ­Samuel Meffire«, so die Beschreibung. Geboren ist Meffire (gespielt von Malick Bauer) 1970 bei Leipzig. Die Mutter ist Chemielaborantin, der Vater war aus Kamerun zum Studieren in die DDR gekommen. Am Tag von Meffires Geburt stirbt er unter nicht geklärten Umständen.

Meffire will Fußballer in der DDR-Oberliga werden, natürlich bei der SG Dynamo Dresden. Seine Freundin Antje (Luise von Finckh) bekommt ein Kind. »Mädchen, du hast keine Ahnung, wie es ist, in diesem Land so’n Kind aufzuziehen«, warnt Meffires Mutter Regine (Carina Wiese). Meffire überlebt einen Neonaziüberfall nur knapp. Bei den systemoppositionellen Freunden von Yvonne (Svenja Jung), einer Freundin, deren Familie in einer aus jüdischem Eigentum geraubten Villa wohnt, findet er mit seiner Erfahrung kein Gehör. Meffire tritt der Volkspolizei-Bereitschaft bei. Das ist die Truppe in der Volkspolizei, die dafür trainiert ist, Proteste auseinanderzutreiben und Demonstrantinnen niederzuknüppeln. Doch nur hier findet er die Anerkennung, die ihm die Gesellschaft versagt. Der väterliche »Genosse Major« Schreier (Thorsten Merten) wird zum Mentor des vaterlosen Meffire. Der SED-Staat gibt hier Halt und Sicherheit.

Der antikommunistische Furor, mit dem die DDR nach 1990 in graustem Grau gezeichnet wurde, wird in derzeitigen Serienproduktionen persifliert.

Nach der Wende jedoch ist nichts mehr sicher. Meffire, vermutlich der erste schwarze Polizist Ostdeutschlands, wird zum Posterboy einer Kampagne gegen Rassismus, aber gegen rechte Gewalt ermitteln darf er erst mal nicht. Meffire gerät in der Folge auf die schiefe Bahn. Vom Türsteher- kommt er ins kriminelle Milieu und letztlich sogar ins Gefängnis. Die Tragik des getriebenen Protagonisten zeigt sich vor allem darin, dass er die ganze Zeit irgendwohin rennt – ohne anzu­kommen.

Historische Genauigkeit ist in der Serie zweitrangig. Die Zeitschichten geraten durcheinander. Mögen einzelne Geschichten auf wahren Begebenheiten, realen Figuren oder echten Institutionen beruhen, mit der real existierenden DDR haben die meisten Szenen wenig zu tun.

»Dies ist eine wahre Geschichte. Nichts davon ist wirklich passiert«, heißt es auch bei »Kleo«. Das kleine Land wird mitunter zur austauschbaren Kulisse. Mitunter sind die Charaktere – zumeist ausgestattet mit klischeehaftem säuselnden Sächsisch – so absurd, so überzeichnet, dass die DDR noch ferner und skurriler erscheinen muss, als sie es in den Köpfen der meisten Menschen sowieso schon ist. Man könnte es aber auch anders sehen: Der antikommunistische Furor, mit dem die DDR nach 1990 in graustem Grau gezeichnet wurde, wird durch die Überzeichnung persifliert. So lässt sich in der Serie »Kleo« der Stasi-Mann Uwe ein riesiges DDR-Emblem tätowieren. Das juckt und kratzt gewaltig. Lustig.

Die Serie »Sam – ein Sachse« hin­gegen nimmt sich etwas ernster und verhandelt die Themen Rassismus, Antisemitismus und NS-Vergangenheit in Deutschland detailreich, wenn auch nicht unbedingt historisch korrekt. Bei der regelmäßigen Referenz auf, die unter dem Stichwort »Baseballschlägerjahre« diskutierte (rassistische) Gewalt der Wendejahre geht es offensichtlich um Gegenwartsbewältigung. Auch der Auftritt der afrodeutschen Dichterin May Ayim (Larissa Sirah Herden) scheint hauptsächlich der Tat­sache geschuldet, dass deren Werk derzeit ein Revival erlebt. Anders als üblich zeichnet die DDR-Serie »Sam« kein psychologisierend-verständnisvolles Bild abgehängter Neonazischläger, sondern stellt so etwas wie die Lebenswirklichkeit afrodeutscher und mi­grantischer Menschen im vereinigten Deutschland dar.

Alle drei Formate, »Deutschland 83«, »Kleo« oder »Sam – ein Sachse«, bilden dabei den Stand der Debatte über die sogenannte Ostidentität ab. Für alle an dieser Debatte Beteiligten ist der Osten eine einzige Projektions­fläche. Die einen trauern insgeheim, dass sie sich 1989 nicht ordentlich von der DDR verabschiedet haben, als vielen die »Wiedervereinigung« gar nicht schnell genug gehen konnte. Nun glauben manche, ein Stück DDR zurückholen zu müssen, indem sie auf die vermeintliche Eigenart Ostdeutschlands pochen. Das setzt sich mitunter bei den Nachgeborenen fort, für die die DDR zum heimeligen Schauplatz von Familiengeschichten mutiert. Im besseren Fall geht man dann im FDJ-Hemd auf eine Ost-Party, im schlimmeren wählt man die »Vollende die Wende«-AfD. Für die anderen – West- wie Ostdeutsche – bestätigt sich immer wieder aufs Neue, dass was dran sein muss an dem Bild des garstigen Ossis, des Wendeverlierers, der im Zweifel ein dummer Nazi ist.

In der derzeitigen DDR-Rezeption bricht sich vor allem ein gesellschaftlicher Retrochic Bahn. Das zeigen die Erfolgsserien der Streaming-Anbieter ebenso wie Katja Hoyers Buch »Be­yond the Wall«, das jüngst auf Deutsch unter dem Titel »Diesseits der Mauer« erschienen ist. Die DDR wird zum ­retrotopischen Sehnsuchtsort – Dämonisierung und Idealisierung ­inklusive.