Geplanter Verfall
Beim Einsturz der Autobahnbrücke von Genua im August 2018 zeigten sich die Materialprobleme von Stahlbeton auf dramatische Weise. Eine gefährliche Kurzlebigkeit stecke in dem Baustoff, argumentiert Anselm Jappe in seinem Essay »Beton. Massenkonstruktionswaffe des Kapitalismus«.
Stahlbeton, betont er, ist von geringerer Haltbarkeit als gemeinhin angenommen. Das Material verbindet zwar die hohe Druckfestigkeit von Beton mit der Zugfestigkeit von Stahl, allerdings nur, wenn dieser vor äußeren Einflüssen geschützt sei. Ansonsten beginne nach circa 30 Jahren der Verfall. Stahlbeton erlebte seinen Boom nach dem Zweiten Weltkrieg. Im Zuge der Industrialisierung der Baubranche wurde er zum Universalwerkstoff. Bauteile wurden in Fabriken hergestellt, vor Ort setzte man sie dann zusammen.
Der Drang nach billigem und damit einfallslosem Bauen ist letztlich ökonomischem Druck geschuldet. Nicht der Beton verleiht Gebäuden Warencharakter, sondern der Kapitalismus.
Natürlich geht bei dieser Art von Bauarbeiten handwerkliches Einzelwissen der Arbeiter verloren. Das schwächte nicht zuletzt ihre Verhandlungsposition gegenüber den Arbeitgebern, kritisiert Jappe, der Beton gänzlich ablehnt.
Den Baustoff verbindet er mit dem Brutalismus, den er hässlich findet. Dass mit Beton formal auch anderes Bauen möglich ist, zieht er nicht einmal in Betracht. Der Drang nach billigem und damit einfallslosem Bauen ist letztlich ökonomischem Druck geschuldet. Nicht der Beton verleiht Gebäuden Warencharakter, sondern der Kapitalismus. Und die Lösung kann auch nicht, wie Jappe meint, in der Rückkehr zu traditionellen Bauweisen liegen.
Abgesehen von der überzogenen Ideologiekritik liest sich das Buch als detailreiche Kulturgeschichte des Stahlbetons. Der im Vergleich zu anderen Bauweisen rapide Verfall erzwingt Unstetigkeit und Kurzfristigkeit auf einem Gebiet, das auf Dauerhaftigkeit angelegt sein muss.
Anselm Jappe: Beton. Massenkonstruktionswaffe des Kapitalismus. Aus dem Französischen übersetzt von Gerold Wallner. Mandelbaum-Verlag, Wien/Berlin 2023, 160 Seiten, 20 Euro