Antisemitische Mimikry
Ein früher Biograph Richard Wagners berichtet, dass es dem Komponisten eine große Freude gewesen sei, bei Proben zum »Ring des Nibelungen« die Figur des Mime darzustellen: »Er bückte sich, verdrehte sich, und entwickelte so ein himmelschreiendes Falsett, dass Stein und Bein erweichen mochten. Dabei wusste er ein Gesicht zu machen, als sähe man deutlich den hässlichen Zwerg mit seinen triefenden Augen vor sich.«
Mime ist die Figur, in die Wagner seine antisemitischen Projektionen einschrieb. Offenbar bereitete es dem Meister große Lust, körperlich mit dem, was er so abgrundtief hasste, zu verschmelzen. So weit muss man ausholen, um ein antisemitisches Phänomen einordnen und vielleicht sogar erklären zu können, das derzeit zu beobachten ist: In mehreren Bundesländern haben Reichsbürger »jüdische« Vereine und Gemeinden gegründet.
Für Juden und die jüdischen Gemeinden stellen die Reichsbürger ohnehin eine Bedrohung dar. Dass sie sich nun jüdische Identitäten ausdenken, um sich zu tarnen und an staatliche Gelder zu gelangen, ist deshalb besonders perfide. Beispielsweise wurde in Bautzen kürzlich eine vermeintlich jüdische Gemeinde gegründet. Eine solche gibt es dort seit der Shoah nicht mehr. Eine Reichsbürgergruppe hat einfach den historischen Namen der Bautzener jüdischen Gemeinde angenommen und ihren Briefkopf sowie das Logo benutzt.
Ahmt ein Antisemit das nach, was er für jüdisch hält, so ahmt er im Grunde seine eigene Projektion nach.
Einen ähnlichen Fall gab es im sächsischen Radeburg. Dort hat sich eine »Jüdische Gemeinde Esau« gegründet, sehr zur Verwunderung von Nora Goldenbogen, der Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde in Sachsen, die mit der ARD-Sendung »Panorama« über das Phänomen sprach. »Man benutzt das Judentum als Schutzschild, denkt und agiert aber antisemitisch«, so Goldenbogen.
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