Purer Perfektionismus
Banaler könnte der Plot eines Films kaum klingen: Ein Auftragsmörder vermasselt seine Mission, die aufgebrachten Auftraggeber rächen sich an ihm und lassen seine Geliebte halbtot prügeln. Der Auftragsmörder wiederum dreht den Spieß um und schaltet mit äußerster Kaltblütigkeit nach und nach seine Widersacher aus. Ende der Geschichte. Da dieser Topos in der Geschichte des Kinos so oder so ähnlich bereits zur Genüge behandelt wurde (man denke nur an »Kill Bill«, »Léon – der Profi« oder auch Jean-Pierre Melvilles »Der eiskalte Engel«), kann man im Fall von »The Killer« durchaus von einem einfallslosen Drehbuch sprechen. Das Schöne daran: Es ist völlig egal.
Der Regisseur David Fincher macht auch keinen Hehl daraus, dass sein neuer Film eine absolut unbedeutende Geschichte erzählt. Wie er dem Guardian sagte, wollte er den Film »nicht ganz so ernst nehmen«. Für ihn sei er eher »wie ein gutes B-Movie«. Es ist erstaunlich, dass sich manche Kritiker genau daran stören. So schreibt Tobias Kniebe in der Süddeutschen Zeitung: »Schaut man genauer hin, dann lässt ein eleganter und sicherer Inszenierungsstil, gepaart mit zum Teil sehr guten Schauspielern, die Leere des ganzen Unternehmens noch deutlicher hervortreten.«
Doch der Film, der übrigens auf einer Graphic Novel des französischen Autors Alexis Nolent basiert, möchte gar keine größere Idee hinter seiner Geschichte vermitteln. »The Killer« (im schlichten Titel schwingt bereits die Bescheidenheit des Unterfangens mit) ist genau das, was Kniebe wohlwollend anerkennt: ein stilsicherer und gekonnt inszenierter Genrefilm ohne jeglichen narrativen oder dramaturgischen Ballast. Mehr nicht.
Der Killer erklärt uns, er habe sich angezogen wie ein deutscher Tourist, um nicht angesprochen zu werden, denn »niemand will mit deutschen Touristen zu tun haben«.
Das zeigt bereits der Prolog auf wunderbare Weise. Der Film beginnt in Paris, wo der namenlose Titelheld, fabelhaft stoisch gespielt von Michael Fassbender, den Auftrag hat, einen Mann auszuschalten. Einziges Problem: Jener todgeweihte Mann lässt sich mit seinem Erscheinen ganz schön Zeit. Der Killer ist gezwungen, in einem stillgelegten Büro des mittlerweile insolventen Start-ups Wework die Zeit totzuschlagen. Von dort hat er den perfekten Blick auf das Penthouse im gegenüberliegenden Luxushotel. Der Tisch, auf dem er auch schläft, ist vor dem Fenster so positioniert, dass er im richtigen Moment nur noch sein Gewehr anlegen und abdrücken muss.
Bis der entscheidende Moment kommt, folgt das Publikum ihm durch seinen Tag: Auf dem Boden des karg beleuchteten Dachgeschossbüros absolviert er routiniert sein Yoga-Programm, auf der Parkbank um die Ecke isst er sein Mittagessen und immer wieder hört er über seine Kopfhörer Musik, und zwar ausschließlich Lieder der britischen Rockband The Smiths. Für diese pflegt er eine regelrechte Obsession.
Um keine Spuren zu hinterlassen, verwischt er überall penibel seine Fingerabdrücke. In seinem inneren Monolog wiederholt der ansonsten wortkarge Killer mantrahaft, worauf es in seinem Beruf ankommt: »Traue niemanden«, »Verbiete dir Empathie«, »Halte dich an den Plan«. Dass Fincher seine Figur dabei nicht allzu ernst angelegt hat, beweist das dämliche, komplett in Beige gehaltene Outfit samt Fischerhut. Der Killer erklärt uns, er habe sich angezogen wie ein deutscher Tourist, um nicht angesprochen zu werden, denn »niemand will mit deutschen Touristen zu tun haben«.
Als seine Zielperson schließlich auftaucht, helfen auch der kontrollierte Blick auf seine Pulsuhr am Arm und Morrisseys süßlich klingende Stimme im Ohr nichts mehr. Der Schuss geht daneben und trifft die falsche Person. Was folgt, ist in wenigen Sätzen erzählt. Von Paris geht es nach Santo Domingo, wo als Strafe für den vermasselten Auftrag seine Geliebte angegriffen wurde. Der Killer nimmt die Spur zu seinem Auftraggeber auf, die ihn nach New Orleans, Florida, New York und Chicago führt. Bei jeder Station legt er jemanden um; ins Visier des Killers geraten dabei ein älterer Anwalt, ein junger Taxifahrer und ein bulliger Bodybuilder.
Bei Letzterem beweist Fincher einmal mehr seinen perfektionierten Inszenierungsstil. In der nicht enden wollenden Szene hauen sich der Killer und sein muskelbepacktes Gegenüber im schummrigen Licht eines Südstaaten-Bungalows minutenlang die Schädel ein, während die grandiose Kamera von Erik Messerschmidt Michael Fassbenders geschundenen, drahtig-muskulösen Körper im Dunkel des Raums nicht aus den Augen verliert. Es ist ein Genuss, dabei zuzusehen, wie routiniert er seiner Profession nachgeht. Mit einem endlosen Stapel an falschen Pässen holt er sich seine Tickets an den Flugschaltern ab oder nimmt bei Autovermietungen mit aufgesetztem Lächeln die Schlüssel entgegen; an jedem Ort der Welt scheint er Schließfächer und Lagerräume zu haben, in denen er Waffen aufbewahrt.
Dass sich der eine oder andere Kritiker an dem sinistren Spektakel so sehr stört, liegt vielleicht an den besonderen Erwartungen, die an David Fincher gestellt werden.
Dass sich der eine oder andere Kritiker an diesem sinistren Spektakel so sehr stört, liegt vielleicht an den besonderen Erwartungen, die an David Fincher gestellt werden. Das einstige Wunderkind Hollywoods, das bereits mit 33 Jahren den mittlerweile als moderner Klassiker angesehenen Film »Sieben« zustande brachte und dessen weitere Filme für ihre intelligent geschriebenen Drehbücher (»Fight Club«, »Panic Room«, »Zodiac«, »The Social Network«) bekannt sind, mag mit einer solch rudimentären Geschichte enttäuschen.
Doch »The Killer« erzählt in seiner Geradlinigkeit vielleicht auch etwas über das Filmemachen, genauer gesagt über das Filmemachen von David Fincher. Denn der Killer legt eine hohe Präzision und einen alles durchdringenden Perfektionismus an den Tag, wie sie auch Fincher in seiner Arbeit nachgesagt werden. Er ist bekannt dafür, einzelne Einstellungen Dutzende Male zu wiederholen. So erzählte die Schauspielerin Amanda Seyfried in einem Interview mit dem Online-Branchenmagazin Collider, dass Fincher bei »Mank«, seiner Hommage an den Hollywood-Drehbuchautor Herman J. Mankiewicz und die Entstehung von »Citizen Kane«, für eine einzige Szene schätzungsweise 200 Takes benötigt habe. Eine weitere Szene sei eine ganze Woche lang gedreht worden.
Diese Detailversessenheit ist auch bei »The Killer« in jeder Szene spürbar. Fincher verpackt den Rachefeldzug in gewohnt überstilisierte, düstere und entrückte Bilder. Der hervorragende Soundtrack aus treibenden, vibrierenden und verzerrten Elektroklängen, die das vorüberziehende Unheil nur noch verstärken, stammt von Trent Reznor und Atticus Ross, die bereits mehrfach mit Fincher zusammengearbeitet und für die Filmmusik zu »The Social Network« einen Oscar gewonnen haben.
Was uns David Fincher am Ende seiner mörderischen Schnitzeljagd vielleicht doch lehrt, ist, mit welcher Unbedarftheit das Böse mitunter zutage tritt. Nachdem der Killer mit großem Aufwand das Sicherheitssystem eines Chicagoer Apartmenthochhauses austrickst, steht er in einer Luxuswohnung endlich vor jenem Auftraggeber, der für das ganze Desaster verantwortlich ist. Doch der entpuppt sich so gar nicht als der skrupellose Geschäftsmann, der überragende Endgegner, der streng kalkulierend seine Gegner ausschalten lässt. »Warum wohl sollte ich mir nachts Zutritt zu Ihrem Apartment verschaffen, was glauben Sie denn, was ich vorhabe?« fragt der Killer die naive und perplexe Jammergestalt vor sich – eine Antiklimax, die dann doch nicht so banal ist, wie man zunächst glaubt.
The Killer (USA 2023). Buch: Andrew Kevin Walker. Regie: David Fincher. Darsteller: Michael Fassbender, Arliss Howard, Charles Parnell, Tilda Swinton.
Der Film kann bei Netflix gestreamt werden.