Dem Kulturzentrum Oyoun wurde die Förderung entzogen, das »K-Fetisch« sorgt mit seiner unklaren Haltung für Diskussionen

Neukölln: Unter Antisemitismusverdacht

Der Berliner Senat hat dem Kulturzentrum Oyoun im Bezirk Neukölln nach einer Veranstaltung eines »israelkritischen« Vereins die Förderung entzogen. Unterdessen hat das in der Nähe liegende Café K-Fetisch offenbar seine bislang israelsolidarische Haltung aufgegeben.
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»Wir erleben gerade einen Genozid in Gaza«, sagte der Vorsitzende des Vereins »Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost«, Wieland Hoban. Er leitete damit den Anfang vom Ende des postkolonial ausgerichteten Kulturzentrums Oyoun ein. Wenn es nach dem Senator für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt, Joe Chialo (CDU), gegangen wäre, hätte das Oyoun die Veranstaltung, auf der ­Hoban am 4. November die zitierte Rede hielt, gar nicht erst abhalten dürfen. Doch das Kulturzentrum in Berlin-Neukölln hielt zu Hobans Verein, der der antisemitischen Kampagne Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen (BDS) nahesteht und die Morde, Vergewaltigungen und Verstümmelungen, die Hamas-Terroristen am 7. Oktober an israelischen Zivilistinnen und Zivilisten verübt hatten, mit einem »Gefängnisausbruch« verglich.

Während das Oyoun bis zuletzt behauptete, »jegliche Form gruppenbe­zogener Menschenfeindlichkeit, einschließlich Antisemitismus« abzu­lehnen, begründeten nach Chialos Ansicht Vorfälle wie dieser einen »Anti­semitismusverdacht«. Man wolle keine Räume, Vereine oder Personen mit ­finanziellen Mitteln ausstatten, die ­Israel als jüdischen Staat delegitimieren oder anderweitig dessen Existenzrecht in Frage stellen, sagte er in einer Ausschusssitzung Anfang November. Auf Anfrage von RBB24 gab die Senatsverwaltung für Kultur an, die Förderung laufe »zum Jahresende regulär aus«, die Finanzierung sei jedoch nicht wegen der Veranstaltung beendet worden.

»Queer*feministische, dekoloniale und klassenkritische Perspektiven«

Das Oyoun witterte »Zensur« und sammelte über 13.000 Unterschriften, um die drohende Einstellung der jährlichen Förderung in Millionenhöhe abzuwenden sowie die über 30 Arbeitsplätze zu retten. Mitte November verkündete der Kultursenator schließlich die Neuausschreibung der Räumlichkeiten und damit das vorläufige Ende des »antidisziplinären Epizentrums für queer*feministische, dekoloniale und klassenkritische Perspektiven«, wie es in einer früheren Selbstbeschreibung heißt. Seit 2020 residierte das Oyoun in dem über 3.500 Quadratmeter großen Areal eines alten Brauereigebäudes in der Lucy-Lameck-Straße, in dem bis 2019 die traditionsreiche Werkstatt der Kulturen ihren Sitz hatte. Eine Eilklage des Oyoun gegen die Entscheidung des Senats scheiterte vor dem Amtsgericht Berlin.

Prachtbau. Anstelle der Werkstatt der Kulturen residiert in der ehemaligen ­Bergschloß-Brauerei seit 2019 das Oyoun

Prachtbau. Anstelle der Werkstatt der Kulturen residiert in der ehemaligen ­Bergschloß-Brauerei seit 2019 das Oyoun

Bild:
Frank schubert (CC BY-SA 3.0 Deed)

Natalie Wenstrow* arbeitete im Vorgängerprojekt der Oyoun-Mitgründerinnen Louna Sbou und Nina Martin, dem Café Be’kech. Sie fand es anfangs »cool«, dort unter »starken Frauen« zu sein. Das Be’kech war eine ­Mischung aus Coworking Space, Café und Veranstaltungsraum, welches Sbou und Martin 2017 im Berliner Ortsteil Gesundbrunnen gegründet und dann kuratiert hatten. Den Namen und das Konzept übertrugen sie nach dem Zuschlag für das Oyoun auf einen Teil der Neuköllner Räumlichkeiten.

Das Be’kech geriet 2019 in die Schlagzeilen, weil es seine Räume für einen Auftritt der Terroristin Rasmea Odeh von der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) zur Verfügung gestellt hatte, der schließlich nur per Video übertragen wurde, weil der Berliner Senat ihr das Visum entzogen hatte. Odeh war für ihre Beteiligung an einem Anschlag in einem Jerusalemer Supermarkt verurteilt worden, bei dem am 21. Februar 1969 zwei israelische Studenten ermordet und neun weitere Menschen verletzt worden waren. Aber auch andere einschlägige Veranstaltungen fanden hier statt, beispielsweise zeigte der Berliner Ableger der BDS-­Bewegung 2018 einen Dokumentarfilm im Rahmen der »Israeli Apartheid Week«.

Der Jungle World erzählt Wenstrow von einem »besorgniserregenden« Vorfall mit einer damaligen Kollegin. Diese hatte »Israeli stuffed tomatoes« zubereitet und den Namen des Gerichts wie üblich auf die dafür vorgesehene Menütafel des Be’kech geschrieben. Im Whatsapp-Gruppenchat der Angestellten des Cafés schrieb Sbou daraufhin: »Wir sind ein Raum, der jede Unterdrückung, strukturellen Rassismus und jede Form der Diskriminierung verurteilt, daher kaufen oder unterstützen wir keine Produkte, die aus Apartheidsstaaten wie Israel stammen.« Und weiter: »In Zusammenarbeit mit der Jewish Antifa« – deren Sticker am Tresen der Bar zu finden seien, wie Sbou anmerkte – »boykottieren wir israelische Produkte.« Gemeint war vermutlich die BDS-nahe Jewish Antifa Berlin. Weiter schrieb Sbou: »Wenn jemand ein Gericht zubereitet, welches als israelisch tituliert wird, bitten wir Euch, das nochmal zu überprüfen.«

Bevor der Musiker Tayfun Guttstadt schlechte Erfahrungen mit dem Oyoun gemacht hatte, ging er gerne hin. Der »Jungle World« erzählt er, wie er dort Anfang Oktober 2022 antisemitisch beleidigt wurde.

Die Jungle World fragte bei Sbou nach, ob es auch im Oyoun eine Regel gegeben habe, wonach israelische Produkte zu boykottieren seien, erhielt jedoch keine Antwort. In einer Stellungnahme schrieben die Verantwortlichen Mitte Dezember: »Fakt ist: Das Be’kech existiert seit 2021 nicht mehr und stand unter einer anderen Geschäftsführung. Auch dort fanden nur Ver­anstaltungen statt, die sich innerhalb demokratisch abgesteckter Grenzen bewegen. Unsere Position: Unser Engagement gilt ausschließlich dem Oyoun und der aktuellen Situation.«

Der Musiker Tayfun Guttstadt ging früher gerne ins Oyoun und trat dort auch auf. Der Jungle World erzählt er, wie sich das änderte, als er Anfang Oktober 2022 im Rahmen einer Veranstaltung antisemitisch beleidigt wurde. Ein Mitarbeiter des Awareness-Teams vom Oyoun habe ihn gebeten, das Kulturzentrum zu verlassen, weil Leute sich in seiner Gegenwart »unwohl« fühlten. Eine anwesende Frau habe schon den ganzen Abend probiert, ihn rauszuwerfen. »Während ich rausging, hat mir jemand hinterhergerufen ›Free Palestine! Free Palestine!‹« Guttstadt ­berichtet, er habe der Frau zuvor auf ihren Wunsch hin im Zuge einer Aus­einandersetzung auf Instagram in mehreren Sprachnachrichten den Unterschied zwischen berechtigter Israelkritik und Antisemitismus dargelegt, ohne dass sie inhaltlich darauf eingegangen sei. An dem betreffenden Abend habe Guttstadt mitbekommen, wie die Frau im Beisein zweier anderer Frauen seine alten Sprachnachrichten angehört habe. Während eines kurzen verbalen Schlagabtauschs hätten sie zu ihm gesagt, dass jemand wie er nicht im Oyoun sein dürfe.

Antisemitismus und das Awareness-Team

Guttstadt bemühte sich im Nachhinein mehrfach um eine Klärung des Vorfalls und forderte vergeblich eine Entschuldigung seitens des Oyoun. Das Oyoun sprach damals gegenüber Guttstadt davon, dass sich eine Frau von ihm »belästigt und bedrängt« gefühlt habe. Außer dem Mitarbeiter des Awareness-Teams seien »keine weiteren Mitarbeitenden des Oyoun« anwesend gewesen. Nähere Gründe habe das Awareness-Team nicht erfragt, eine Äußerung von Parolen oder eine politische Motivationen des Rauswurfs seien aber niemandem bekannt geworden; man bitte ihn »von weiteren Falschbehauptungen abzusehen«. In der Stellungnahme von Mitte Dezember wich das Oyoun von dieser Erklärung ab und sagte, dass Guttstadt aufgrund von »aggressivem Verhalten und zum Schutz anderer Besucher:in­nen« des Platzes verwiesen worden sei.

Der Jungle World bestätigt die betroffene Frau, die anonym bleiben möchte, dass sie sich am betreffenden Abend »unwohl und nicht sicher« ­gefühlt und sich deshalb an eine ihr bekannte Mitarbeiterin von Oyoun ­gewandt habe. Diese habe das mit den Worten »Das geht nicht, dass du dich im Oyoun unsicher fühlst« kommentiert und daraufhin das Awareness-Team informiert. »Ich habe an keiner Stelle verlangt, dass er gehen soll, sondern erwähnte mehrmals im Laufe des Abends, dass ich gehen werde.« Dass Guttstadt der Veranstaltung verwiesen wurde, habe sie erst im Nachhinein erfahren, nachdem sie die Veranstaltung selbst verlassen hatte.

Als Grund ihrer Gefühle gegenüber Guttstadt gibt sie einen anderen Grund an als er. Zwar habe sie sich über Guttstadts positive Verwendung des Begriffs Zionismus in den Sprachnachrichten »geärgert, aber diese nicht kommentiert«. Sie verbinde das Wort Zionismus mit Besatzung und illegalem Siedlungsbau der palästinensischen Autonomiegebiete. Der eigentliche Grund ihres Unwohlseins sei aber gewesen, dass Guttstadt einen Monat vor der Oyoun-Veranstaltung eine Instagram-Veröffentlichung mit harschen Worten kommentiert hatte.

Bei der Veröffentlichung handelte es sich um eine Solidaritätsadresse an Jina Mahsa Amini, Guttstadt zufolge wurde dabei iranische Propaganda bezüglich der Umstände des Todes der jungen Kurdin im September 2022 reproduziert. Über den Kommentar sagte die Frau: »Das hat mich verletzt und mir Angst gemacht.« Guttstadt hingegen meint, das sei »normale Internetsprache und keine Drohung« gewesen: »Wenn man sich im Internet politisch äußert, muss man auch mal mit harter Kritik umgehen können.«

Absurde »Islamophobie«-Vorwürfe

Tugay Saraç ist eine »ganz absurde Geschichte« im Oyoun widerfahren. Er ist der Neffe von Seyran Ateş und arbeitet für die von ihr gegründete liberale Berliner Ibn-Rushd-Goethe-Moschee als Koordinator für LGBT-Belange. Die Gemeinde hat seit einigen Wochen vorläufig den Publikumsverkehr eingestellt, weil sie aufgrund konkreter Anschlagsdrohungen die Sicherheit der Mitarbeiter und Gäste nicht mehr gewährleisten kann.

Das queere Filmfestival Soura lud ihn am Abend des 22. Oktober 2021 ins Oyoun, damit er nach der Vorführung des ­Dokumentarfilms »Seyran Ateş: Sex, Revolution and Islam« dem Publikum für Fragen zur Verfügung steht. »Eine Stunde vor Start rief mich der Verantwortliche vom Soura an und sagte, dass es Drohungen gegen mich gebe, und wegen dieser Drohungen wolle er mich fragen, ob ich denn noch überhaupt kommen möchte«, erzählt Saraç. Er nahm die Drohungen ernst und sagte seinen Besuch ab. Später erfuhr er von der Regisseurin des Films: »Ein guter Freund von ihr, der der Vorstellung beiwohnte, erzählte, dass Personen, die für das Oyoun arbeiten, vor dem Beginn der Vorführung dastanden und gesagt haben, dass sie den Film nicht unterstützen würden, weil er islamophob sei.«

Die später veröffentlichte gemeinsame Stellungnahme von Oyoun und Soura kommt ohne jede Entschuldigung an Saraç aus. »Es wurde uns an dem Tag bewusst, dass eine kritische und ausgewogene Auseinandersetzung mit dem Film und seiner Protagonistin mit der Panelbesetzung nicht möglich gewesen wäre«, heißt es darin. In einer allein vom Oyoun hinzugefügten Anmerkung kritisieren dessen Betreiber, dass Ateş’ 2018 eine Einladung der rechten österreichischen Partei FPÖ ­angenommen hatte, und sprechen ihr ab, sich für die »Rechte von muslimischen Frauen« einzusetzen, weil sie das »Kopftuchverbot« – gemeint ist das Berliner Neutralitätsgebot an Schulen und ­Gerichten – »öffentlich und juristisch« unterstütze.

Saraç ist empört: »Es war von vornherein geplant, uns in gewisser Weise schlechtzumachen, ohne dass eine Person da sein kann, um sich zu wehren.« Er erzählt, dass er den Kontakt zum Veranstalter des Filmfestivals ­gesucht habe, und zeigt eine Textnachricht. Darin ist zu lesen, dass man den ganzen Vorgang sehr bedauere und dass die Drohungen nicht gegen Saraçs Leben gerichtet gewesen seien, vielmehr hätten die »Sponsoren des Oyoun« gedroht, dessen Finanzierung einzustellen. Um das abzuwenden, habe das ­Oyoun auf Nummer sicher gehen wollen. »Aber wir kennen nicht die Details dieser Behauptungen, um ehrlich zu sein«, gesteht der Verantwortliche und zieht damit die Erklärung des Oyoun in Zweifel.

Demnach müsse, schlussfolgert Saraç, die Drohung vom Berliner Senat gekommen sein, »oder die Personen vom Oyoun wollten mich einfach nicht da haben und haben das als Ausrede genutzt«. Er bemängelt: »Ich finde, sie hätten auf mich zukommen müssen. Das haben sie nicht getan, sie hatten kein Interesse, ein Gespräch zu führen.« Auf Nachfrage der Jungle World, ob Sbou bestätigen könne, dass der Senat auf die Verantwortlichen des Oyoun Druck ausgeübt habe, erhielt die Jungle World keine Antwort. Allerdings ging das Oyoun in der Mitte Dezember ­veröffentlichten Stellungnahme auf den Vorfall ein: »Fakt ist: Unsere Entscheidungen basieren auf Expertenanalysen, die eine kritische Auseinandersetzung mit den Aussagen von Seyran Ateş durchgeführt haben.«

Kollektivcafé K-Fetisch als potentielles jüdisches Anschlagsziel markiert

Einen knapp halbstündigen Spaziergang von den früheren Räumlichkeiten des Oyoun entfernt liegt das K-Fetisch. Das im nördlichen Neukölln ge­legene Kollektivcafé war seit seiner Eröffnung im Jahr 2012 ein Ort, an dem es sich aushalten ließ. Die hellen Altbauräume zogen nicht nur viele Queers und Linke an, sondern auch Menschen aus der Nachbarschaft. Linke Zeitschriften und thematische Bücherreihen luden zum Verweilen ein, in un­regelmäßigen Abständen fanden politische und künstlerische Veranstaltungen statt, unter anderem auch solche der Jungle World.

Ende Oktober änderte sich jedoch der Blick vieler Gäste auf das bis dahin als israelsolidarisch geltende Café, das von seinen linksautoritären Gegnern als »antideutsch« eingestuft wurde. Nicht nur hing in einem der Fenster ein Demoplakat, das für eine palästinensische Großdemonstration unter dem Motto »Free Palestine will not be canceled« warb, die die Gruppen »Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost«, »Palästina spricht«, »Palästina-Kampagne« und »Jewish Bund« am 4. November am Berliner Alexan­derplatz organisierten. Zur selben Zeit veröffentlichte das Betreiberkollektiv eine Stellungnahme auf Instagram. Den Anlass gaben antisemitische Schmierereien, die das Café als potentielles jüdisches Anschlagsziel markierten.

Die Stellungnahme beginnt mit den Worten: »Als linkes, kollektiv geführtes Café wollen wir vor unserer Community und unseren Nachbar:innen unsere klare Haltung gegen die systematische Ermordung und Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung durch den israelischen Staat ausdrücken.« Und weiter: »Wir verurteilen auch das rassistische und brutale Vorgehen der Polizei gegenüber Demonstrant:innen, die ihre Stimme für die Freiheit der Palästinenser:innen erheben.« Erst in den darauffolgenden Sätzen verur­teilte das Kollektiv die antisemitischen Schmierereien an der eigenen Hauswand und »antisemitische Gewalt in all ihren Formen«. Der Text endet mit dem Satz: »Wir sind kein antideutscher Laden.«

Hier ließ es sich aushalten: Eingang zum K-Fetisch

Hier ließ es sich aushalten: Eingang zum K-Fetisch

Bild:
Babewyn (CC BY-SA 4.0 Deed)

Nach Stefan Gerbings Ansicht hat das Kollektiv mit dieser Stellungnahme seine klare Haltung gegen Anti­semitismus aufgekündigt. Im Gespräch erzählt er von seiner Enttäuschung: »Die also auch! Wieder ein linker Ort, an dem man sich nicht mehr wohlfühlen kann.« Er hatte das Café in der Vergangenheit regelmäßig besucht und auch Veranstaltungen dort organisiert. In der Überzeugung, dass es Räume brauche, in denen man miteinander ins Gespräch kommt, dachte er, das ­K-Fetisch könne vielleicht ein solcher Ort sein. Durch ein Kneipengespräch mit einem Freund entstand die Idee, einen offenen Brief zu verfassen. Schnell fanden sich an die 20 Verbündete, die daran mitschrieben.

Obwohl er auf Instagram bislang nur halb so viele Likes erhielt wie die Stellungnahme des Kollektivs, brachte er eine Stimmung von vielen ehemaligen Gästen auf den Punkt. »Weil uns das K-Fetisch als Ort wichtig ist, schreiben wir Euch, denn Eure Erklärung entsolidarisiert sich mit denen, denen der jüngste Angriff galt.« In dem Brief, in dem sich die Verfasserinnen und Verfasser mit den Betreibern aufgrund der Schmierereien solidarisieren, legen sie detailliert dar, inwiefern deren Stellungnahme den grassierenden Antisemitismus relativiert.

Ende Oktober veröffentlichte das Betreiberkollektiv des K-Fetisch eine Stellungnahme auf Instagram, die mit dem Satz »Wir sind kein antideutscher Laden« endet.

Mitte November wandte sich das Kollektiv ein zweites Mal mit einer politischen Stellungnahme an die Öffentlichkeit. Neben einer abermaligen Verurteilung der antisemitischen Schmierereien an ihrer Einrichtung schrieben sie: »Wir wollen, dass das ­K-Fetisch ein Raum ist, in dem sich jüdische Menschen sicher und willkommen fühlen können.« Man befinde sich in einem »andauernden Prozess, das K-Fetisch zu einem sichereren Raum für alle marginalisierten und unterdrückten Menschen zu machen«. Auf Nachfrage der Jungle World wollte sich das Kollektiv nicht weiter äußern. Man habe »momentan leider keine Kapazitäten«; die Priorität läge darauf, sich »Beratung und Unterstützung« bei Fachstellen zu holen.

Henri ist kurze Zeit nach der Gründung des Kollektivs im Jahr 2011 zum ­K-Fetisch gestoßen und hat viele Jahre dort gearbeitet. »Zuerst hat mich das Statement sehr traurig gemacht, weil ich das als Reaktion auf eine antisemitische Schmiererei nicht für möglich gehalten hätte«, erzählt sie im Gespräch. Sie sitzt zusammen mit Elisa Aseva in einem belebten Café am Neuköllner Maybachufer. Auch die ehemalige Kollegin hat mehrere Jahre im K-Fetisch gearbeitet, allerdings ohne sich allzu stark mit dem Kollektiv zu identifizieren, wie sie betont. »Mich hat das natürlich geärgert. Das Statement hat nichts mit einer politischen Analyse zu tun, sondern es geht darum, dass Leute sich unangreifbar machen wollen; man merkt, die haben jetzt Angst und möchten sich keinesfalls von linken Mehrheitsmeinungen abheben«, sagt Aseva.

Beide erzählen, dass auch jüdische Stammgäste ins K-Fetisch kamen und es ein Anziehungspunkt für israelische Linke war, darunter einige mit dezidiert »propalästinensischer« Position. »Wir wissen, dass das erste Statement viele Jüdinnen und Juden und Israelis stark getroffen hat und eben auch Linke, die sich antisemitismuskritisch verorten«, sagt Henri. »Es fiel noch unter den direkten Eindruck des 7. Oktober und damit in eine sehr aufgela­dene Zeit in Berlin. Das Statement war insbesondere zu dieser Zeit das falsche Signal.«

Im Gespräch erzählen sie, dass es früher aufgrund der Veranstaltungsinhalte, der im Laden aufgehängten Plakate und der Zusammenarbeit mit bestimmten Antifagruppen einen »anti-antisemitischen« beziehungsweise »israelsolidarischen Grund­konsens« gegeben habe. Allerdings hätten im Kollektiv unterschiedliche Vorstellungen davon existiert, was man unter politischem Aktivismus versteht, welche Verantwortung man als poli­tisches Kollektiv unterstützt und wie man den politischen Konsens nach außen kommuniziert. In der Praxis habe das gelegentlich zu Schwierigkeiten geführt.

»Ich habe unterschätzt, wie wichtig dieser Kampf um Orte ist« Elisa Aseva

Sowohl Henri als auch Aseva nahmen aber in den vergangenen Jahren eine Veränderung in der mittlerweile vergrößerten und neu besetzten Betreibergruppe des K-Fetisch wahr. Als ei­nige Gäste 2018 an das damalige Kollektiv herantraten und das Plakat einer antisemitismuskritischen Leipziger Veranstaltungsreihe anlässlich des 70jährigen Jubiläum Israels kritisierten, auf dem auch ein Davidstern ab­gebildet war, löste das innerhalb des Kollektivs eine Debatte aus. »Für mich war neu, dass wir das überhaupt diskutieren«, sagt Aseva. Sie selbst stand ­einigen auf dem Plakat angekündigten Referenten kritisch gegenüber, verteidigte ihre Präsenz im Café aber. Das inkriminierte Plakat wurde schließlich abgehängt. »Damit war eigentlich klar, dass das K-Fetisch nicht mehr der Laden ist, der er mal war«, erinnert sich Aseva. Für sie war diese Diskussion ein Auslöser dafür, das Kollektiv nach einiger Zeit zu verlassen.

Den offenen Brief haben sie beide nicht unterzeichnet. Sie stießen sich an einigen Passagen und kritisierten, dass man zuvor nicht das persönliche Gespräch mit den Kollektivmitgliedern gesucht habe. Kurz vor dem Ende des Gesprächs ergänzt Aseva: »Ein paar Wochen später muss ich sagen, dass ich unterschätzt habe, wie wichtig dieser Kampf um Orte ist. Das haben andere Leute vielleicht ein bisschen früher verstanden.«

* Der Name wurde von der Redaktion geändert.