25.01.2024
In Hamburg hat ein Prozess gegen Teilnehmende der G20-Proteste 2017 begonnen

Mitgefangen, mitgehangen

In Hamburg hat der sogenannte Rondenbarg-Prozess gegen fünf Personen begonnen, die sich an einer Protestaktion beim G20-Gipfel 2017 beteiligt hatten. Den Angeklagten wird keine konkrete Tat vorgeworfen, sondern nur die Teilnahme an der Demonstration.

Nils Jansen hat sechseinhalb Jahre auf den Prozess gewartet. »Das macht was mit dir«, meint er am Donnerstag vergangener Woche vor dem imposanten Hamburger Strafjustizgebäude im Gespräch mit der Jungle World. Er ist einer von fünf Angeklagten, die nun in Hamburg vor Gericht stehen, weil sie am 7. Juli 2017 an einer Demonstra­tion gegen den G20-Gipfel teilgenommen hatten.

200 Menschen waren damals hinter einem Transparent mit der Aufschrift »Gegenmacht aufbauen!« und unter roten Fahnen auf dem Weg gewesen, um die Zugänge zum Tagungsort des G20-Gipfels zu blockieren. Die Polizei versuchte, den Zugang zur Innenstadt großflächig abzuriegeln. In einem Industriegebiet in der Straße Rondenbarg lief der Demonstrationszug in die »Falle« der Polizei, wie Christiane Schneider, damals Abgeordnete der Linkspartei in der Hamburgischen Bürgerschaft, es rückblickend im Gespräch mit der Jungle World ausdrückte.

Die Polizei kam von vorne und hinten und ging unter anderem mit Schlagstöcken gegen den Protestzug vor. Fliehende Protestteilnehmer stürzten eine Mauer herunter. 14 Verletzte kamen in Krankenhäuser, einige von ihnen mit Knochenbrüchen und gestauchten Halswirbeln. Die Polizei erhob deren Personalien und nahm 73 weitere Teilnehmende fest.

Einer davon war Nils Jansen. Er schilderte der Jungle World, was ihm damals passiert sei: »Du wirst festgenommen, dann sperren sie dich tagelang ein, du kommst raus, fährst nach Hause – und kriegst dann diese Anzeige. Fünf Monate später durchsucht die Polizei deine Wohnung, verwüstet dein Zimmer, dringt in deine Intimsphäre ein. Dann wird dir diese riesige Akte ­zugestellt, in der steht: Es sind hohe Haftstrafen zu erwarten. Und dieses Ding liegt dann da sechs Jahre rum. Sechs Jahre lang: Jedes Mal, wenn du deinen Briefkasten aufmachst, könnte da Post vom Gericht drin sein.«

»Die Staatsanwaltschaft Hamburg bleibt ihrer Linie treu, zu versuchen, eine Kollektivschuld aller Teil­nehmer:innen der Demonstration zu konstruieren.« Ulrich von Klinggräff, Strafverteidiger

Im August 2023 war es so weit, die Anklageschrift wurde zugestellt. Den Angeklagten werden »gemeinschaft­licher schwerer Landfriedensbruch in Tateinheit mit tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte in einem besonders schweren Fall, versuchte gefährliche Körperverletzung, die Bildung bewaffneter Gruppen und Sachbeschädigung« zur Last gelegt, wie die Pres­sestelle der Hamburger Staatsanwaltschaften mitteilte. Angeklagt waren vier Frauen und zwei Männer. Eine Angeklagte erschien nicht zum Verfahren, ihr Prozess wird deshalb später separat stattfinden.

Gleich zu Beginn des Verfahrens stellte die Vorsitzende Richterin Sonja Boddin klar, dass aufgrund der jahrelangen Verzögerung wahrscheinlich keine hohen Strafen mehr zu ­erwarten seien. Das Gericht werde die hohe Belastung der Angeklagten berücksichtigen. Sie mussten jahrelang auf den ­Prozess warten und müssen nun im Durchschnitt einmal die Woche zum ­Ver­fahren anreisen – zwei von ihnen aus Süddeutschland.

Eine konkrete Tat – etwa ein Angriff auf einen Po­lizisten – wird keinem An­geklagten vorgeworfen. »Die Anklageschrift sagt nur aus, dass unsere Man­dan­t:in­nen sich an dieser Demons­    tration – die Staatsanwaltschaft spricht nur von einem Aufmarsch und verneint den Demonstrationscharakter – beteiligt haben sollen«, sagt Ulrich von Klinggräff der Jungle World. Er ist Strafverteidiger in Berlin und vertritt ­einen der Angeklagten. »Die Staatsanwaltschaft Hamburg bleibt ihrer Linie treu, zu versuchen, eine Kollektivschuld ­aller Teilnehmer:innen der Demonstration zu konstruieren«, so von Klinggräff. »Allein die Anwesenheit in der Demo soll für eine Strafbarkeit zum Beispiel wegen schweren Landfriedensbruchs ausreichend sein – nach dieser Rechtsauffassung kommt es nicht darauf an, dass darüber hinaus eine indi­viduelle Straftat nachgewiesen werden kann.«

Der Gerichtssprecher Kai Wantzen erläuterte in einer Prozesspause am ersten Verhandlungstag im Gerichtsflur das Vorgehen der Staatsanwaltschaft: »Der konkrete Vorwurf lautet, die einzelnen Gewalthandlungen, die Steinwürfe vor allen Dingen, dadurch unterstützt zu haben, dass man in geschlossener Formation und vor allem einem einheitlichen äußeren Erscheinungsbild gemeinsam gelaufen ist, um den einzelnen Gewalttätern Schutz und Deckung in der Gruppe zu verschaffen.« Die Angeklagten werfen der Polizei und der Staatsanwaltschaft am ersten Prozesstag in einer gemeinsamen Erklärung vor, mit ihrem Vorgehen »die Einschränkung von Grundrechten und die Polizeigewalt« legitimieren zu wollen.

Die Beweisaufnahme wird lang und mühsam werden. Das Landgericht Hamburg hat bis zum 16. August 26 Verhandlungstermine angesetzt. »Es werden sicher eine Vielzahl von Zeu­g:in­nen geladen werden und es gibt umfang­reiches Filmmaterial«, so Ulrich von Klinggräff: »Die Tatsache, dass das ­Geschehen mehr als sechseinhalb Jahre zurückliegt, macht die Beweisaufnahme sicher nicht einfacher.«

Begleitet wird der Prozess von mehreren Solidaritätsgruppen. »Statt den äußerst brutalen Polizeieinsatz zu verfolgen, der elf Schwer- und Dutzende weitere Verletzte forderte, stehen die Angegriffenen vor Gericht«, sagt Kim König von der Roten Hilfe Hamburg der Jungle World. »Die Verfahren gegen G20-Gegner:innen müssen umgehend eingestellt werden«, fordert sie.

Durch den Prozessauftakt sieht sie sich bestätigt: »Mit penibelsten Sicherheitskontrollen der Besucher:innen, welche den Start der Verhandlung um zwei Stunden verzögerten, und der Tatsache, dass diese in einem Hochsicherheitssaal stattfindet, wurde suggeriert, dass es sich bei Angeklagten und Un­ter­stützer:innen um sehr gefährliche Menschen handeln muss.«

Am Samstag vergangener Woche protestierten mehr als 1.000 Menschen in Hamburg unter dem Motto »Gegen staatliche Repression – Gemeinschaftlicher Widerstand« gegen den Prozess.