Streit um den deutschen Pass
Das neue Einbürgerungsgesetz ist in Kraft getreten. Nun können Zugewanderte bereits nach fünf statt wie bisher nach acht Jahren Aufenthalt die deutsche Staatsangehörigkeit beantragen. Beim Nachweis »besonderer Integrationsleistungen« geht das schon nach drei Jahren, zudem ist die doppelte Staatsbürgerschaft nun ohne Einschränkungen möglich. Hinzu kommen weitere kleinere Erleichterungen, die das Staatsangehörigkeitsgesetz der postmigrantischen Realität Deutschlands anpassen sollen.
Nur wer arbeitet, darf Deutsche:r werden.
Das eigentliche Ziel der Reform ist aber nicht die rechtliche Gleichstellung von Migrant:innen, sondern die Bekämpfung des Fachkräftemangels. »Wir stärken damit den Standort Deutschland«, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Grundsätzlich gilt: Nur wer arbeitet, darf Deutsche:r werden.
Empfänger:innen von Sozialleistungen sind fortan davon ausgeschlossen, selbst wenn sie für ihre Notlage nicht selbst verantwortlich sind. Das hatte die FDP noch durchgesetzt. Der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Jürgen Dusel, kritisierte, dass dadurch Menschen mit Behinderungen »keinen Anspruch mehr auf Einbürgerung haben«.
Die gemäßigte wie extreme Rechte poltert, als bedeute die Reform nicht weniger als den Untergang des Abendlandes. Sie zerstöre »das soziale Gefüge« und werde »wie kaum ein anderes Projekt der Ampel das Land spalten, Identität und Zusammenhalt schwächen und die Sicherheit gefährden«, konnte man in einem Kommentar in der FAZ lesen.
Gebürtige Deutsche haben für ihren Pass nichts geleistet
Und der Vorsitzende der CDU, Friedrich Merz, schrieb auf X: »Nie in der Geschichte unseres Landes hat eine Regierung so klar gegen die Interessen der Bevölkerung regiert.« Politiker von Union und AfD hatten bereits bei der Ausarbeitung des Gesetzes davor gewarnt, der deutsche Pass werde damit »verramscht«. Was lustig ist, da sie, im Gegensatz zu den Neubürger:innen, für ihren Pass ja wirklich gar nichts geleistet haben – außer als Kind deutscher Eltern geboren zu werden.
Was sie eigentlich stört, ist, dass der deutsche Pass sich, wenn auch langsam, von einem Arierausweis weg entwickelt. Bis ins Jahr 2000 galt, seit 1913 unverändert, in Deutschland das ius sanguinis, das Abstammungsprinzip – worauf sich übrigens die AfD bezieht und eine Rückkehr zum alten Staatsbürgerschaftsrecht fordert.
Seit 2000 wurde das Abstammungsprinzip in mehreren Reformen durch nichtvölkische Kriterien ergänzt, wodurch nach und nach mehr Zugewanderte die Möglichkeit bekamen, deutsche Staatsbürger:innen zu werden. Das offenbar gefällt einigen nicht. »Deutsch sein« sei »mehr als der Pass: Wir haben eine Leitkultur, die sich unter anderem durch Sprache und gemeinsame Werte zeigt«, schrieb zum Beispiel der Thüringer CDU-Vorsitzende Mario Voigt auf X.
Deutscher Antisemitismus wird externalisiert
Sowohl Sprachkenntnisse als auch das Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung sind allerdings Voraussetzung für die Einbürgerung. Es bleibt also unklar, was Voigt hier meint. Die NZZ traute sich im Gegensatz zu ihm, es in einem Kommentar offen auszusprechen: »Denn nichts ist für eine Demokratie so zentral wie die Zusammensetzung des Staatsvolks.«
In einem Punkt müssten CDU und AfD die Reform eigentlich begrüßen: Sie trägt nämlich dazu bei, den deutschen Antisemitismus zu externalisieren und als vorrangig migrantisches Problem darzustellen. So wurde der Einbürgerungstest um Fragen zu Israel erweitert, um Antisemit:innen auszusortieren. Zudem wird ein Bekenntnis »zur besonderen historischen Verantwortung Deutschlands für die nationalsozialistische Unrechtsherrschaft und ihre Folgen, insbesondere für den Schutz jüdischen Lebens« verlangt.
Die historische Schuld Deutschlands wird auf Neubürger:innen übertragen, während viele Nachfahr:innen der Täter:innen sie selbst nicht anerkennen.
Die historische Schuld Deutschlands wird hier auf die Neubürger:innen übertragen, während viele Nachfahr:innen der Täter:innen sie selbst nicht anerkennen. Der Leipziger Autoritarismusstudie zufolge sind zudem 61,3 Prozent der Deutschen der Meinung, man solle sich lieber gegenwärtigen Problemen widmen als »Ereignissen, die mehr als 70 Jahre vergangen sind«. 39,6 Prozent könnten »gut verstehen«, so fand die Mitte-Studie heraus, dass man angesichts der israelischen Politik »etwas gegen Juden hat«. Das ist deutsche Leitkultur.
Vor allem aber darf nicht vergessen werden, dass die Ampelkoalition, die diese im Prinzip begrüßenswerte Reform auf den Weg gebracht hat, gleichzeitig ihre repressive Politik gegen Geflüchtete fortführt und ihren Teil dazu beiträgt, dass viele, die vielleicht in ein paar Jahren Anspruch auf einen deutschen Pass erwerben könnten, es gar nicht erst lebend nach Deutschland schaffen.