Immer weiter jobben
Frei soll der Geist im Studium sein. Und dafür gibt es das Bafög. Doch wenn der Laptop den Geist aufgibt oder eine hohe Stromrechnung in den Briefkasten flattert, wird es bereits eng, denn die gestiegenen Mieten und Lebenserhaltungskosten machen sich im Budget der Studenten bemerkbar. Was die Betroffenen aus ihrem Alltag längst wussten, bestätigte nun das Berliner Verwaltungsgericht.
Eine Studentin, die ab 2016 an der Berliner Charité Medizin studierte, hatte geklagt. Zwischen Oktober 2021 und September 2022 seien die Sätze »in verfassungswidriger Weise« zu niedrig bemessen gewesen. Das Gericht gab ihr in Teilen recht. Der sogenannte Grundbedarf, die Pauschale der Lebenshaltungskosten, von 427 Euro sei »evident« zu gering gewesen und habe »die Gewährleistungen eines ausbildungsbezogenen Existenzminimums verfehlt«. Damit das Bafög eine Teilhabe an Ausbildungschancen ermögliche, müsse seine Höhe mindestens der des Bürgergelds entsprechen. Das lag zu der Zeit bei 446 Euro.
»Die Studierenden müssen bisweilen sehr lange darauf warten, bis sie definitiv einen Bafög-Bescheid vorliegen haben.« Sabine Gries-Redeker, Familienrechtsexpertin
Endlich weg mit lästigem Gastro-Job und ganz auf das Studium konzentrieren? Darauf können Studenten nur hoffen. Denn das Berliner Verwaltungsgericht war lediglich befugt zu entscheiden, dass die Sätze zu gering waren. Ob sie tatsächlich verfassungswidrig sind, liegt nun im Ermessen des Bundesverfassungsgerichts. Selbst im Falle einer Verfassungswidrigkeit hätte die Bundesregierung einen gewissen Handlungsspielraum, da sie einem entsprechenden Urteil mit verschiedenen Vergünstigungen oder Zuwendungen für Studenten nachkommen könnte. Angemessene Bafög-Sätze dürften teuer für die Bundesregierung werden.
Der Familienrechtsexpertin Sabine Gries-Redeker zufolge bereiten die Lebenshaltungskosten den Bafög-Beziehern ohnehin weniger Probleme als die Bürokratie. »Die Studierenden müssen bisweilen sehr lange darauf warten, bis sie definitiv einen Bafög-Bescheid vorliegen haben«, gibt sie im Gespräch mit der Jungle World zu bedenken. Die Einkünfte der Eltern, von denen der Bafög-Satz abhängig ist, zu ermitteln, könne einige Zeit dauern.
Wocheneinkäufe immer teurer
Viele Studenten haben aber diese Zeit nicht. Will beispielsweise eine Abiturientin aus Schwerin in Berlin Medizin studieren, ist aber wegen der hohen Mieten auf die Wohnkostenpauschale vom Bafög-Amt angewiesen, kann die Wartezeit im schlimmsten Fall dem Studium im Wege stehen.
»Selbst wenn man das rechtzeitig beantragt, die brauchen Zeit«, sagt Jasmin Picker der Jungle World. Die 23jährige studiert in Hannover Politikwissenschaft im sechsten Semester. Ihr Vater ist mittlerweile Rentner, die Mutter Hausfrau. Picker erhält mit 820 Euro den Höchstsatz an Bafög. Zu Beginn ihres Studiums zog sie bei ihren Eltern aus. Auf die Wohngeldpauschale musste sie beinahe ein ganzes Semester lang warten.
Für 300 Euro Warmmiete fand sie ein besonders günstiges WG-Zimmer. Dennoch kellnert sie auf Minijobbasis. »Man möchte ja auch noch in den Urlaub fahren«, so Picker. Zudem sind die Wocheneinkäufe mittlerweile viel teurer geworden und die hohen Semestergebühren ihrer Universität von über 400 Euro sind im Bafög nicht enthalten.
Die Wahl des Studienorts hängt immer mehr davon ab, wo man sich die Miete leisten kann.
Anfang des Monats brachte die Bundesregierung eine Bafög-Reform auf den Weg. Um fünf Prozent stiegen die Grundbedarfssätze. Die Wohnkostenpauschale wurde von 360 auf 380 Euro angehoben. Außerdem wurde ein sogenanntes Flexibilitätssemester eingeführt, womit Studenten ohne Angabe von Gründen über die Förderungshöchstdauer hinaus für ein weiteres Semester Bafög erhalten. Auch für einen Fachrichtungswechsel haben Studenten ein Semester länger Zeit, ohne negative Folgen befürchten zu müssen. Bisher war das bis zum Beginn des vierten Fachsemesters möglich.
Die meisten Studenten zahlen jedoch weit mehr Miete als Jasmin Picker – und vor allem mehr, als die neue Wohnkostenpauschale abdeckt. Die Wahl des Studienorts hängt immer mehr davon ab, wo man sich die Miete leisten kann. Eine Studie des Moses-Mendelssohn-Instituts errechnete, dass ein WG-Zimmer Studenten durchschnittlich 479 Euro Warmmiete kostet. Demnach reicht in 73 der 90 untersuchten Städte der Bafög-Satz nicht mehr für ein solches Zimmer aus.
Die Reform ändert nur wenig
In München lag die durchschnittliche Miete für ein WG-Zimmer im vergangenen Jahr bei 700 Euro, in Frankfurt am Main waren es 580 Euro und in Berlin 550 Euro. Bafög-Bezieher sind in diesen Städten also zwangsläufig auf einen Nebenerwerb angewiesen. Das stehe allerdings im Widerspruch dazu, dass »ein Studium in Regelstudienzeit, also in Vollzeit abgeschlossen werden muss«, so Benjamin Rauch, der Pressesprecher der Frankfurter Studentengewerkschaft »Unterbau«, zur Jungle World. Die Reform ändert seiner Ansicht nach wenig an der Situation.
Gries-Redeker sieht eine mögliche Lösung darin, Studentenwohnheime auszubauen, wie es auch schon andere EU-Länder vorangetrieben haben. So könnten Studenten günstig wohnen, ohne dass die Bafög-Sätze ständig angehoben werden müssten. »Da hat Deutschland einen hohen Nachholbedarf.«