Hauptsache Oper
Im Klappentext wird ein übergewichtiger Tenor versprochen, der sich im Buch allerdings als Bariton entpuppt, was gleich weniger charmant wirkt. Ein Tenor dagegen findet sich bei Franziska zu Reventlow (»Von Paul zu Pedro«, 1912), an deren Stil Rosemary Tonks’ Roman »Der Köder« auch sonst erinnert.
Der Bariton ist keiner der vielen Liebhaber der Ich-Erzählerin Min, möchte aber einer werden, und seine Bemühungen ziehen sich wie ein roter Faden durch das Buch. Min arbeitet als Tontechnikerin bei der BBC, sie spielt Klavier und hört die Grammophonplatten (dieses Wort benutzt sie wirklich!) des berühmten russischen Opernsängers Fjodor Schaljapin (Bass).
Vor allem aber widmet sie sich ihren Freundinnen, deren Liebschaften ebenso verworren sind wie ihre eigenen, und überlegt, ob sie sich des Baritons erwehren oder ihn erhören soll. Verheiratet ist sie auch, aber ihrem Ehemann George wird wenig Beachtung geschenkt.
Das lange Nachwort des britischen Verlegers Neil Astley schildert die seltsame Biographie Rosemary Tonks’ (1928–2014), die mit nicht einmal 40 Jahren das Schreiben aufgab.
Das alles spielt vor dem Hintergrund von Swingin’ London der sechziger Jahre, genauer gesagt, 1967 – die Jahreszahl wird nicht genannt, aber eine Romanperson nimmt an der Beerdigung des Rasputin-Mörders Felix Jussupow teil! Aber nicht immer sind die zeitgebundenen Anspielungen auf Politik, Literatur und Musik im Buch so leicht zu entschlüsseln.
Das lange Nachwort des britischen Verlegers Neil Astley schildert die seltsame Biographie Rosemary Tonks’ (1928–2014), die mit nicht einmal 40 Jahren das Schreiben aufgab, sich einer fundamentalistischen christlichen Gemeinde anschloss (welcher, verrät er leider nicht) und den Rest ihres Lebens unter dem Namen ihres geschiedenen Gatten im südenglischen Badeort Bournemouth verbrachte.
Das alles kann dem Genuss beim Lesen dieses spannenden, witzigen und wahrhaft funkensprühenden Romans, der jetzt im März-Verlag wieder aufgelegt wurde, keinen Abbruch tun.
Rosemary Tonks: Der Köder. Aus dem Englischen von Eva Bonné. März-Verlag, Berlin 2024, 25 Euro