Freundschaftsbänder zum Trost
Im Wiener Prater drehten Mitte voriger Woche Jogger:innen ihre Runden, Schwimmbad und Biergärten sorgten bei 30 Grad Celsius für Abkühlung. Nur wenige Meter entfernt standen vor dem Ernst-Happel-Stadion bereits zahlreiche Fans der US-amerikanischen Popsängerin Taylor Swift. Auf der Europa-Tournee der 35jährigen wollten sich von Donnerstag bis Samstag täglich jeweils 60.000 »Swifties« in der Arena einfinden. Tausende weitere wurden vor den Stadiontoren erwartet, denn bei Swift geht es um mehr als Musik.
Auch Fans ohne Eintrittskarte tummelten sich vor dem Veranstaltungsort. Dort knüpften die vornehmlich jungen Frauen Freundschaftsarmbänder, tranken Alkoholfreies aus überdimensionierten Stanley Cups – teure Thermobecher, die in den sozialen Medien gerade trenden – und streiften sich ihrem Idol nacheifernd mitunter Cowgirl-Stiefel und Hut über. Die wenigen Männer zeigten sich gern auch im Trikot von Swifts Freund Travis Kelce, einem fast zwei Meter großen und 116 Kilogramm schweren American-Football-Spieler.
Nicht nur ist Swift eine Identifikationsfigur für die LGBT-Bewegung, auch Feministinnen sehen in ihr eine Vorkämpferin. Die Konzerte seien für die Gemeinde ein »Safe Space«, gab ein Fan der Welt zu Protokoll.
Allen heteronormativen Klischees, Swifts Hang zu Flugreisen mit Privatjets und dem leicht sektenhaften Verhalten der Fangemeinde zum Trotz, kann der überaus erfolgreichen Musikerin etwas an emanzipatorischer Wirkung attestiert werden. Nicht nur ist Swift eine Identifikationsfigur für die LGBT-Bewegung, auch Feministinnen sehen in ihr eine Vorkämpferin. Die Konzerte seien für die Gemeinde ein »Safe Space«, gab ein Fan der Welt zu Protokoll. »Man kann einfach feiern und muss keine Angst davor haben, blöd angemacht zu werden, oder vor irgendwelchen komischen Blicken.« Kein Wunder, dass Swift Feinde im Maga-Lager der Anhänger Donald Trumps hat.
Doch von anderer Seite rührte sogar eine akute Gefahr. Am Mittwochnachmittag vergangener Woche nahm die Polizei im niederösterreichischen Ternitz sowie in der Hauptstadt Durchsuchungen und drei Festnahmen vor, nachdem US-Geheimdienste ihre österreichischen Kollegen über einen geplanten Terroranschlag informiert hatten.
Am Donnerstag meldete die Polizei, dass der Hauptverdächtige umfassend geständig sei. Demnach hatte der 19jährige Österreicher Beran A., dessen Familie aus Nordmazedonien stammt, davon gesprochen, »entweder heute oder morgen sich selbst und eine große Menschenmenge vor dem Stadion zu töten«. Der Tageszeitung Kurier zufolge beschreiben Nachbar:innen den bis vor kurzem »milchgesichtigen Buben« als ein Musterbeispiel dafür, »wie man sich den Schläfer einer Terrorzelle vorstellt«. Sein Erscheinungsbild soll sich von Grund auf gewandelt haben. Die bei der Hausdurchsuchung gefundenen Anabolika könnten erklären, weshalb er so »auftrainiert« gewirkt habe.
Anleitungen zum Bombenbau
Aufgewachsen in Wien, zog A. später mit der Familie in die knapp eine Autostunde entfernte 15.000-Einwohner-Gemeinde. Dort arbeitete er bis Ende Juli in einem Stahlwerk, kündigte jedoch, weil er »Großes« vorhabe. An seinem Arbeitsplatz entwendete A. zahlreiche Chemikalien. Bei der Durchsuchung fand die Polizei zudem Anleitungen zum Bombenbau sowie Zündvorrichtungen.
Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) schrieb auf X, die Situation sei »sehr ernst« gewesen. Nur weil die Bedrohung frühzeitig erkannt worden sei, habe »eine Tragödie verhindert« werden können. Der Verdächtige habe sich der Polizei zufolge im Internet radikalisiert und erst vor wenigen Wochen der Terrormiliz »Islamischer Staat« (IS) die Treue geschworen.
Ein 17jähriger Freund von A., der beim Swift-Konzert vermutlich bei der Security gearbeitet hätte, gilt den Ermittlern als mutmaßlicher Komplize. Ein Bekannter von A., ein 18jähriger Iraker, wurde Freitag ebenfalls verhaftet. Er war nach Angaben der Ermittler nicht in die Pläne eingebunden, habe aber auch einen IS-Schwur abgelegt und Propagandamaterial in sozialen Medien geteilt. Dem Standard zufolge hat A. sein Geständnis bereits wieder zurückgezogen.
Über das Tatmotiv wird munter spekuliert. Von »toxischer Männlichkeit« war in sozialen Medien die Rede, manchmal gar davon, das Patriarchat sei hier am Werk gewesen.
Seine Anwältin sagte der Tageszeitung, A. habe zwar in einer Vernehmung behauptet, sich mit dem Bau einer Bombe beschäftigt zu haben, aber nie vorgehabt, einen Anschlag zu verüben. Zu seiner Beschäftigung mit IS-Material sage A. nun, er habe lediglich seinen »Wissensdrang« befriedigen wollen, so der Standard.
Über das Tatmotiv wird munter spekuliert. Von »toxischer Männlichkeit« war in sozialen Medien die Rede, manchmal gar davon, das Patriarchat sei hier am Werk gewesen. Unter den »Swifties« machte sich auch Wut auf die Stadt Wien und die Polizei breit, anstatt froh zu sein, dass nicht etwas Ähnliches passiert ist wie 2017 nach einem Konzert des Teenie-Stars Ariana Grande in Manchester, als ein islamistischer Selbstmordattentäter sich sowie 22 Menschen in die Luft sprengte.
Swift hat sich noch nicht geäußert
Letztlich war es jedoch der Konzertveranstalter, der das Risiko nicht tragen wollte. Damita Pressl von der Neuen Zürcher Zeitung nahm auf ihrem X-Account Anteil an der Enttäuschung der Swift-Fans, schrieb aber auch: »Schuld sind Islamisten. Nicht die Behörden. Nicht das Patriarchat. Islamisten.«
Zwar heißt es vom Veranstalter, Swift wolle bald wieder nach Österreich kommen und sei »tief bestürzt«, doch scheint sie die Stadt grußlos verlassen zu haben. Auf eine offizielle Mitteilung von ihrem Superstar warten die Fans noch.