»The Breaks«, das neue Album der Suuns, steht im Widerstreit von Experiment, Pop und Spaß

Poppig statt verbissen

Die Rockband Suuns hat sich für ihr neues Album »The Breaks« vorgenommen, ruhiger zu werden – und nebenbei wirkt sie auch erwachsen.

»The Breaks« heißt das neue Album der kanadischen Experimental­rocker Suuns, und es lässt sich vor dem Hintergrund der 17jährigen Bandgeschichte in der Tat als ein Tritt auf die Bremse verstehen, um eine Verschnaufpause einzulegen. Den Grund­impuls des Vorgängeralbums »The Witness« von 2021 beschrieb Keyboarder Joseph Yarmush damals folgendermaßen: »Wir wollten etwas zur Ruhe kommen, auch beim Abmischen. Unsere Notizen lauteten einfach: ›Ihr müsst zur Ruhe kommen.‹ Wir haben im Grunde versucht, alle bombastischen Tendenzen zurückzu­halten und die Dinge sehr subtil klingen zu lassen.«

»The Breaks« setzt diesen Weg konsequent fort. War die erste Phase der Band ab dem Jahr 2007 noch ­geprägt von elaboriertem Krach, kryptischer Weltschmerzlyrik und unkonventionellen Songstrukturen, besteht »The Breaks« aus acht zwar idiosynkratischen, aber dennoch unverhohlenen Popsongs.

Schlagworte des Zielgruppenmarketings

Nun ist dem Attribut »experimentell« im Bereich der populären Musik freilich grundsätzlich zu misstrauen, so wie Genrebezeichnungen (sobald sie über die allgemeine Stilistik hinausgehen) ohnehin nicht als ­Begriffe musikalischer Sachverhalte, sondern als Schlagworte des Zielgruppenmarketings zu verstehen sind. Ordnet ein Label eine Band also dem Experimental Rock zu, sagt das zunächst bloß, dass es sich von einem Publikumssegment mit überdurchschnittlichem Distinktionsbedürfnis den besten Absatz verspricht.

Suuns - Gefasst wie die Fische an der Angel

Lakonie des Schicksals. Gefasst wie die Fische an der Angel

Popu­läre Musik bedeutet a priori Standardisierung. Und ein jeder Popsong laboriert an der Aufgabe, den Konventionen nicht ausnahmslos entsprechen zu dürfen, will er sich von der Masse abheben, sie aber auch nicht wesentlich antasten zu dürfen, denn die ihrerseits standardisierten Bedürfnisse des Publikums will er auch nicht unbefriedigt lassen.

Experiment nicht in einem sachhaltigen Sinne 

Damit ist keineswegs gesagt, dass dabei nicht allerlei Schönes, Inspirierendes, Geist- und Lustvolles entstehen könnte. Vom Experiment aber, das sich in der Wissenschaft wie in der Kunst dadurch auszeichnet, dass nicht von vornherein feststeht, was dabei herauskommt, kann nicht in einem sachhaltigen Sinne die Rede sein, wenn eine Musik auf die Modelle der populären Musik fest­gelegt ist – und das ist heute eine jede, die deren falsche Selbstverständlichkeit nicht der eigenen Beschaffenheit nach negiert.

Musikalische Ma­terialkonstellationen historisch sehr spezifischen Ursprungs – wie das regelmäßige Metrum, die gleichstufig temperierte Stimmung, die Klang­typen der harmonischen Tonalität, die Formglieder des Strophenlieds und das Tonsatzmodell von Melodie und Begleitung – gelten in der populären Musik (und damit dem musikalischen Massenbewusstsein) als Merkmale von Musik schlechthin und sie stehen auch in sich noch so experimentell oder avanciert dünkender Popmusik nie ernsthaft in Frage.

Es ist ein altes Dilemma experimenteller Popmusik, dass ihre Produkte insgeheim um die eigene Konventionalität wissen und alle Momente, in denen sie Abgrenzung betreiben, selbst zu Klischees gerinnen.

Das gilt auch für die früheren, im Verhältnis zu »The Breaks« unkonventionelleren Alben von Suuns. Es ist ein altes Dilemma experimen­teller Popmusik, dass ihre Produkte insgeheim um die eigene Konven­tionalität wissen und alle Momente, in denen sie Abgrenzung betreiben, selbst zu Klischees gerinnen. Da wäre zum Beispiel das Sopransaxophon als quietschendes, zischendes, sprotzendes, wie es zunächst in den Händen John Coltranes zum Emblem des Free Jazz und dann zum Klischee des Experimentellen schlechthin wurde. In der Rocksphäre entspricht dem vielleicht am ehesten das übersteuerte Gitarren-Feedback, das auf früheren Suuns-Alben immer mal wieder als breitschultrig krachende Fanfare auftritt.

Beides hört man auch auf »The Breaks«, aber in äußerst verzärtelter Weise: Im Eröffnungsstück »Vanish­ing Point« mischt sich ein Sopransaxophon fast unhörbar leise mit zerbrechlichen Spaltklängen in das zurückgelehnte Akkordpendel der Synthie-Orgel und tritt nur zwischen den Strophen mit zurückhaltend angedeuteten Tontupfern in den Vordergrund. In »Wave« und »Overture« sind feine Gitarren-Feedbacks mit unwahrscheinlich schönen Schwebungen in die Textur eingewoben, die klingen, als wolle die stumme Equipment-Maschinerie als jubilierender Chor neu auf die Welt kommen.

Bisher unbekannte Direktheit 

Wo »Overture« sich in der Mitte zur einzigen wirklich bombastischen Geste des Albums hinreißen lässt, übernimmt darin sogar paradox die Feedback-Schicht die Funktion eines zärtlichen Gegenpols zu dem stampfenden Ensemble aus stark komprimierten Drums, wuchtigen Pfundnoten im Bass und einem hymnischen Synthesizer, der sich auch in jeder ekstatischen Trance-Nummer gut machen würde. Überhaupt hat der Song die im besten Sinne eigenartige Klanggestalt eines verlangsamten Trance-Stücks, das bis zum Durchbruch wie durch Milchglas verunklart ist oder vielleicht die Geräusche einer Kirmes auf der anderen Seite des Hügels evoziert.

Ziemlich bodenständig unterwegs: die kanadischen Experimentalrocker

Ziemlich bodenständig unterwegs: die kanadischen Experimentalrocker

Bild:
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»Fish on a String« tut sich dagegen durch eine im Gesamtwerk von Suuns bisher unbekannte Direktheit hervor. Über einem denkbar simplen Drum-Machine-Beat und motorischen Gitarrenachteln breitet ein resigniert-lakonischer Sprechgesang das Bild vom Fisch an der Angel aus, das sowohl von der Erfahrung gesellschaftlicher Heteronomie als auch von der Verfallenheit an eine unglückliche Liebe erzählen könnte: »Yeah I guess I must be some kind of fish on a string/Yeah I know you know just what I mean/Drag me around like it’s some kind of joke/Another day with a hook down my ­throat«. An genau der Stelle, an der dem Modell nach ein Refrain Kon­sequenzen aus dem Setup der Strophen zu ziehen hätte, verflüchtigt sich der Beat jedes Mal in eine reglos dastehende Klangfläche, als wäre ein ursprünglich einmal dastehender Refrain einfach mit einem breiten Synthesizer-Pinsel überweißelt worden.

Geste des Verschwindens ins Nichts

Diese Geste des Verschwindens ins Nichts durchzieht das ganze Album, wirkt wie das Hauptthema. »Vanishing Point«, dessen Titel ganz direkt darauf anspielt, verliert sich zum Ende in einen gestaltlos kreisenden Arpeggiator und ist schon vorher in in Auflösung begriffene, pendelnde Flächenklänge gegliedert, in die sich nur Inseln von gestalthaftem Groove einschalten.

Die Musik von Suuns hat durch ihre neue Großzügigkeit im Umgang mit dem Poppigen allemal an Lust gewonnen und sich einer zuweilen kindisch anmutenden Verbissenheit entwunden, die gerade den wirklich gewagten unter den früheren Stücken stets eine ungenießbare Note beigemischt hat. In Yarmushs Formulierung »zur Ruhe kommen« (»settle down«) ist nicht nur die Beruhigung enthalten, sondern auch das Erwachsenwerden, zu dem wohl oder übel zu gehören scheint, dass man sich die Hörner abgestoßen hat.

Es bleibt bei aller Raffinesse, mit der »The Breaks« die Konventionen individualisiert, etwas Tragisches daran, dass die Emanzipation von den eigenen experimentellen Klischees immer wieder nur beim – sei es auch eigenartigen – Popsong zu landen scheint. Tragischer noch, wenn dieser sogar schlichtweg die bessere Musik ist, als das Resultat des wie auch immer ohnmächtigen Versuchs, ernsthaft etwas anderes zu machen.


The Breaks - Albumcover

Suuns: The Breaks (Joyful Noise)