Partei als Schutzschild
Allenthalben ist derzeit die These zu hören, die neunziger Jahre seien zurück: Wie damals gebe es heutzutage wieder eine große rechtsextreme Subkultur und alltägliche Nazi-Gewalt. Das Rechtsrockkonzert, das am Freitag vergangener Woche im sächsischen Riesa stattfand, scheint diese These zu bestätigen. Die Ankündigung las sich zumindest wie eine aus der Vergangenheit: Die auftretenden Musiker wie die Band Spreegeschwader und der Sänger Lunikoff – so der Künstlername des Frontmanns der als kriminelle Vereinigung verbotenen Band Landser – gelten als Veteranen der Rechtsrockszene.
Riesa sei ein »Sehnsuchtsort« für Neonazis, sagt Lotta Kampmann vom Medienprojekt Recherche-Nord.
Weshalb eine Veranstaltung mit einem solchen Line-up kaum größeres Medieninteresse weckte, ist Lotta Kampmann vom Medienprojekt Recherche-Nord ein Rätsel. »Wenn wir uns an die mediale Abdeckung der Veranstaltungen in Themar 2018 oder in Ostritz 2019 erinnern, ist mir schleierhaft, weshalb außer uns und einem weiteren Team von Fachjournalist:innen keine Kolleg:innen vor Ort waren«, sagt Kampmann der Jungle World. Doch betont sie auch, dass das Konzert in Riesa im Vergleich zu diesen Veranstaltungen deutlich weniger erfolgreich gewesen sei. Eigentlich sei eine Versammlung mit 250 Teilnehmern angemeldet gewesen, doch am Ende seien nicht mehr als 150 Personen gekommen. Dem Aussehen nach habe es sich größtenteils um Naziskins gehandelt.
Das Festival trug den Namen »Heimat Kultur Werk Rockt«, organisiert wurde es vom Heimat-Kultur-Werk (HKW), einem neuen »kulturellen Arbeitskreis« der Partei »Die Heimat« (früher NPD). Am Tag der Veranstaltung veröffentlichte ein Vorstandsmitglied der Partei, Sebastian Schmidtke, einen Auszug einer Gerichtsakte in den sozialen Medien; daraus ging hervor, dass einige zuvor angeordnete Auflagen aufgehoben worden waren, darunter das Alkoholverbot.
Journalist:innen bedroht
Dennoch wurde der zweite Tag der Veranstaltung dann kurzfristig abgesagt – eigentlich hätte das Festival am Samstag weitergehen sollen. »Wir gehen davon aus, dass die Absage mit den behördlichen Auflagen« zusammenhänge, bemerkt Kampmann dazu. »Der geringe Mobilisierungserfolg dürfte aber auch mit dem Bekanntwerden des Konzertorts und dem daraus folgenden Polizeieinsatz zu tun haben.« Die Polizeipräsenz habe die Teilnehmer aber nicht daran gehindert, die anwesenden Journalist:innen zu bedrohen.
Neonazis scheinen sich in Riesa sehr sicher zu fühlen. Die Ergebnisse der Landtagswahl am 1. September, bei denen die AfD in der Stadt überdurchschnittliche 38 Prozent der Stimmen erhielt – die rechtsextremen Freien Sachsen kamen auf 2,2 Prozent –, tragen sicherlich dazu bei.
Die frühere Industriestadt Riesa teilt das Schicksal vieler ostdeutscher Mittelstädte: Nach dem Fall der Mauer kam die Deindustrialisierung, viele Menschen zogen weg. Im Jahr 2000 verlegte die NPD-Parteizeitung Deutsche Stimme ihren Sitz von Stuttgart nach Riesa. Bis heute verfügt die Partei dort über eine für sie wichtige Immobilie. Dort fand auch im vergangenen Jahr der Parteitag statt, an dem die NPD sich in Die Heimat umbenannte.
»Wir begleiten die Gegebenheiten hier nun schon seit einigen Jahren«, sagt Kampmann. Es sei erschreckend, wie wenig überregionale Aufmerksamkeit die Lage in Riesa erhalte, »obwohl sich hier Heimat, AfD und Freie Sachsen die Hand geben«. Im August berichtete Recherche-Nord vom Sommerfest des Verlags Deutsche Stimme in Riesa. Der Videobeitrag zeigt eindrücklich, mit welcher Selbstverständlichkeit die anwesenden Neonazis die Journalist:innen mit dem Tod bedrohten; der »Tag werde kommen«, sagt ein Mann in die Kamera, »da hängen Leute wie du an der Laterne hier vorne«.
Womöglich will Die Heimat mit dem HKW die in der Rechtsrock-Branche durch das Verbot der Hammerskins entstandene Lücke füllen.
Dem Spiegel zufolge besuchte auch die Riesaer AfD-Stadträtin Annett Michler das Sommerfest. Sie bestreitet das zwar, doch dem Spiegel zufolge gibt es eine Videoaufnahme, die zeigt, wie die AfD-Politikerin das abgesperrte Gelände betritt.
Kampmann meint, Riesa sei ein »Sehnsuchtsort« für Neonazis: »Bei manchen Veranstaltungen regelten hier statt der Polizei die Jungen Nationalisten den Verkehr« – also die Jugendorganisation von Die Heimat.
Auffällig ist, dass das HKW wenige Monate nach dem Verbot der Hammerskins im September 2023 gegründet wurde. Die Hammerskins waren eine straff organisierte, international tätige Nazi-Organisation, die Rechtsrockkonzerte und -festivals organisierte. Womöglich will Die Heimat mit dem HKW die in der Rechtsrock-Branche entstandene Lücke füllen. Geleitet wird das HKW von dem Nazi-Musiker Philipp »Phil von Flak« Neumann. Er ist Sänger der »Hammerskin-Band« – so Belltower News – Flak, die im Jahr 2018 beim »Hammerfest« im Elsass auftrat, zu dem Hammerskins aus ganz Europa kamen, wie das Portal Endstation rechts berichtete. Im Juli wurde Neumann vom Szenemagazin N.S. Heute zur Gründung des HKW interviewt. Er meinte dort, das Ziel sei, »auf lange Sicht zwei Veranstaltungen im Jahr zu organisieren«.
Strategie der NPD, Mitglieder verbotener Organisationen aufzunehmen
In den neunziger Jahren gehörte es zur Strategie der NPD, die Mitglieder verbotener Organisationen in die Partei zu übernehmen. Zu Beginn jenes Jahrzehnts hatte sich die NPD in einer tiefen Krise befunden: Tonangebend auf der Straße waren andere Nazi-Gruppen, wie die »Freien Kameradschaften«, und bei Wahlen wurde sie von der DVU und den Republikanern in den Schatten gestellt.
Dies änderte sich mit dem Verbot einer Reihe neonazistischer Gruppierungen, darunter im Jahr 1995 der Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei, deren früheres Mitglied Thorsten Heise mittlerweile im Bundesvorstand von Die Heimat sitzt. Eine Kampagne des 1996 gewählten Parteivorsitzenden Udo Voigt – auch er ist bis heute Mitglied des Bundesvorstands – schaffte es, organisatorisch heimatlos gewordene Nazis in die Partei zu integrieren. Mit einer programmatischen Neuausrichtung auf die Situation in Ostdeutschland, sprich: einer Radikalisierung, schaffte es die NPD auf diese Weise, in der Nazi-Szene wieder relevant zu werden.
Bereits zweimal sind Verbotsverfahren gegen die NPD vor Gericht gescheitert. Das macht einen weiteren Versuch, die Partei zu verbieten, unwahrscheinlicher. Die Heimat, wie die NPD nun heißt, bietet deshalb einen relativ sicheren organisatorischen Rahmen für aktivistische Nazis.
Diese Funktion als Auffangbecken für die Mitglieder verbotener Organisationen erfüllte sie mutmaßlich auch nach dem Verbot der Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ) im Jahr 2009. Die HDJ war ein rechtsextremer Jugendverband, der zum Beispiel Zeltlager organisierte. Nach dem Verbot traten ehemalige HDJ-Funktionäre in die NPD ein und engagierten sich in der neu gegründeten »Interessengemeinschaft Fahrt & Lager« im NPD-Jugendverband.
Bereits zweimal sind Verbotsverfahren gegen die NPD vor Gericht gescheitert. Das macht einen weiteren Versuch, die Partei zu verbieten, unwahrscheinlicher. Die Heimat, wie die NPD nun heißt, bietet deshalb einen relativ sicheren organisatorischen Rahmen für aktivistische Nazis. Dass sie – wohl vor allem wegen des Aufstiegs der AfD – immer weniger Mitglieder und kaum noch Wähler hat, ändert daran nichts Grundlegendes.
Dementsprechend zwiespältig ist das Fazit, das Kampmann nach der Veranstaltung in Riesa zieht: »Auch wenn Rechtsrock gerade nicht mehr an frühere Mobilisierungserfolge anknüpfen kann, gehen wir davon aus, dass das Heimat-Kultur-Werk in Zukunft versuchen wird, größere Veranstaltungen zu machen.«