Antifaschistische Arbeit in den neunziger und nuller Jahren war vor allem Abwehrkampf

Tatütata, die Antifa

Im Dokumentarfilm »Antifa – Schulter an Schulter, wo der Staat versagte« kommen Personen zur Sprache, die sich der Neonazi-Szene im vereinigten Deutschland entgegenstellten. Der Film trägt Erfahrungen aus zwei Jahrzehnten antifaschistischer Politik zusammen.

»Die Polizei zieht sich zurück, wir müssen jetzt da hinfahren.« Diesen Satz dürften organisierte Antifaschisten nur zu gut kennen. Marco Heinig und Steffen Mauer lassen ihren Dokumentarfilm »Antifa – Schulter an Schulter, wo der Staat versagte« mit diesen so typischen Worten beginnen. Sie haben mit fünf Personen gesprochen, die in Göttingen, Quedlinburg, Rendsburg, Hamburg, Ost- und Westberlin aktiv waren und ausführlich über die Hintergründe und Praktiken einer Bewegung berichten, die der aufblühenden Neonazi-Szene im vereinigten Deutschland entgegentrat. Zeitlich setzt der Film mit den nationalistischen Aufwallungen der Wendezeit ein, den rassistischen Pogromen und der Einschränkung des Asylrechts.

Der Film trägt Erfahrungen aus zwei Jahrzehnten zusammen und regt – wenn auch indirekt – zur Reflexion darüber an, was Antifaschismus in der Gegenwart bedeuten sollte.

Gerade im Osten bedeutete autonome Antifa zuallererst Abwehrkampf und Selbstschutz. Das zeigt der Dokumentarfilm gleich zu Beginn anhand von Archivmaterial. Zu sehen sind Gruppen, die im August 1992 nach Rostock-Lichtenhagen gefahren sind, um den deutschen Mob und dessen Po­grom aufzuhalten. Hier wird sogleich deutlich, worum es vielfach ging: Antifa war Feuerwehrpolitik. Doch eben nicht nur: Der Film trägt Erfahrungen aus zwei Jahrzehnten zusammen und regt – wenn auch indirekt – zur Reflexion darüber an, was Antifaschismus in der Gegenwart bedeuten sollte.

Auf X wurde kritisiert, der Untertitel des Films stelle die autonome Antifa als systemstabilisierend dar – doch ist er eher als Beschreibung einer praktischen Notwendigkeit zu verstehen. Dar­in liegt jedoch zugleich die Leerstelle der Betrachtung. Die Regisseure interessieren sich vor allem für die praktische Arbeit von der Vernetzung bis zum Straßenkampf. Inhaltliche Debatten wie jene, die unter den Stichworten »autonom« versus »postautonom« geführt wurden, spielen genauso wenig eine Rolle wie interne Auseinandersetzungen über den von Teilen der Antifa vertretenen Antiimperialismus.

Ausklammern inhaltlicher Konflikte

Die Diskussionsfreudigkeit der Szene macht jedoch ihre eigentliche Stärke aus. Das Ausklammern inhaltlicher Konflikte trägt zur Mythenbildung über eine Bewegung bei, hinter deren Mythos man eigentlich hatte schauen wollen. Zugleich fehlt der Gegenwartsbezug. Dass der Film sich auf die neunziger und nuller Jahre konzentriert, mag pragmatische Gründe haben. Die meisten der Interviewten sind nicht mehr in Gruppen aktiv und waren daher vermutlich bereit, offen zu sprechen.

Unterfüttert wird die Dokumentation mit sehr viel Archivmaterial, darunter viel Unbekanntes. Wer weiß schon, dass es eine Gruppe namens Red Cops in Hamburg-Bergedorf gab? Die Hamburger Behörden wollten offenbar auch nichts davon wissen. Auseinandersetzungen der Gruppe mit Nazis seien als Streit unter Jugendlichen heruntergespielt worden, heißt es im Film. Die Regisseure zeigen Archivmaterial der Gruppe, in der sich ein Mitglied empört: »Wir sind nicht einfach zwei aufeinander treffende Gruppen von Jugendlichen, die sich prügeln, weil sie besoffen sind.«

Die Behörden aber hätten auf diese Weise das Problem mit den Nazis gelöst: Es gab sie in ihren Augen einfach nicht. Antifaschistische Strukturen hatte der Staat hingegen durchaus im Blick. Wurden die ihm zu rege, versuchte er, sie zu kriminalisieren. Gegen ein Mitglied der Göttinger Autonomen Antifa M sei wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung ermittelt worden, heißt es im Film.

Einen Schwerpunkt im Film bildet die antifaschistische Recherchearbeit. Die Ehemaligen berichten, wie man in vordigitalen Zeiten mit toten Briefkästen arbeitete, heimlich Nazi-Treffen fotografierte oder als verkleidetes Polizeieinsatzkommando Christian Worch, der als einer der führenden Kader der deutschen Neonazi-Szene gilt und derzeit Bundesvorsitzender der rechtsextremen Splitterpartei »Die Rechte« ist, überrumpelte und um Aktenordner erleichterte.

Antifaschistische Recherchearbeit

Das klingt zwar nach Heldentaten, die ruhige Erzählweise der Interviewpartner verhindert aber eine Romantisierung. Ihre Berichte von Nazi-Überfällen verdeutlichen, dass das alles kein Spaß und der antifaschistische Selbstschutz ausschlaggebend war. Mehrfach wird betont, dass Militanz notwendig, aber kein Selbstzweck sei. Unerlässlich sei es auch, planvoll zu agieren und einen Gruppen- und Aktionskonsens herzustellen. Szenenahem Publikum wird der Film nichts Neues vermitteln, wohl aber mit Details überraschen.

Wenn Antifa mehr ist als die Blockade von Neonazi-Aufmärschen, wie agiert man gegenwärtig in einer immer weiter nach rechts driftenden Gesellschaft? Eine Antwort darauf bleibt der Film schuldig, denn gesellschaftliche Analysen fehlen, es bleibt daher bei einem vordergründigen Bild von antifaschistischer Arbeit als Feuerwehrpolitik. Der Schutz von Projekten und Angegriffenen ist natürlich notwendig. Das hat sich diesen Sommer wieder gezeigt, als Neonazis wiederholt versuchten, Pride-Paraden zu stören und anzugreifen.

Gesellschaftliche Analysen fehlen

Aber warum sich auf ein paar boneheads beschränken, wenn weite Teile der Bevölkerung völkisch und rechtsextrem denken? Wieso nicht die rechten Bürger mit ihren Neonazis allein lassen, statt mit einer Gegendemo das Images einer Stadt aufzupolieren? Vor 20 Jahren rief das Leipziger »Bündnis gegen ­Realität« daher zum »Ausschlafen gegen rechts« auf, anstatt einen Protest gegen einen Nazi-Aufmarsch zu organisieren. Angesichts des in Sachsen herrschenden »rechten Konsenses« sei das sinnlos, meinte das Bündnis damals. Solche Diskussionen wären weiterzuführen, die um angemessene Bündnispolitik ebenfalls.

Antifaschistische Arbeit wird oft nur als Straßenpräsenz verstanden. Recherche, Vernetzung, Aufklärung und Medienarbeit bleiben aber wichtig, denn Antifa erfordert Ausdauer. Wenn der Film Antifa auf »gegen Nazis« verkürzt, fällt die langfristige, auf Gesellschaftsveränderung zielende Perspektive weg. Diese aber unterscheidet eine autonome Antifa maßgeblich von Lichter- und Menschenketten besorgter Bürger.

Die langfristige, auf Gesellschafts­veränderung zielende Perspektive unterscheidet eine autonome Antifa maßgeblich von Lichter- und Menschenketten besorgter Bürger.

Inhaltliche Arbeit und Abgrenzung sind gerade aufgrund des Revivals ­orthodox-kommunistischer Gruppen umso wichtiger. Deren vereinfachtes Weltbild findet derzeit besonders unter jungen Menschen wieder vermehrt Anhänger. Für junge Leute ist gerade die Rolle der Subkultur nicht zu unterschätzen. ­Potential liegt darin, das Antifa-Image nicht auf junges Mackertum zu re­duzieren, was im Film leise kritisiert wird.

Anfang September prügelten junge Neonazis Besucher eines Feuerwehrfests in Potsdam-Golm krankenhausreif, weil diese keine rassistischen ­Parolen dulden wollten. Eines der Opfer sagte der Märkischen Allgemeinen: »In meiner Jugend war ich manchmal auf der Flucht vor rechten Jugendlichen. Aber man glaubt doch nicht, dass einem das mit 41 passiert, wenn man in Ruhe sein Bier trinken will.« Der Vorfall zeigt: Antifaschistischer Selbstschutz ist keine Altersfrage.