Weltpolitik in der Zone
Der CDU-Politiker Ludwig Erhard gilt als »Vater des Wirtschaftswunders«. Wie sehr Sahra Wagenknecht ihn bewundert, ist in ihren Büchern nachzulesen, in denen sie die Kapitalismuskritik von Karl Marx schon vor Jahren für falsch erklärte. Die CDU feiert Erhard als den Mann, der die »soziale Marktwirtschaft« geprägt habe, ein Konzept, das Wagenknecht wiederum über den Schellenkönig lobt. Und sowohl der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz als auch Wagenknecht wollen faktisch das Asylrecht abschaffen.
Sahra Wagenknecht hat Olaf Scholz im Jargon der Reichsbürger als »Vasallenkanzler« geschmäht.
Bei so viel Übereinstimmung könnte man meinen, Koalitionen zwischen BSW und CDU in Sachsen und Thüringen wären politische Liebesheiraten – in Thüringen gibt es ohne die AfD keine parlamentarische Mehrheit, die nicht das BSW einschlösse, in Sachsen wäre eine solche nur mit der Linkspartei möglich, für die in der CDU ein Unvereinbarkeitsbeschluss gilt.
Doch weit gefehlt, denn Wagenknecht will auf Landesebene Weltpolitik machen. Sie verlangt, ein etwaiger Koalitionsvertrag müsse Positionen zu Verhandlungen mit Russland und Waffenlieferungen an die Ukraine enthalten und sich gegen die von der Bundesregierung geplante Stationierung US-amerikanischer Langstreckenraketen auf deutschem Boden aussprechen. Dafür müsse sich die Landesregierung dann auch auf Bundesebene einsetzen, etwa durch Initiativen im Bundesrat.
»Bundesratsinitiative für den Frieden«
Das BSW lehnt nicht nur Waffenlieferungen an die Ukraine kategorisch ab, sondern auch Sanktionen gegen Russland, weil diese deutschen Unternehmen schadeten – das bekräftigte unlängst Sevim Dağdelen, die außenpolitische Sprecherin der BSW-Gruppe im Bundestag, in der Berliner Zeitung. Stattdessen wolle man »gutnachbarliche Beziehungen« zu Russland. Auf die Frage, ob das BSW auch gemeinsam mit der AfD eine »Bundesratsinitiative für den Frieden« verabschieden würde, sagte Dağdelen, man werde auch mit der AfD abstimmen, wenn die Partei in der Sache richtig liege. Doch zunächst warte die BSW »mal ab, ob die CDU zu einer fairen Zusammenarbeit bereit ist«.
Wagenknecht hat Olaf Scholz als »Vasallenkanzler« geschmäht; das ist nicht bloß Jargon der Reichsbürger, sondern auch inhaltlich falsch: Die SPD und Scholz haben gemeinsam mit der CDU die Nord-Stream-Pipelines durchgedrückt, gegen Warnungen unter anderem der US-Regierung. Ginge es nach Wagenknecht, würden die Menschen in der Ukraine dem Putin-Regime ausgeliefert. Die CDU hingegen unterstützt im Großen und Ganzen die Selbstverteidigung der Ukraine samt Waffenlieferungen – wenn auch einzelne CDU-Politiker, vor allem in Ostdeutschland, zum Teil ähnlich daherreden wie Wagenknecht.
Der häufigste Einwand gegen Wagenknechts Forderung lautet, außen- und sicherheitspolitische Fragen seien keine Ländersache. Das ist formal korrekt, aber die Grünen haben sich von solchen Petitessen auch nicht beirren lassen, als sie in ihren linken Anfängen in westdeutschen Städten und Dörfern atomwaffenfreie Zonen ausrufen wollten.
Wagenknecht geht es um die große Bühne
In den zurückliegenden Landtagswahlkämpfen biederten sich die meisten Politiker den antiwestlichen und antiukrainischen Ressentiments vieler Wähler:innen an. Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) unterstellte, die Ampelkoalition wolle keinen Frieden, und sprach sich gegen Waffenlieferungen an die Ukraine aus, der thüringische CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt forderte ebenso wie der brandenburgische SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke mehr Diplomatie und Verhandlungen mit Russland. Angesichts dessen ist es nicht undenkbar, dass die ostdeutsche CDU-Verbände in Koalitionsverträge mit dem BSW auch ein paar Friedensfloskeln in der Präambel unterbringen können.
Kretschmer und Voigt sind bereits zur Audienz bei Wagenknecht nach Berlin gereist – darauf hatte diese bestanden. In Sachsen sind »Kennenlerngespräche« zwischen CDU, BSW und SPD angekündigt. Der CDU-Vorstand in Thüringen hat für Gespräche mit dem BSW votiert, die aber ausdrücklich nicht als Sondierungsgespräche oder Koalitionsverhandlungen tituliert wurden. Solche Begriffe meiden die Beteiligten vor der Landtagswahl in Brandenburg am Sonntag.
Wagenknecht geht es um die große Bühne – mit Blick auf die Bundestagswahl im kommenden Jahr. Eine Regierungsbeteiligung auf Länderebene ist da zweitrangig und riskant. Die Niederungen konkreter Politik haben Wagenknecht nie interessiert, im Bundestag glänzte sie, wenn es ums Detail ging, häufig durch Abwesenheit. Als Koalitionspartner in den ostdeutschen Landesparlamenten würde das BSW das Image der populistischen Totalopposition verlieren, sein unerfahrenes Personal könnte sich blamieren.
Auch für die CDU wäre die Koalition mit der BSW ein Risiko. Wähler:innen könnten ihr die Koalition mit einer Partei verübeln, die Merz vor kurzem noch als »in einigen Themen rechtsextrem, in anderen wiederum linksextrem« beschrieben hat.
Landespolitische Abstinenz – das dürfte Wagenknechts Kalkül sein. Doch das BSW-Personal in den betreffenden Bundesländern könnte anders ticken, zum Beispiel die thüringische Spitzenkandidatin Katja Wolf, die von der Linkspartei zum BSW wechselte und wohl eher bereit wäre, eine Koalition einzugehen. Sollte Wagenknecht versuchen, dies zu sabotieren, wird sich zeigen, wie das BSW gestrickt ist – bislang wird die Partei autoritär von der Frontfrau Wagenknecht geführt, mehr noch als La France insoumise (LFI) von Jean Luc Mélenchon.
Auch für die CDU wäre die Koalition mit der BSW ein Risiko. Wähler:innen könnten ihr die Koalition mit einer Partei verübeln, die Merz vor kurzem noch als »in einigen Themen rechtsextrem, in anderen wiederum linksextrem« beschrieben hat. Politiker:innen und Journalist:innen verweisen immer wieder auf Wagenknechts Vergangenheit in der Kommunistischen Plattform der Linkspartei. Dabei hat der CSU-Rechtsaußen Peter Gauweiler sie schon vor Jahren gelobt wegen ihres Bekenntnisses zur Nation, zu Ludwig Erhard und zur »Marktwirtschaft«, also zum Kapitalismus. Davon redet niemand, Wagenknecht bleibt das Gespenst des Kommunismus, das durch die Talkshows tingelt.
Dennoch besteht die Gefahr, dass eine Koalition von CDU und BSW der AfD in die Hände spielt. Deren Ziel besteht darin, die CDU zurechtzustutzen, bis sie als Juniorpartnerin taugt, ähnlich der Strategie der französischen und italienischen extremen Rechten. »Die CDU steuert auf einen Abgrund zu, wenn wir uns vor den Karren von Sahra Wagenknecht spannen lassen«, warnt der CDU-Europaabgeordnete Dennis Radtke, der mit anderen Mitgliedern einen Unvereinbarkeitsbeschluss mit dem BSW fordert.