Wie im Nationalsozialismus Sportplätze zu Lagern umfunktioniert wurden

Die vergessenen Zwangsarbeiterlager

Das Projekt »Von einem Ort des Jubels zu einem Ort des Unrechts« will dokumentieren, wie Sportplätze im Nationalsozialismus zu Lagern umfunktioniert wurden.

Mehr als 13 Millionen Menschen wurden von den Nazis in die Zwangsarbeit gepresst. Viele Fußball- und Sportplätze, darunter auch so namhafte wie das Volksparkstadion in Hamburg, wurden in Deutschland und Österreich während des Nationalsozialismus als Zwangsarbeitslager genutzt. Damit dieses Kapitel der deutschen Geschichte nicht in Vergessenheit gerät, hat die Stiftung »Erinnerung, Verantwortung und Zukunft« das Projekt »Von einem Ort des Jubels zu einem Ort des Unrechts« ins Leben gerufen. Es soll die bruchstückhafte Dokumentation der Zwangsarbeit in Sportstätten sammeln und katalogisieren.

In Europa existierten während des Zweiten Weltkriegs rund 30.000 ­Arbeitslager der Nazis. Die schlimmsten Bedingungen mussten vor allem Menschen aus Osteuropa erdulden.

Das Projekt plant, gemeinsam mit interessierten Menschen zusammenzutragen, wo sich damals überall Zwangsarbeitslager befanden. Ende des Jahres sollen die Ergebnisse auf einer Homepage präsentiert werden. Auf der interaktiven Karte sollen dann alle bis dahin bekannten Standorte verzeichnet sein, mit zusätzlichen Informationen und wei­terem Material.

In Europa existierten während des Zweiten Weltkriegs rund 30.000 ­Arbeitslager der Nazis. Die schlimmsten Bedingungen mussten vor allem Menschen aus Osteuropa erdulden. Insgesamt arbeiteten 13 Mil­lionen zivile Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene im Verlauf des Zweiten Weltkriegs im Deutschen Reich.

Spätestens nach dem Scheitern der Blitzkriegsstrategie und der Umstellung der kompletten Wirtschaft auf den Krieg war die Aufrechterhaltung der Industrieleistung – angesichts der Einberufung fast aller deutschen Männer – nur noch mit der Ausbeutung ausländischer Arbeitskräfte möglich. Die Millionen Zwangsarbeiter mussten irgendwo untergebracht werden – und dafür wurden unter anderem Trainings- und Sportplätze genutzt.

Italienische Militärinternierte im Hamburger Volksparkstadion 

Als bekanntestes Beispiel nennt der Projektmitarbeiter Bastian Satthoff »das Volksparkstadion in Hamburg, in dem italienische Militärinternierte (IMI) untergebracht waren«. Deutsche Truppen hatten nach der Kapitulation Italiens 1943 italienische Soldaten gefangengenommen und teilweise in das Deutsche Reich deportiert, um dort als Arbeitskräfte zu dienen.

Auf einer Sportstätte in Hannover-Ahlem lag früher das KZ-Außenlager Ahlem. Das Kommando hatte dort Otto »Tull« Harder, ein ehemaliger Kapitän der deutschen Nationalmannschaft. Als Harder im März 1956 verstarb, hielten Nachwuchsspieler des Hamburger SV an seinem Grab Ehrenwache.

Auch auf dem Gelände des heutigen Sportplatzes von Teutonia 1910 und in der Turnhalle des Eimsbütteler Turnverbands wurden damals italienische Militärinter­nierte untergebracht. Auf einer Sportstätte in Hannover-Ahlem lag früher das KZ-Außenlager Ahlem. Das Kommando hatte dort der SS-Hauptscharführer Otto »Tull« ­Harder, ein ehemaliger Kapitän der deutschen Fußballnationalmannschaft. Als Harder im März 1956 verstarb, hielten Nachwuchsspieler des Hamburger SV an seinem Grab ­Ehrenwache.

Bekannt sei, so Satthoff, auch der Sportplatz Riederwald, den damals die SG Eintracht aus Frankfurt nutzte. Hier wurden Zwangsarbeitende aus der ehemaligen Sowjetunion untergebracht, die, so der Historiker, »in besonderer Weise vom antislawischen Rassismus der Nazis betroffen waren«.

Zwangsarbeiter in Neukölln

Für Berlin verweist Satthoff im Gespräch mit der Jungle World auf zwei Standorte in der Neuköllner Sonnenallee: So wurden auf dem ehemaligen Sportplatz von Tasmania Berlin in der Sonnenallee, der längst überbaut wurde, und dem Sportplatz des früheren 1. FC Neukölln am Hertzbergplatz Zwangsarbeiter untergebracht. Letzterer wurde später noch als Außenstelle des Konzentrationslagers Sachsenhausen genutzt. Die Anlage umfasste die gesamte Sportanlage, die heute der 1. FC Novi Pazar und der BSV Hürtürkel nutzten, sowie die Kleingarten­kolonie daneben.

In der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt Düsseldorf befand sich an mehr oder weniger der gleichen Stelle, an der das neue Stadion von Zweitligist Fortuna (das das 2002 abgerissene Rheinstadion ersetzt) steht, ein Zwangsarbeitslager der paramilitärischen Bautruppe »Organi­sation Todt«. Im damaligen Stadion waren Zwangsarbeiter aus unterschiedlichen Nationen untergebracht, vor allem Belgier. Darüber hinaus gab es weitere Sportplätze in Düsseldorf, die als Zwangsarbeitslager fungierten. Insgesamt sollen während des Zweiten Weltkriegs über 35.000 Menschen in Düsseldorf Zwangsarbeit geleistet haben.

In Leipzig wurden ab 1942 auf dem Postsportplatz in der Holzhäuser Straße Zwangsarbeiter untergebracht, die für die Post arbeiten mussten. ­Allein in der sächsischen Messestadt betrieb die Deutsche Reichspost mehr als zehn solcher Lager. Auch auf dem Sportplatz an der Neuen Linie befand sich in Zwangsarbeits­lager. Die dort untergebrachten Menschen mussten in der Maschinen­fabrik G. E. Reinhardt schuften.

Nationalsozialistische Vergangenheit meist nicht aufgearbeitet

Bislang haben die Mitarbeiter des Projekts »Von einem Ort des Jubels zu einem Ort des Unrechts« rund 180 Lagerstandorte auf Sportstätten verifiziert. Darunter finden sich auch das Stadiongelände von Rot-Weiss Essen und der inzwischen brachliegende Sportplatz Paulshöhe in Schwerin, ehemals Spielort der SG Dynamo Schwerin. An den meisten Orten, die der sportlichen Betätigung dienten, wurde die nationalsozialistische Vergangenheit nicht aufgearbeitet. Satthoff zufolge gibt es kaum noch »Informationen über die Menschen, die einst an solchen Orten interniert waren«.

Die Zusammenarbeit mit Vereinsoffiziellen und den Verbänden gestalte sich recht unterschiedlich, so Satthoff. Die Kooperation mit den ­regionalen Verbänden funktioniere weitaus besser als die mit dem Deutschen Fußball-Bund (DFB). Mit dem Fußballverband Rheinland sei sogar eine Kooperationsveranstaltung in der Gedenkstätte auf dem Gelände des KZ Hinzert bei Trier entstanden.

Eine besonders gute Zusammenarbeit des Projekts entstand zumeist mit Initiativen, die die Geschichte ihres Bezugsverein aufgearbeitet haben. 

Negative Reaktionen habe es nicht gegeben. »Wir werden allerhöchstens ignoriert«, beschreibt Satthoff die Situation. Es sei aber davon auszugehen, so der Historiker weiter, »dass es Vereine gibt, die der Thematik ablehnend gegenüberstehen, das wird bei Fußballvereinen nicht anders sein als in der bundesdeutschen Gesellschaft insgesamt«.

Auf Vereinsebene fielen die Reaktionen »sehr unterschiedlich« aus. Satthoff freut sich, dass einige Vereine Interesse äußerten, ein Erinnerungszeichen an den entsprechenden Sportplätzen zu errichten und so der Geschichte der Zwangsarbeitslager vor Ort gedenken möchten«. Eine besonders gute Zusammenarbeit entstand zumeist mit Initiativen, die die Geschichte ihres Bezugsverein aufgearbeitet haben. »Ein solches Beispiel ist das Netz-E, das sich mit der Geschichte des HSV beschäftigt und beispielsweise eine ganze Podcast-Folge zum Thema Zwangsarbeit produziert hat, in der wir auch zu Wort gekommen sind«, berichtet der Historiker. Am besten laufe die Kooperation mit Gedenkstätten und Archiven. Hier gebe es einen guten Austausch von Informationen, der vor allem zu Beginn des Projekts sehr wichtig sei.