Das iranische Regime beauftragt ­Kriminelle mit Attentaten in Europa

Staatsterror durch Stellvertreter

Das iranische Regime nutzt Täter aus der organisierten Kriminalität, um Attentate in Europa vorzubereiten und zu verüben. Neben Regimegegnern trifft das vor allem Juden und israelische Einrichtungen.

Als Anfang des Monats in Iserlohn ein 30jähriger mutmaßlich von sechs Männern vergewaltigt wurde, prüfte der Staatsschutz schon bald ein politisches Motiv. Das Opfer war aus dem Iran geflüchtet, bei ihm soll es sich dem Spiegel zufolge um einen Gegner des dortigen Regimes handeln. Die Tatverdächtigen – auch sie stammen aus dem Iran – seien Anhänger des Regimes. »Nach jetzigem Kenntnisstand sollte das Opfer vor allen Dingen erniedrigt ­werden«, hieß es von der Staatsanwaltschaft.

Es wäre eine Tat, die durchaus ins Bild passt. Bereits seit Jahrzehnten sehen sich vom Mullah-Regime zu Feinden erklärte Menschen und Organisationen ständiger Bedrohung ausgesetzt.

Dem Terrorismusexperten Peter R. Neumann zufolge waren die iranischen Revolutionsgarden von Juni 2018 bis Juni 2024 für mindestens elf Anschlagsversuche in Europa verantwortlich.

Einen ersten Höhepunkt der Gewalttaten markierten die frühen neunziger Jahre. Damals waren besonders kurdische Exil-Iraner Ziel von Terror. 1992 ermordeten Auftragskiller im Namen der ­iranischen Staatsführung im Berliner Restaurant »Mykonos« drei Angehö­rige der Demokratischen Partei des Iranischen Kurdistans und ihren Freund und Dolmetscher.

Anfang der zehner Jahre begann eine weitere, bis heute andauernde Welle iranischer Auslandsoperationen. Noch deutlicher als zuvor waren nun auch jüdische Organisationen und Einzelpersonen, vor allem solche, die Verbindungen zu Israel hatten, Angriffsziele der Islamischen Republik. Dem Terrorismusexperten Peter R. Neumann zufolge waren die iranischen Revolutionsgarden von Juni 2018 bis Juni 2024 für mindestens elf Anschlagsversuche in Europa verantwortlich. Davon zielten nur drei auf iranische Oppositionelle oder Regimegegner, während acht gegen jüdische und israelische Ziele ­gerichtet waren.

Sanktionen gegen den Iran verschärft

Immer wieder wurden Anschlagsvorbereitungen aufgedeckt. Zum Beispiel wurden 2018 zehn iranische Agenten verhaftet, die unter anderem die Israelische Botschaft, den Sportverein TuS Makkabi Berlin sowie den Kindergarten einer jüdischen Gemeinde ausgespäht haben sollen. Im selben Jahr wurde in Deutschland ein iranischer Diplomat festgenommen, der ein Bombenattentat auf ein Treffen ­iranischer Exiloppositioneller in Frankreich vorbereitet hatte. Daraufhin wurden die westlichen Sanktionen gegen den Iran verschärft.

Womöglich trugen diese Fehlschläge dazu bei, dass man die Taktik änderte. Wurden vorher häufig Personen aus der iranisch-schiitischen Diaspora angeworben, lassen neue Erkenntnisse aus mehreren europäischen Staaten eine intensivierte Zusammenarbeit des Teheraner Regimes mit der organisierten Kriminalität erkennen. Als im Januar eine Bombe bei der israelischen Botschaft in Stockholm gefunden und entschärft wurde, machte die Staatsanwaltschaft Mitglieder einer Drogenbande dafür verantwortlich. Kurz darauf wurden vor der Botschaft Schüsse abgegeben. Bei den festgenommenen mutmaßlichen Tätern handelte sich um 14- bis 16jährige, die in die Bandenkriminalität verwickelt waren. Dem schwedischen und israelischen Geheimdienst zufolge hatten die iranischen Revolutionsgarden sie beauftragt.

Personen aus dem Drogenhandel angeworben

Erst kürzlich belegten Recherchen des Spiegels, dass auch in Frankreich Personen aus dem Drogenhandel angeworben wurden, um potentielle Anschlagsziele auszuspähen. Der Franzose Abdelkarim S. soll die Immobilie eines Unternehmens einer jüdischen Familie in München observiert haben. Zudem hatte er weitere Adressen mutmaßlicher Ziele bei sich.

Auch Babak J., der Ende 2022 einen Brandsatz auf die Synagoge in Bochum warf, wurde aus Kreisen der organisierten Kriminalität für die Tat angeworben. Sein Auftraggeber war das Hells-Angels-Mitglied Ramin Y., das in Teheran lebte und im Auftrag der iranischen Revolutions­garden handelte. Y. war 2021 vor einem deutschen Haftbefehl in den Iran geflohen. Im Mai wurde er erschossen in ­Teheran aufgefunden.

Werden die Täter verhaftet, ist der Schaden für das iranische Regime geringer als bei einer Operation iranischer Dienste; nicht zuletzt lässt sich die Urheberschaft leichter abstreiten. 

Kriminelle sind womöglich weniger zuverlässig und kompetent als die eigenen Terroragenten. Doch die Kooperation mit der organisierten Krimi­nalität birgt für das Regime in Teheran gewisse Vorteile. Etablierte kriminelle Netzwerke können relativ kostengünstig auf im Zielland vorhandene und funktionstüchtige Organisationen zugreifen. Und werden die Täter verhaftet, ist der Schaden für das iranische Regime geringer als bei einer Operation iranischer Dienste; nicht zuletzt lässt sich die Urheberschaft leichter abstreiten. Im Idealfall für das Regime entsteht nicht einmal der Verdacht, dass es sich um staatsterroristische Taten handelt.

Mit dieser Stellvertreterstrategie wird die Bedrohung all jener, auf die es das Regime abgesehen haben könnte, diffuser und größer. »Ich nehme das sehr ernst«, berichtet zum Beispiel die im Exil lebende iranischstämmige Vorsitzende des Zentralrats der Ex-Muslime, Mina Ahadi, der Jungle World. Die Entwicklungen hätten direkte Konsequenzen für ihren Alltag: »Jetzt habe ich das Gefühl, dass jeder Mensch, der mir auf der Straße begegnet, eine Gefahr sein könnte. Ich fühle mich noch unsicherer.«

Inwieweit die mutmaßlichen Täter von Iserlohn mit organisierter Kriminalität zu tun haben oder ob sie im Auftrag des iranischen Regimes handelten, ist nicht bekannt. Ermittler und Staatsanwaltschaft halten sich aus ermittlungstaktischen Gründen bedeckt.