Die Mythen verblassen
Israel hat auf die täglichen Raketenangriffe der Hizbollah seit dem 8. Oktober 2023 mit einem umfassenden Gegenangriff reagiert. Mit Blick auf die Historie verheerender israelischer Einmärsche im Libanon seit 1978 (schon damals in Reaktion auf Terroranschläge in Nordisrael) scheint ein Desaster unausweichlich.
Tatsächlich gehört es zu den besonders heiklen Wendungen in der Geschichte des Nahen Osten, dass es zuerst die israelische Libanon-Invasion von 1982 war – mit der Israel die seit den sechziger Jahren im Libanon präsente Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) als militärische Bedrohung an der Grenze loswerden wollte –, die zur Grundlage des Aufstiegs der Hizbollah wurde. Zuerst bejubelten die schiitischen Südlibanesen die Israelis als Befreier von den selbstherrlichen palästinensischen Revolutionären, die sich als neue Herren aufgespielt hatten, dann begann ihr Widerstand gegen die neuen Besatzer.
Der hartnäckige Widerstand gegen die israelische Armee im LibanonKrieg begründete den Mythos der Hizbollah als dem neuen starken Gegner Israels. Der Tod Nasrallahs hat diesen Mythos beendet.
Die Geschichte der Hizbollah (Partei Gottes) ist jedoch nicht nur eine des Kampfs gegen Israel, sie ist zuerst eine Siegesgeschichte der jahrhundertelang diskriminierten schiitischen Bevölkerungsgruppen im Nahen Osten. Der Hintergrund war der Sturz des Schahs 1979 im schiitischen Iran, der in der Folge als »Islamische Republik Iran« zum neuen, islamistisch motivierten Hauptfeind Israels mutierte. Die vom Iran aufgebaute Hizbollah gewann ihren Mythos dann aus dem israelischen Rückzug aus dem Südlibanon im Jahr 2000 sowie ihrem hartnäckigen Widerstand gegen die israelische Armee im Libanon-Krieg 2006. Aber was, wenn der Mythos sich an der Realität blamiert?
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