Starter fürs Jenseits
»Ach komm, das ist doch noch gut.« Dieser Satz ist nicht selten Vorbote einer Lebensmittelvergiftung – manchmal aber auch einer kulinarischen Revolution. Ob Sauerteig, Kimchi, Wein oder Käse: Irgendwann in grauer Vorzeit müssen hungrige oder schlicht experimentierfreudige Menschen entdeckt haben, dass sich ihre vermeintlich verdorbenen Vorräte in genieß- und haltbare Delikatessen verwandelt hatten.
Fermentation lautet der Oberbegriff für Vorgänge, bei denen Nahrungsmittel – aber auch Genussmittel wie Tabak, Tee oder Cannabis – gezielt durch mikrobielle Vorgänge verändert werden. Geht man sorgfältig genug vor, sorgen die eingesetzten Organismen mit Stoffwechselprodukten wie Alkohol, Milch- oder Essigsäure dafür, dass sich keine unerwünschte und möglicherweise krankmachende Konkurrenz breitmacht; als Bonus zur Konservierung erhält man leckere Spezialitäten beziehungsweise berauschende Getränke.
»Ach komm, das ist doch noch gut.« Dieser Satz ist nicht selten Vorbote einer Lebensmittelvergiftung – manchmal aber auch einer kulinarischen Revolution.
Wer erstmals so unerschrocken und/oder verzweifelt genug war, vergorene, klumpige Milch zu verkosten, ist nicht überliefert. Immerhin ist man jüngst aber den Ursprüngen von Joghurt, Feta & Co. einen Schritt näher gekommen: Forscher:innen haben den ältesten (bisher bekannten) Käse der Welt untersucht, genauer: weißliche Brocken, die als Beigaben in 3.600 Jahre alten Mumiengräbern im westchinesischen Tarimbecken gefunden wurden. Offenbar wollte man die Verstorbenen nicht ohne Starterkultur ins Jenseits schicken.
Dass es sich bei der Substanz, die sich im trockenen und salzhaltigen Boden der Region ebenso gut erhalten hat wie die dort Bestatteten, um Milchprodukte handelt, war durch Proteinanalysen bereits bekannt. Mit neuen Labortechniken wurden nun auch DNA-Proben extrahiert, die nicht nur zeigten, dass die Milch von Ziegen und Kühen getrennt verarbeitet wurde, sondern auch eine Identifizierung der enthaltenen Mikroben erlaubten.
Milchsäurebakterien und Hefen
Demnach handelte es sich um mehrere Arten von Milchsäurebakterien und Hefen, unter anderem solche, die noch heute bei der Herstellung von Kefir eingesetzt werden. Besonders aufschlussreich war das Erbgut eines Bakteriums namens Lactobacillus kefiranofaciens: So zeigte sich, dass die alten Bakterien vermutlich stärkere Immunabwehrreaktionen im menschlichen Darm auslösten als heutzutage verwendete Stämme. Zusammen mit dem Milchvieh haben Menschen also auch ihre probiotischen Molkereihelfer im Laufe der Zeit immer mehr domestiziert.
Eine Analyse der Verwandtschaftsverhältnisse ergab, dass die frühbronzezeitlichen Mikroben eng mit einer Lactobacillus-Gruppe verwandt waren, die man heute aus Tibet kennt. Das widerlegt die bisher gängige Annahme, Kefir stamme ausschließlich aus dem mittlerweile russischen Nordkaukasus. Ob Wladimir Putin bereits eine Annexion Nordwestchinas plant, um das Nationalgetränk heim ins Russische Reich zu holen, stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest.