Gier nach Gas
Ohne Finanzhilfen der Europäischen Union stände die Ukraine weitaus schlechter dar, als es ohnehin der Fall ist. Vergangene Woche hatten sich die ständigen Vertreter der EU-Mitgliedsländer darauf geeinigt, bis zu 35 Milliarden Euro an Darlehen zu vergeben. Bis Monatsende müssen das Europaparlament und die EU-Mitgliedsstaaten dem Beschluss formal zustimmen, allerdings nur mehrheitlich. Sollte Ungarn, das bereits zu Beginn dieses Jahres die Zahlung von 50 Milliarden Euro für die Ukraine aus dem EU-Haushalt eine Zeit lang blockiert hatte, gegen die Entscheidung stimmen, würde das nichts am Ergebnis ändern.
Immer wieder stellt sich Ungarn quer, wenn es um die gemeinsame Außenpolitik der EU-Staaten oder auch der Nato geht. Man denke nur an die gemeinsam mit der Türkei betriebene langanhaltende Blockade des Nato-Beitritts Schwedens. Der ungarische Außenminister Péter Szijjártó reiste allein elf Mal seit Beginn des vollumfänglichen russischen Angriffs auf die Ukraine 2022 nach Moskau, obwohl die westlichen Bündnispartner in EU und Nato das nicht gern sehen.
EU-Zahlungen an die Ukraine
Über die Verlängerung von EU-Zahlungen an die Ukraine muss alle sechs Monate abgestimmt werden. Dieser Regelung hatte die ungarische Regierung ursprünglich wohl deshalb zugestimmt, um immer wieder Gegenleistungen für ihre Zustimmung aushandeln zu können. Beim G7-Gipfel im Juni vereinbarten die größten Wirtschaftsmächte des Westens, inklusive Japan, allerdings Milliardentransfers gleich über mehrere Jahre – zu denen die EU einen Beitrag leisten sollte. Diesen blockiert nun Ungarn.
Bei einem wichtigen Detail verweigert Ungarn nach wie vor die Kooperation. Darlehen sollen über Zinsgewinne aus eingefrorenem russischem Vermögen finanziert werden. Ungarn, das noch bis Jahresende die Ratspräsidentschaft der EU innehat, widerspricht bislang jedoch einer längerfristigen Nutzung dieser Zinserlöse.
Die ungarische Regierung verheimlicht nicht, dass sie die Unterstützung der Ukraine mit Finanzmitteln und Rüstungs-gütern grundsätzlich ablehnt.
Dass die ungarische Regierung die Unterstützung der Ukraine mit Finanzmitteln und Rüstungsgütern grundsätzlich ablehnt, verheimlicht sie nicht. Außenminister Szijjártó legte die Gründe dafür Anfang Oktober in einem Interview mit dem konservativen deutschen Magazin Cicero dar.
Er verbindet in seiner Argumentation das ökonomische Eigeninteresse seines Landes mit strategischen Erwägungen. Trotz umfangreicher Waffenlieferungen bleibe die Ukraine Russland unterlegen. Sein Land sehe es außerdem nicht ein, auf Gasimporte aus Russland oder den Bau des zweiten Atomreaktors in Paks mit russischer Technik zu verzichten. Er wolle vor den ungarischen Wählern keine höheren Energiepreise verantworten, so Szijjártó.
Im Übrigen warf der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán den anderen EU-Staaten in seiner Rede vor dem Europäischen Parlament am 9. Oktober Heuchelei vor. Denn auch sie würden weiterhin Energie aus Russland importieren, Ungarn jedoch dafür kritisieren.
Verhandlungsangebot an Russland?
Wiederholt hat die ungarische Regierung deutlich gemacht, dass sie es Donald Trump zutraue, für Frieden in der Ukraine zu sorgen, sollte er zum US-Präsidenten gewählt werden. Orbán reiste im Frühjahr in die USA, wo er sich mit Trump über dessen ominösen »Friedensplan« austauschte. Im selben Monat traf er sich mit dem russischen Präsident Wladimir Putin in Moskau im Rahmen einer von ihm so deklarierten Friedensmission. Ende voriger Woche reiste Außenminister Szijjártó nach Sankt Petersburg, wo er unter anderem auf Aleksej Miller traf, den Vorstandsvorsitzenden von Gazprom. Ergebnis des Treffens war eine Absichtserklärung über eine Erhöhung russischer Gasexporte nach Ungarn.
Szijjártó hatte im Gespräch mit der russischen Nachrichtenagentur Ria Novosti sein Bedauern geäußert, 2021 nicht mit Russland über Sicherheitsgarantien und einen definitiven Verzicht auf eine weitere Osterweiterung der Nato gesprochen zu haben. Das deutete die ungarische Opposition als eine Art Verhandlungsangebot an Russland, Nato-Einheiten aus Ungarn abzuziehen, was das ungarische Außenministerium dementierte.