Antisemitismus aus Leidenschaft
Einzug in Jerusalem, das Abendmahl, der Verrat und schließlich die Kreuzigung: Die Passionsgeschichte, also die Überlieferung der letzten fünf Tage im Leben Jesu, ist zentral für das Christentum. Gelesen wird sie für gewöhnlich am Karfreitag, doch seit Jahrhunderten wird sie auch auf die Bühne gebracht – eine der bekanntesten Spielstätten ist das bayerische Dorf Oberammergau, wo 1634 erstmals und seit 1680 kontinuierlich mit wenigen Unterbrechungen alle zehn Jahre die Passionsspiele aufgeführt werden.
Die Fotografin und Künstlerin Regine Petersen hat mit »Passion Play« einen der interessantesten Bildbände des vergangenen Jahres herausgebracht. In zwei Kapiteln seziert sie darin den inhärenten Antisemitismus der Oberammergauer Passionsspiele. Dabei baut sie durch eine präzise Bild-Text-Komposition in zwei Kapiteln nach und nach eine nahezu erdrückende Spannung auf. In minimalistischer Weise legt Petersen anhand von Fotos und überlieferten Schriftstücken dar, wie sich während des Nationalsozialismus bei den Passionsspielen und insbesondere bei deren Darstellern, den Oberammergauer Dorfbewohnern, der unverhohlene christliche Antijudaismus immer stärker mit dem Vernichtungsantisemitismus der Nazis verwob.
Quasi das gesamte Dorf Oberammergau, vom Säugling bis zum Greis, wird seit fast 400 Jahren umfassend in die Produktion der Passionsspiele eingebunden.
Den Auftakt des Buchs macht ein kurzer Reisebericht aus dem Jahr 1934 vom Bischof Richard Gerow, der zunächst die Entstehung der Passionsspiele erzählt: Die Pest, der »Schwarze Tod«, wütete in Europa. Das kleine Dorf Oberammergau versuchte vergeblich, sich gegen die tödliche Krankheit zu isolieren. 1633 schlich sich ein Einwohner, Kaspar Schisler, unbemerkt an den Wachen vorbei und brachte die bis dahin erfolgreich ferngehaltene Krankheit in den Ort.
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