31.10.2024
Wie die Freiheitsstatue von Paris nach New York City kam

Die Sphinx von New York

Wer hat sie noch gleich erfunden? Eine Graphic Novel erzählt die eher unbekannte Geschichte der Freiheitsstatue bis zu ihrer Einweihung im Oktober 1886. Und erinnert an den unermüdlichen Einsatz des französischen Muttersöhnchens und genialen Bildhauers Frédéric Auguste Bartholdi für seine »Lady Liberty«.

»Liberty Enlightening the World« (Die Freiheit erleuchtet die Welt) lautet der offizielle Titel der als Freiheitsstatue berühmt gewordenen 46 Meter hohen Figur. Das im Oktober 1886 eingeweihte Monument in der Hafeneinfahrt von New York City ist weltweit zum Inbegriff des US-amerikanischen Freiheitsversprechens geworden, insbesondere für Generationen von Mi­granten, die mit dem Schiff über den Atlantik kamen, um in den Vereinigten Staaten ein besseres und freieres Leben führen zu können.

Dagegen wurde »Lady Liberty« den Verächtern zum Zeichen des verhassten US-Imperialismus. Ihre 20jährige Planungs- und Baugeschichte setzt der jüngst erschienene Comic »Liberty« in Szene und erinnert daran, dass die Statue, wie man heutzutage sagen würde, französische Wurzeln hat.

Wohlhabende Familie, monumentale Kunst 

Im Albumformat mit teilweise seitengroßen Panelen erzählen der Autor Julian Voloj und der Zeichner Jörg Hartmann das making of des Bauwerks sowie die Geschichte seines Schöpfers Frédéric Auguste Bartholdi. Der 1834 im Elsass geborene Bildhauer entstammte einer wohlhabenden Familie und konnte sich frei von finanziellen Sorgen ganz seiner monumentalen Kunst widmen. Dafür sorgte vor allem seine Mutter, zu der er lebenslang ein enges Verhältnis pflegte.

Herzlicher Empfang. Der Kopf der Statue wird vor dem Triumphbogen in Paris präsentiert

Herzlicher Empfang. Der Kopf der Statue wird vor dem Triumphbogen in Paris präsentiert

Bild:
Splitter Verlag

Auf einer 17monatigen Studienreise durch Europa und den Nahen Osten frönte er seiner Leidenschaft für große öffentliche Denkmäler. Der Comic zeigt ihn mal vor dem Kolosseum in Rom (»Großartig«), mal im Wüstensand Ägyptens vor der Großen Sphinx von Gizeh (»Einfach nur beeindruckend«). Damals fasste Bartholdi den Entschluss, etwas Ähnliches zu schaffen.

Auf der Pariser Weltausstellung 1855 unterbreitete er seinen Plan, am Eingang des Suezkanals einen Leuchtturm in der Gestalt einer 28 Meter hohen fackeltragenden Ägypterin zu errichten. »Ägypten erleuchtet den Orient« sollte das Monument heißen. Das Projekt fand keine Unterstützung, Bartholdi ließ es fallen, zumal sich bald darauf die spektakuläre Aufgabe ergab, eine Gedenkstätte zu errichten, um an die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten zu erinnern.

Auf der Pariser Weltausstellung 1855 unterbreitete Frédéric Auguste Bartholdi seinen Plan, am Eingang des Suezkanals einen Leuchtturm in der Gestalt einer 28 Meter hohen fackeltragenden Ägypterin zu errichten. »Ägypten erleuchtet den Orient« sollte das Monument heißen. 

Die sollte sich 1876 zum 100. Mal jähren. Die Union Franco-Américaine, ein Verein amerikanophiler Franzosen, wollte den USA aus diesem Anlass ein Monument schenken. Auf einem Treffen 1865 einigten sich die Mitglieder darauf, dass Bartholdi den Bau realisieren solle. Nach dem Vorbild der römischen Göttin der Freiheit, Libertas, schuf er ein erstes Modell der neoklassizistischen Freiheitsstatue.

Die Finanzierung und Logistik des Baus waren die eigentliche Herausforderung für den Bildhauer. Dazu kamen unerwartete historische Umwälzungen. Bartholdi verlor im Deutsch-Französischen Krieg 1870/1871 seine Heimat im Elsass. Der Revolte in Paris und ihrer Niederschlagung entfloh er durch eine ausgedehnte Reise durch die USA. Zwei Jahre war er unterwegs, knüpfte Kontakte und warb für seine Idee eines Monuments für die Freiheit.

Die Freiheitsstatue im Nebel vor New York

Die Freiheitsstatue im Nebel vor New York

Bild:
Splitter Verlag

Dann war da noch die Frage nach dem Standort. Auf einem unbewohnten Eiland vor der Südspitze Manhattans hatte er den idealen Platz für seine Statue gefunden. Allerdings waren längst nicht alle US-Amerikaner von seinen Plänen angetan.

Die vielen Etappen bis zur finalen Errichtung der Freiheitsstatue erzählt der Comic mit Liebe zum Detail. Dass diese Geschichte nicht langweilt, liegt an den vielen Wendungen und den mit elegantem Schwung hingetuschten Zeichnungen. Man ist immer dicht an Frédéric Auguste Bartholdis Arbeit, etwa wenn er das Gesicht seiner Mutters in den Zügen der Skulptur verewigt.

Impressionistischer Einschlag

Die Zeichnungen orientieren sich an Originalfotografien aus seinem Atelier. Weitere historische Fotos dienten als Vorlage. So wird die Werkstatt gezeigt, in der die einzelnen Kupferteile gegossen und dann händisch ausgetrieben wurden, um die Faltenwürfe des Gewands zu erzeugen. Ein Arbeiter erscheint da kaum größer als ein Ohr oder die Nase der Skulptur.

In der Pariser Gießerei Gaget wurde die Statue auch vormontiert, was auf dem bekannten Gemälde von Victor Dargaud festgehalten ist. Wie die Kunst des ausgehenden 19. Jahrhunderts begann, das Spiel mit Licht und Schatten neu zu erfinden, greift der Comic ebenfalls auf. Manchmal haben die aquarellierten Abbildungen einen impressionistischen Einschlag. Poliertes Metall, Glas und Wasserflächen ermöglichen raffinierte Spiegelungen. Die millimeterdünnen Kupferplatten, mit denen die Skulptur verkleidet wurden, glänzten rötlich-braun. Erst nach Jahrzehnten erzeugte die Witterung die charakteristische grünliche Färbung.

Besuch in Washington. Unermüdlich wirbt Frédéric Auguste Bartholdi für seine Statue

Besuch in Washington. Unermüdlich wirbt Frédéric Auguste Bartholdi für seine Statue

Bild:
Splitter Verlag

Im Comic sieht man auch wenig bekannte Details. Etwa dass ein Fuß von Miss Liberty leicht erhoben ist, sie also voranschreitet und eine Kette zertritt. Dass dieses Standbild zu einer Art weltlicher Ikone werden würde, war für ihren Schöpfer nicht absehbar. Denn viele US-Steuerpflichtige verstanden nicht, warum ausgerechnet ein französischer Verein ein Monument über den Atlantik schicken wollte, für dessen Sockel sie – die Amerikaner – bezahlen sollten.

Weil mehrere Spendenkampagnen schleppend verliefen, wurde der geplante Einweihungstermin um zehn Jahre verfehlt. Dabei bemühten sich durchaus honorige Persönlichkeiten um die Sache. So rührte der Zeitungsverleger Joseph Pulitzer die Werbetrommel; auch die Lyrikerin Emma Lazarus konnte für das Projekt gewonnen werden.

»Gebt mir eure müden, eure armen, eure geknechteten Massen«

Sie stammte aus einer sephardischen Familie. Als Tausende russischer Juden auf der Flucht vor Pogromen und Armut nach New York kamen, entschloss sie sich, die Kampagne zu unterstützen. Ihr Gedicht »The New Colossus« gab Lady Liberty sozusagen eine Stimme, es wurde in den Sockel der Statue eingraviert: »Give me your tired, your poor / Your huddled masses yearning to breathe free« (Gebt mir eure müden, eure armen / Eure geknechteten Massen, die sich danach sehnen, frei zu atmen).

Die Finanzierung gelang vor allem durch Bartholdis Marketing-Geschick. So ließ er für mehrere Jahre im Madison Square Park in New York die Fackelhand als eintrittspflichtige Aussichtsplattform aufstellen. Modelle der Statue wurden verkauft, lange bevor sie errichtet worden war.

Bereits am Tag ihrer Enthüllung mischten sich in den Applaus Missfallensbekundungen. Suffragetten protestierten von einem Boot aus und forderten das Frauenwahlrecht. Eine afroamerikanische Zeitung verlangte, die Fackel dürfe nicht leuchten, bis die USA eine freie Nation für alle seien.

Schließlich schipperte die 200-Tonnen-Statue in 214 Kisten gepackt über den großen Teich und wurde am 28. Oktober 1886 enthüllt, eine gigantische französische Trikolore, die den Kopf bedeckt hatte, rauschte zu Boden. Damit endet der Comic, die Geschichte der Freiheitsstatue ging weiter.

Bereits am Tag ihrer Enthüllung mischten sich in den Applaus Missfallensbekundungen. Suffragetten protestierten von einem Boot aus und forderten das Frauenwahlrecht. Eine afroamerikanische Zeitung verlangte, die Fackel dürfe nicht leuchten, bis die USA eine freie Nation für alle seien und »es einem rechtschaffenen und fleißigen Farbigen möglich ist, seinen Lebensunterhalt und den seiner Familie in anständiger Weise zu verdienen, ohne ›gekukluxt‹« zu werden.

Hinter Gittern. Die Freiheitsstatue wartet auf ihren großen Moment

Hinter Gittern. Die Freiheitsstatue wartet auf ihren großen Moment

Bild:
Splitter Verlag

Erleuchtet war die Fackel nur bis 1906. Dann wurde sie für immer gelöscht, Grund war, dass die Energieversorgung im Fackelarm nicht ausreichte, um Schiffen in der Dunkelheit den Weg zu weisen. Heutzutage dient der Arm nicht einmal mehr als Aussichtspunkt: Nach einem Sprengstoffanschlag durch deutsche Agenten 1916 ist dieser Teil des Monuments beschädigt.

Symbolisch wurde das Wahrzeichen unzählige Male angegriffen. In vielen Varianten wird die Freiheitsstatue als Symbol einer angeblich aggressiven US-amerikanischen Außenpolitik oder des Kapitalismus schlechthin verfremdet. Zahlreiche Murals in Teheran zeigen die Statue mit einem Totenkopf. In US-amerikanischen Katastrophenfilmen wird das Monument regelmäßig zerlegt. Am Ende von »Planet der Affen« (1968) ragt die Statue halb im Sand versunken aus dem Strand – als Warnung vor der Brüchigkeit der Zivilisation.


Buchcover

Julian Voloj (Text) und Jörg Hartmann (Zeichnung): Liberty. Splitter-Verlag, ­Bielefeld 2024, 144 Seiten, 29,80 Euro