31.10.2024
Der Dokumentarfilm »Riefenstahl« über die NS-Propagandafilmemacherin Leni Riefenstahl

Eine begeisterte Nationalsozialistin

Der Dokumentarfilm »Riefenstahl« zeigt bisher nicht veröffentlichtes Film- und Audio­material von Hitlers Lieblingsregisseurin Leni Riefenstahl und deckt dabei nicht nur auf, wie sehr sie an ihrem Image arbeitete, sondern widerlegt endgültig die Annahme, dass sie keine enthusiastische Anhängerin der Nazis gewesen sei.

Auch noch mit 95 Jahren wusste Leni Riefenstahl, sich ins rechte Licht zu rücken. 1997 wurde die wohl umstrittenste ­Filmemacherin der deutschen Kinogeschichte für das dreiteilige Doku-Drama »Speer und er« über den NS-Architekten Albert Speer interviewt.

Während das Bild für das Interview eingerichtet wird und die Kamera bereits läuft, sitzt sie auf einem Stuhl im Garten ihrer Villa am Starnberger See und betrachtet sich in einem Handspiegel. Das blond gefärbte Haar ist hochtoupiert, die schmalen Augenbrauen sind mit einem Stift nachgezeichnet. Mit ihren eingefallenen, vom Alter gezeichneten Augen kann sie kaum mehr sehen. Trotzdem achtet sie penibel auf ihr Äußeres. Die linke Nasenfalte soll aus ihrem Gesicht verschwinden. Als sie sich im Handspiegel begutachtet, spricht sie mehr zu sich selbst als zum Filmteam: »Das Oberlicht kann man nicht abdecken.«

Riefenstahl, die sich in den Dienst der NS-Propaganda stellte, wies bis an ihr Lebensende jegliche politische Verantwortung von sich.

Jener bisher unveröffentlichte Ausschnitt ist in Andres Veiels Dokumentarfilm »Riefenstahl« zu sehen. Zusammen mit der Fernsehmoderatorin, Journalistin und Produzentin Sandra Maischberger hat der Regisseur über mehrere Jahre hinweg den Nachlass Leni Riefenstahls durchgearbeitet, der nach dem Tod ihres Lebensgefährten Horst Kettner 2018 an die staatliche Stiftung Preußischer Kulturbesitz übergeben worden war.

Viel wurde bereits über Riefenstahl geschrieben und erzählt. Es gibt Dutzende Bücher und bereits zehn Dokumentarfilme über sie. Braucht es 21 Jahre nach ihrem Tod noch einen weiteren? Die insgesamt 700 Kisten des Nachlasses, bestehend aus Film- und Fotografiebeständen, Manuskripten, Briefen, Akten und Tonbandaufnahmen, bejahen diese Frage. Veiels Film, der ausschließlich mit bereits zugänglichem und jenem neuen Archivmaterial aus dem Nachlass arbeitet, liefert zwar keine gänzlich neuen Erkenntnisse über Adolf Hitlers Lieblingsregisseurin, aber er untermauert dennoch mit seiner akribischen Archivarbeit, wie sie Zeit ihres Lebens ihre Legenden, ihre Halbwahrheiten und Lügen vor sich hertrug.

Altnazis und Unterstützer, die sie als Heldin feierten

Riefenstahl, die mit »Triumph des Willens«, ihrem Film über den ­NSDAP-Parteitag 1934, und dem zweiteiligen Körperkultfilm »Olympia« neue filmästhetische Maßstäbe setzte (Quentin Tarantino gilt sie gar als »die beste Regisseurin, die jemals lebte«) und sich dafür in den Dienst der NS-Propaganda stellte, wies bis an ihr Lebensende jegliche politische Verantwortung von sich. Davon zeugen zahlreiche Auftritte im Fernsehen, in denen sie ihren Sermon unentwegt wiederholte und die auch in »Riefenstahl« zu sehen sind. Etwa, wenn sie 1976 in der WDR-Talkshow »Je später der Abend« neben einer gleichaltrigen Gewerkschafterin sitzt und die Ahnungslose gab (»Damals war die ganze Welt von Hitler begeistert«, »Ich habe damals nicht voraussehen können, was einmal geschehen würde«).

Veiel kontrastiert diese bereits bekannten Äußerungen Riefenstahls mit Funden aus ihrem Nachlass. Nach ihren Talkshow-Auftritten erreichte sie ein nicht endend wollender Strom an Briefen und Telefonanrufen von Altnazis und Unterstützern, die sie als Heldin feierten – alles fein-säuberlich von ihr aufgezeichnet und archiviert – ganz so, als seien die Zuschriften der Beleg für ihre eigene Selbstvergewisserung, nichts Unrechtes getan zu haben. Dieses Material lässt Veiel für sich alleine sprechen, nur selten ordnet ein Voice-over-Kommentar das Gezeigte ein.

Ein weiterer, von Riefenstahl nicht freigegebener Ausschnitt, der in »Riefenstahl« erstmals zu sehen ist und ein äußerst widersprüchliches Bild von ihr zeichnet, stammt vom Dreh zu Ray Müllers Dokumentarfilm »Die Macht der Bilder« von 1993. Als es um ihr Verhältnis zu Joseph Goebbels geht, verneint sie vehement und völlig aufgebracht, jemals in dessen Villa auf Schwanenwerder gewesen zu sein. In ihrer Erregung, die zum Abbruch des Interviews führte, lässt sich mehr ihre Kränkung ablesen, nicht in dem Maße zur NS-Elite gehört zu haben, wie sie es wohl gerne gehabt hätte, als ihre Leugnung, überhaupt enge Beziehungen zu den Parteifunktionären gehabt zu haben.

›Mein Kampf‹ und Gewalterfahrungen

Jene Ausschnitte, wie auch weitere Schriftstücke aus dem Nachlass, ­geben Auskunft darüber, wie Riefenstahl an ihrer eigenen Legende und die Art, wie an sie erinnert werden soll, arbeitete. In einem Interview zum Film erzählt Veiel, wie er und sein Team im Nachlass auf einen Hinweis eines Interviews des Daily Express mit Riefenstahl aus dem Jahr 1934 gestoßen sind, wobei das eigentliche Interview fehlte: »Wir ­haben es uns dann aus dem Archiv der Zeitung kommen lassen. Darin bekennt Riefenstahl, sie habe 1932 Hitlers ›Mein Kampf‹ gelesen und sei schon nach der Lektüre der ersten Seiten eine begeisterte Nationalsozialistin geworden.«

Ein pikantes Detail aus ihrem Leben, das freilich auch nicht in ihren Memoiren, die 1987 erschienen, auftaucht, an denen sie zehn Jahre lang arbeitete. Ebenso wenig wie manche Gewalterfahrungen, die sie in ihren ersten Entwürfen beschrieb, aber letztlich wieder rausstrich. Etwa jene mit Joseph Goebbels, der ganz und gar nicht ihr Typ gewesen sei, der sie aber zweimal »mit Gewalt« haben wollte, wie sie es auf einer Tonaufnahme bezeichnet. Oder die ­autoritäre Gewalterziehung ihres Vaters, der sie mit fünf Jahren einfach ins Wasser warf, damit sie Schwimmen lernte. Andere Gewalt­erfahrungen ihres Lebens fanden wiederum den Weg in ihre Memoiren, wie ihr Verhältnis mit dem Tennis­profi Otto Froitzheim, der sie in seiner Wohnung vergewaltigte.

Riefenstahl wusste das öffentliche Interesse an ihrer Person stets zu Geld zu machen. Immer wieder telefonierte sie mit Albert Speer, der nach seiner 20jährigen Haftstrafe ins Allgäu zog und zu dem sie ein freundschaftliches Verhältnis pflegte. Bei einem der von ihr aufgezeichneten Telefonate, die im Nachlass zu finden sind, fragt Riefenstahl ihn, wie viel Geld er denn für seine Fernsehauftritte bekomme. Ein paar Hundert Mark waren es letztens für eine Stunde bei der BBC, entgegnete er ihr. Sie antwortet ihm, unter 5.000 D-Mark bei kleinen Sachen mache sie es gar nicht mehr und sie habe für einen Auftritt vor zehn Jahren schon 10.000 D-Mark bekommen.

Voller Bewunderung für Hitler

Die durchgehende Aneinanderreihung von Archivmaterial im Dokumentarfilm ist dabei keineswegs ermüdend. Veiel lässt seinen Kameramann Toby Cornish langsam über die ausgebreiteten Dokumente und Fotos aus Riefenstahls Nachlass wandern. Mikroskopisch nahe fährt die Kamera die Bilder ab, wenn etwa auf einem Foto Hitler ihre beiden Hände schüttelt und sie ihm voller Bewunderung gegenübersteht oder wenn sie gemeinsam mit Goebbels im Garten sitzt und Manuskripte durchblättert.

Hinzu kommen die vielen Ausschnitte aus ihren Filmen und ihre unzähligen Interviews sowie Privataufnahmen von ihrer Villa in Pöcking am Starnberger See, wo sie bis zu ihrem Tod 2003 mit ihrem 40 Jahre jüngeren Partner Horst Kettner lebte.

Insgesamt 18 Monate lang arbeitete Veiel mit seinen drei Editoren Stephan Krumbiegel, Olaf Voigtländer und Alfredo Castro an dem Film. Herausgekommen ist ein Werk großer Montagekunst. 

Insgesamt 18 Monate lang arbeitete Veiel mit seinen drei Editoren Stephan Krumbiegel, Olaf Voigtländer und Alfredo Castro an dem Film. Herausgekommen ist ein Werk großer Montagekunst. Unterlegt werden die Bilder immer wieder mit den ­reduzierten Ambient-Klängen von Freya Arde, die das Gefühl der Beklommenheit, die der Film unablässig hervorruft, weiter verstärken.

Leni Riefenstahl war nicht nur eine Karrieristin und Opportunistin, die sich für ihre Kunst willentlich in den Dienst jeder Macht hätte stellen lassen. Ihre Grundgesinnung unterschied sich bis ins hohe Alter gar nicht so sehr von der Nazi-Ideologie. Das Verdienst des Films besteht wohl darin, dass er tief genug im Nachlass grub und jene Beweise Schicht für Schicht freilegte, mit denen Riefenstahl sich selbst und ihre Lügengeschichten posthum und ein für alle Mal demontiert.

Riefenstahl (D 2024). Buch und Regie: ­Andres Veiel. Kinostart: 31. Oktober