31.10.2024
US-Republikaner sehen im Wahlkampf Hexen am Werk

Mit aller Macht

Zu Trumps Gefolgschaft gehören evangelikale Christen, die einen fundamentalistisch-christlichen Staat anstreben. So auch der Prediger Lance Wallnau, der Kamala Harris für eine Hexe hält.

Hexerei, auf Okkultismus basierende Täuschungen, übernatürliche Manipulationen, Hilfe von Geistern bei der Verführung des Publikums – das waren nach Auffassung des evangelikalen Predigers und selbsternannten Propheten Lance Wallnau die verwerflichen Gründe für das gute Abschneiden von Kamala Harris in der Präsidentschaftsdebatte gegen Donald J. Trump.

Vergangene Woche erklärte Lance Wallnau zudem, dass im Falle einer Wahlniederlage von Harris US-weit mit »Manifestationen von Dämonen« gerechnet werden müsse. Gemeint war seine Befürchtung, die Anhänger der Demokraten würden mit Ausschreitungen reagieren. »Die Linke« sei nämlich, im Gegensatz zu den Republikanern, äußerst gewaltbereit. Und überdies sei der Sturm von Anhängern Trumps auf das Kapitol am 6. Januar 2021 praktisch gar nicht passiert, sondern bloß »eine Geschichte, die euch verkauft wurde«.

»Eine zunehmende Anzahl Menschen sagt: Wir befinden uns im Kampf um die Seele Amerikas, wir sind auf der Seite des Guten und die Demokratie steht uns im Weg.« Philip Gorski, Universität Yale 

Lance Wallnaus apokalyptische Rhetorik ist kein Zufall. Der Mann gehört nicht nur zur christlich-fundamentalistischen Maga-Prominenz, sondern war auch einer der ersten Prediger, die im Jahr 2016 Trump als von Gott auserwählt bezeichneten. Zudem ist Wallnau eine der Führungsfiguren des sogenannten Dominionismus, einer sich auf die Genesis berufenden Ideologie, die sich auf den Teil der biblischen Erzählung konzentriert, in dem Gott am Ende der sechstägigen Schöpfungsgeschichte Menschen nach seinem Ebenbild erschuf und ihnen befahl, sich die Erde untertan zu machen.

In der Praxis bedeutet das, dass Anhänger des Dominionismus eine Nation anstreben, die von Christen nach ihren religiösen Vorstellungen regiert wird. Schätzungen zufolge hängen in den USA rund 35 Millionen Menschen dieser christlich-­nationalistischen Religionsform an, die den überwiegend weißen Evangelikalen das gottgegebene Recht zuspricht, in einem nach von ihnen bestimmten ­biblischen Prinzipien ausgerichteten Staat zu leben.

»Von der Vision zum Sieg«

Spätestens nach einer Rede der rechtsextremen Abgeordneten Lauren Boebert im September 2022 wurde die dominionistische Ideologie in den USA vermehrt thematisiert. Boebert sagte während einer Konferenz der rechtsextremen Truth and Liberty Coalition unter dem Titel »Von der Vision zum Sieg«, es sei an der Zeit, »dass wir aufstehen und Einfluss auf die Nation nehmen«. Es sei bekannt, »dass wir uns in den letzten der letzten Tage befinden«. Sie rief: »Wir wurden berufen, Teil dieser letzten Tage zu sein«, und forderte das begeisterte Publikum dazu auf, »eine Rolle dabei zu spielen, die Wiederkunft von Jesus Christus einzuläuten«.

Als »neu und besorgniserregend« bezeichnete der US-amerikanische Soziologe Philip Gorski, Co-Direktor des an der Universität Yale angesiedelten Zentrums für vergleichende Forschung, Boeberts Äußerungen in der Denver Post. Gorski erklärte: »Eine zunehmende Anzahl Menschen sagt: Wir befinden uns im Kampf um die Seele Amerikas, wir sind auf der Seite des Guten und die Demokratie steht uns im Weg.«

Wie andere Republikaner, die bekannt dafür sind, Verschwörungslügen zu verbreiten, etwa der ehemalige General und Trump-Berater Michael Flynn und die Abgeordnete Marjorie Taylor Greene, ist auch Boebert Anhängerin der dominionistischen Bewegung Seven Mountain Mandate, deren führender Vertreter Wallnau ist. Die sieben Berge stehen für die sieben wichtigsten gesellschaftlichen Bereiche, die Evangelikale maßgeblich beeinflussen und für sich reklamieren sollen: Religion, Familie, Bildung, Medien, Unterhaltung, die Wirtschaft und die Regierung.

Harris als Hexe bezeichnet

In Schul­ausschüssen sind rechte christliche Gruppen schon seit vielen Jahren tätig und machen immer wieder Schlagzeilen, weil sie es durch konzertiertes Vorgehen und Einschüchterungen schaffen, Lehrpläne nach angeblich biblischen Prinzipien zu verändern und manche Kinderbuchklassiker als unchristlich aus Schulen zu verbannen. Sobald alle sieben Bereiche komplett unter evangelikaler Kontrolle sind, soll einer visionären Prophezeiung zufolge, von der unklar ist, ob sie von Wallnau stammt, Jesus Christus erscheinen.

Um Trumps Wahlsieg zu ermöglichen, organisiert Wallnau seit einigen Monaten auch von republikanischer Politprominenz besuchte, Gottesdiensten ähnelnde Pro-Trump-Rallyes in den swing states, bei denen er und gleichgesinnte Prediger das Publikum auf den anstehenden Endkampf zwischen Gut und Böse einstimmen. Auf diesen Veranstaltungen wird Harris als Hexe bezeichnet, die von dämonischen Kräften beschützt werde und Hilfe durch den »Geist von Isebel« erhalte, in der Vorstellung von Predigern wie Wallnau eine dämonische Kraft, die die US-Gesellschaft bedrohe und bekämpft werden müsse. Außerdem sei sie vom Teufel ausgesandt worden, um Trump zu eliminieren, mithin also die Wiederkehr von Jesus Christus und damit das Ende des Bösen zu verhindern.

Anhänger des sogenannten Domi­nionismus streben eine Nation an, die von Christen nach ihren reli­giösen Vorstellungen regiert wird.

Ganz wollen sich die dominionistischen Sekten allerdings nicht auf die Kraft des Wortes sowie der Wahlzettel verlassen, daher pflegt man zusätzlich enge Kontakte zu rechtsextremen Milizen. Mit der evangelikalen Friedlichkeit ist es ohnehin nicht weit her. Denn entgegen seinen Äußerungen über den 6. Januar als pure mediale Erfindung hatte Wallnau sehr früh zu denen gehört, die zu vehementem Widerstand gegen den angeblichen Wahlbetrug der Demokraten aufgerufen hatten. Er selbst war am Tag des Sturms auf das Kapitol an Ort und Stelle gewesen.

Auch der Sprecher des Repräsentantenhauses, Mike Johnson, gehört zu den Sieben-Berge-Gläubigen. Trump erwähnte ihn am Wochenende in einer Rede und sagte, dass sie ein »kleines Geheimnis« miteinander hätten, das große Auswirkungen haben werde. Genaueres verriet der ehemalige Präsident nicht, aber die Demokraten und einige Journalisten denken, dass es um ­einen Plan gehen könnte, Trumps etwaige Niederlage in einen Sieg um­zuwandeln.