Kein Platz unter Palmen
Die Riesenkugel »Oase Nr. 7« von Günter Zamp Kelp erwies sich als echter Hingucker. Futuristisch ragte die Blase, in deren Innerem sich eine Hängematte mit Palmen befindet, während der Sommermonate aus dem Rathaus der zweitgrößten luxemburgischen Stadt Esch-sur-Alzette hervor. Mittlerweile wurde sie wieder abmontiert und in ihr Winterquartier verbracht. Es handelt sich um einen Nachbau der erstmals 1972 im Rahmen der Documenta 5 gezeigten Installation der Künstler- und Architektengruppe Haus-Rucker-Co, zu deren Gründungsmitgliedern Zamp Kelp zählt.
Das luftige Gebilde mit sieben Metern Durchmesser, das als wegweisende künstlerische Auseinandersetzung mit den Auswirkungen von Klimawandel und Verstädterung gilt, markierte den Auftakt der Escher Architektur-Biennale, in deren Rahmen die zweigliedrige Ausstellung »Dis-placed« stattfindet. Über ein Dutzend Künstler:innen setzen sich in der im Juli eröffneten Ausstellung mit dem »Verlust ihres Zuhauses« auseinander.
Idealer Ausstellungsort
Das im September eröffnete zweite Kapitel der Ausstellung, »Dis-placed II« präsentiert nun weitere Arbeiten von 14 internationalen Kunstschaffenden. Gezeigt werden Werke von Künstler:innen aus Deutschland, Argentinien, Südafrika, Kuba, Frankreich, Israel, Irak, Iran und Luxemburg sowie aus »Palästina«. Zum Teil gestützt auf Autobiographisches, thematisieren sie den Verlust des Zuhauses durch Krieg, Verfolgung, Gewalt, Naturkatastrophen oder Wirtschaftskrisen mal in fiktiven Szenarien, mal dokumentarisch und sehr persönlich.
Der Ausstellungsort ist ideal gewählt: Die Konschthal (Kunsthalle) Esch, die im Zuge des Kulturhauptstadtjahres »Esch2022« im ehemaligen Möbelhaus »Lavandier« entstanden ist, präsentiert sich als ein Museum für zeitgenössische Kunst. Mit Einzelausstellungen von Jeppe Hein, Titus Schade oder Ben Greber hat es deren Leiter Christian Mosar vermocht, Kunst-Aficionados in die Arbeiterstadt im Süden Luxemburgs zu locken.
Angesichts des im Nahen Osten tobenden Kriegs und der restriktiven Flüchtlingspolitik der christlich-liberalen Regierung Luxemburgs ist das Leitmotiv der Schau ebenso aktuell wie dringlich.
Die Serie »GH0809 #2 (Gaza Houses 2008–2009)« des palästinensischen Künstlers Taysir Batniji, auf die die Besucher:innen gleich im Erdgeschoss stoßen, besteht aus 20 Fotografien zerstörter Häuser im Gaza-Streifen, die wie Immobilienanzeigen präsentiert werden. Die Arbeit sei eine »Reaktion auf die Militäroperation Israels gegen Gaza« 2008/2009.
Da Batniji im französischen Exil lebt, bat er einen Freund, zerstörte Häuser in immer derselben Perspektive abzulichten. Unter jedem Foto steht eine Beschreibung des Hauses und der Zahl seiner vormaligen Bewohner:innen, mit dem Ziel, eine Erinnerung an das jeweilige Zuhause zu schaffen. Im Begleitheft liest man, dass der Künstler eine »alternative, distanzierte und subjektive Lesart der Nachrichten vorschlagen« wollte. Zwar gelingt es ihm, im Wust der Fernsehbilder auf die dort wohnenden Menschen und ihren Alltag hinzuweisen, die Komplexität des israelisch-palästinensischen Konflikts bleibt dabei jedoch außen vor.
Gedankenlosigkeit eines unreflektierten linken Milieus
Von schockierendem Zynismus ist eine weitere Arbeit des Künstlers. Auf einer Holzpalette stapeln sich Hunderte Seifenstücke, in die »Dawam el Hal Men Al Mohal« eingraviert ist, was übersetzt wird mit »No condition is permanent«. Seife sei »ein prekäres, der Auflösung geweihtes Material«, liest man im Katalogtext. Die Vergänglichkeit des Materials erinnere an das Menschsein und unsere Relativität. »Jeder Besucher kann sich eine Seife mitnehmen«, so Mosar, der die Ausstellung zusammen mit Charlotte Masse und Charles Wennig kuratiert hat. Dass Seife eine Assoziation zur Shoah weckt – Berichten zufolge wurden die Leichen ermordeter Juden unter anderem zur Seifenherstellung verwendet –, scheint als schockartiger Moment intendiert; zumindest unterstreicht es die Gedankenlosigkeit eines unreflektierten linken Milieus, das auch leichtfertig von einem Genozid spricht.
Es gibt jedoch auch überzeugende Arbeiten, zum Beispiel die Installation der Iranerin Samira Hodaei. In »A Fire Appeared, a Fire Spread« (2023/2024) setzt sie Videokunst und Metallarbeiten ein, um die komplexen Entwicklungen rund um die nationale Öl- und Stahlindustrie in Iran und Luxemburg zu erforschen. Die Doppelprojektion zeigt Archivmaterial aus der Provinz Khuzestan im Iran und aus der Minette-Region in Luxemburg, die sich beide Anfang des 20. Jahrhunderts zu Industriestandorten entwickelten, was die dort lebenden Menschen prägte.
Mit dem Thema Flucht und Migration beschäftigt sich das iranische Künstlerduo Tirdad Hashemi und Soufia Erfanian. Ihre Gemälde zeigen schemenhafte Figuren, die im Blau des Mittelmeers verschwinden; ein subtiler Hinweis auf die vielen ertrunkenen Flüchtlinge.
Minenfelder in Kurdistan
Ein beeindruckendes Werk ist die fast schwebende Installation von Hiwa K. Der irakisch-kurdische Künstler musste während des zweite Irak-Kriegs aus Kurdistan fliehen. Sein »One Room Apartment«, das bereits auf der Documenta 14 in Athen zu sehen war, ist die Rekonstruktion eines Sozialwohnungsbaus in der Nähe der Minenfelder im kurdischen Teil des Irak.
Videokunst ist ein Schwerpunkt der Ausstellung »Dis-placed II«. Das Video »Territory« (2017) der Künstlergruppe The Blaze, bestehend aus den Cousins Guillaume und Jonathan Alric, zeigt die Rückkehr eines jungen Mannes in den Maghreb. Der mit elektronischer Musik unterlegte Film, der fast vollständig in Algier gedreht wurde, beginnt mit der Ankunft eines Boots und zeigt das emotionale Wiedersehen eines jungen Mannes mit seinen Verwandten. Dem Protagonisten steht die Fremdheit ins Gesicht geschrieben, denn auch dort, wohin er zurückkehrt, ist er nicht mehr wirklich zu Hause.
Beunruhigend wirkt der Kurzfilm »Continuity« des in Berlin lebenden israelischen Filmemachers und Künstlers Omer Fast. Zentrale Figur in dem schon zwölf Jahre alten Werk über Kriegstraumata ist ein junger Soldat, der nach seinem Einsatz in Afghanistan nach Deutschland heimkehrt. Die Eltern reisen zu einem S-Bahnhof, um ihn abzuholen und danach zu Hause mit ihm zu Abend zu essen.
Geflüchtete und Gestrandete
Die Szene wird mit wechselnden Darstellern des Sohnes wiederholt. Ansonsten sind die verschiedenen Versionen fast identisch, bis auf feine Unterschiede. Jedes Mal zeigt sich, dass der heimgekehrte Junge schwere psychische Schäden davongetragen hat. Reales und Irreales verschwimmen zu einem halluzinatorischen (Alp-)Traum. Der Film bleibt in seinen Schuldzuweisungen sehr zurückhaltend; 2013 gewann er den Deutschen Kurzfilmpreis »Lola«.
Angesichts des im Nahen Osten tobenden Kriegs und der restriktiven Flüchtlingspolitik der christlich-liberalen Regierung Luxemburgs (vor wenigen Wochen wurde der iranische Künstler Alborz Teymoorzadeh mit der Begründung ausgewiesen, er habe nicht nachweisen können, dass seine Tätigkeit Luxemburg wirtschaftlichen Nutzen bringe) ist das Leitmotiv der Schau ebenso aktuell wie dringlich.
Wenn das (Selbst-)Bild von Geflüchteten und Gestrandeten präsentiert wird und ihre Kunst im Mittelpunkt steht, verdient dieses Unterfangen alle Sympathie. Doch zeigt die Ausstellung ein Potpourri von teils überzeugenden, teils recht plakativen Kunstwerken, von denen einige in absichtlicher Selbstbezüglichkeit befangen bleiben. Botschaften der vermeintlich Kolonisierten passen sich in eine Großerzählung ein, die eine antiimperialistische Weltsicht präsentiert.
Die Ausstellung »Dis-placed II« ist in der Konschthal Esch (Esch-sur-Alzette, Luxemburg) noch bis zum 19. Januar 2025 zu sehen.