Säkulare Öldiktatur
Ein Kritikpunkt an der 29. Klimakonferenz der Vereinten Nationen (COP 29) war der Austragungsort der Veranstaltung: Baku, die Hauptstadt Aserbaidschans. Tatsächlich dürfte es abgesehen von den Ölmonarchien am Persischen Golf kaum einen Staat geben, der weniger geeignet wäre für eine Veranstaltung, die die Abkehr von fossilen Brennstoffen vorantreiben soll. Ist doch die Existenz des modernen Aserbaidschan, ähnlich wie die der Monarchien der arabischen Halbinsel, ohne die Ölförderung kaum denkbar.
Erdöl wurde in der Umgebung Bakus, am Ufer des Kaspischen Meers, schon vor Jahrhunderten gefördert, zumeist, um es als Basis von Heilmitteln und Brennstoff für Öllampen zu nutzen. Mit der Industrialisierung und schließlich der Erfindung des Verbrennungsmotors im 19. Jahrhundert stieg der Bedarf.
Bedeutender Standort der sowjetischen Ölindustrie
Um 1900 stammte die Hälfte des weltweit geförderten Erdöls aus der Umgebung von Baku, das damals zum russischen Zarenreich gehörte. Im Zweiten Weltkrieg, Aserbaidschan war seit 1920 als Sowjetrepublik (SSR) Teil der Sowjetunion, war das Bakuer Öl ein kriegsentscheidender Faktor. Trotz der Erschließung neuer Ölfelder in Sibirien blieb Baku auch in der Nachkriegszeit ein bedeutender Standort der sowjetischen Ölindustrie.
Zum Ersten Sekretär des Zentralkomitees der Aserbaidschanischen Kommunistischen Partei wurde 1969 ein 46jähriger KGB-Offizier namens Heidar Alijew gewählt. Sein luxuriöser Lebensstil und das Klientelnetzwerk, das er aufbaute, trugen ihm den Beinamen »Monarch von Aserbaidschan« ein. Vom damaligen Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow wurde er im Rahmen der Korruptionsbekämpfung 1987 entmachtet.
Neben engen Kontakten mit der Türkei pflegt Aserbaidschan unter Ilham Alijew gute Beziehungen zu Israel, das das Land unterstützt, weil es ein regionaler Gegenspieler des Iran ist.
Doch der Zusammenbruch der Sowjetunion sollte ihm eine zweite Karriere erlauben. Im Zuge der sich verschärfenden wirtschaftlichen und politischen Krise der Sowjetunion in den Achtzigern trugen die sozialen Konflikte im Südkaukasus immer stärker ethnische Züge. Insbesondere um die Region Bergkarabach, eine mehrheitlich von Armeniern bewohnte autonome Provinz in der Aserbaidschanischen SSR, entwickelte sich ein Konflikt zwischen Armeniern und Aserbaidschanern, der sich mit der Unabhängigkeit der Armenischen wie der Aserbaidschanischen SSR 1991 zum offenen Krieg auswuchs.
Diesen Krieg verlor Aserbaidschan. Die Enklave Bergkarabach wurde zum international nicht anerkannten Kleinstaat, angrenzende Teile Aserbaidschans armenisch besetzt und deren aserbaidschanische Bewohner vertrieben.
In der dadurch ausgelösten politischen Krise übernahm Alijew durch einen Putsch 1993 das Präsidentenamt. Während in Westeuropa ab den späten Neunzigern das Interesse an dem Konflikt nachließ, arbeitete Alijew an der Festigung seiner Macht. Ein wichtiges Instrument war dabei der staatliche Ölkonzern Socar, der unter anderem mit dem Unternehmen British Petroleum kooperierte.
Ölrente ökonomische Basis für Herrschaft des Alijew-Clans
Die Ölrente schuf die ökonomische Basis, die in Verbindung mit dem in der Sowjetunion entstandenen Klientelnetzwerk Alijews Herrschaft festigte. Als er 2003 starb und das Präsidentenamt seinem Sohn vererbte, war Aserbaidschan schon nicht mehr das arme, kriegsgeschädigte Land, in dem er 1993 die Macht übernommen hatte. Zu spüren war allerdings auch nichts mehr von den zaghaften demokratischen Ansätzen der frühen Neunziger. Die Opposition war zerschlagen, im Exil oder im Gefängnis und um den Präsidenten ein Personenkult entstanden.
Ilham Alijew setzte die Politik seines Vaters fort. Mit der 2005 in Betrieb genommenen Pipeline Baku–Tiflis–Ceyhan, mit der Öl an die türkische Mittelmeerküste transportiert wird, wurde Aserbaidschan beim Verkauf seines Öls unabhängig von russischen Pipelines. Neben engen Kontakten zur Türkei pflegt Aserbaidschan unter Ilham Alijew gute Beziehungen zu Israel, das das Land unterstützt, weil es ein regionaler Gegenspieler des Iran ist.
Gelegentliche Anklänge von Separatismus innerhalb der großen aserischen Minderheit im Iran und grassierende Vorstellungen eines großaserbaidschanischen Expansionismus lassen das iranische Regime misstrauisch auf die säkulare Öldiktatur im Nachbarland schauen. Die Ölrente finanzierte dort nicht nur den Bau der üblichen Monumentalarchitektur aus Glas und Stahlbeton, sondern ermöglichte auch internationale Beziehungen, die eine Revision der Resultate des Bergkarabach-Kriegs zuließen.
Alternativer Lieferant von Erdgas
2020 marschierten aserbaidschanische Truppen in Bergkarabach ein und besetzten ein Drittel der Region. Der mit modernsten Waffen ausgestatteten Armee Aserbaidschans hatten die armenischen Streitkräfte nichts entgegenzusetzen. Der Protest aus westlichen Staaten hielt sich in Grenzen. Vielmehr wurde Aserbaidschan nach dem russischen Überfall auf die Ukraine als alternativer Lieferant von Erdgas politisch aufgewertet.
Die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, flog 2022 nach Baku und vereinbarte mit Alijew, die Gasimporte in die EU auszuweiten. Im Folgejahr eroberte Aserbaidschan auch den Rest Bergkarabachs. Die dort lebende Bevölkerung wurde vollständig nach Armenien vertrieben. Auch innenpolitisch verfolgt Ilham Alijew eine Politik der harten Hand. Vor der COP 29 wurden Journalisten und Kritiker des Regimes, die sich öffentlich hätten äußern können, festgenommen.