28.11.2024
Kim Deals erstes Soloalbum »Nobody Loves You More«

Singles und Solo

»Nobody Loves You More« heißt das erste Soloalbum der Breeders-Frontfrau und ehemaligen Pixies-Bassistin Kim Deal, das mit Big Band, Jazz- und Country-Klängen aufwartet und dabei trotzdem immer Deals ureigenen Sound bewahrt.

Kim Deal ist die Beste. Das wusste unter anderem auch Kurt Cobain, der einmal in sein Tagebuch notierte: »Ich wünschte, Kim dürfte mehr Songs für die Pixies schreiben, denn ›Gigantic‹ ist der beste Song der Pixies und Kim hat ihn geschrieben.«

In dem Lied von Deal, damals Bassistin der Indie-Rock-Band aus Boston, geht es um eine Liebesbeziehung zwischen einer älteren weißen Frau und einem jungen schwarzen Mann, und zwar in den fünfziger Jahren, als die Eheschließung zwischen Weißen und Schwarzen in den Südstaaten der USA noch verboten war. Es ist kein ernstes Lied, sondern eines voller Freude – hier wird die Lust besungen.

Schmale Breeders-Diskographie

Typisch für Deal darf auch der böse Humor nicht zu kurz kommen: Das Wörtchen »Gigantic« bezieht sich auf die rassistische Vorstellung weißer Männer, nicht so potent zu sein wie Afroamerikaner – worüber Deal sich hier charmant lustig macht. Ihre Zwillingsschwester Kelley scherzte einst sogar, dass es in Deals Songs eigentlich immer um Sex gehe. 

Kim Deal schrieb schließlich mehr Lieder, allerdings nicht bei den Pixies, sondern in ihrer eigenen Band, den Breeders, die sie 1989 gründete. Nicht überraschend stand »Pod«, das 1990 erschienene Debütalbum der Band, schließlich ganz oben auf der mit »Top 50« überschriebenen Liste der Platten, die Kurt Cobain für die besten hielt. Mit Unterbrechungen besteht die Band bis heute, das jüngste Album »All Nerve« erschien 2018

Seit bald 40 Jahren Musikerin: Kim Deal

Seit bald 40 Jahren Musikerin: Kim Deal
 

Bild:
Steve Gullick

Für eine Band, die es bereits 25 Jahre gibt, ist die Diskographie allerdings ziemlich schmal: Fünf Studioalben und drei EPs zählt sie, nicht mitgerechnet das Album »Pacer« von Deals Nebenprojekt The Amps, das eigentlich als Soloprojekt geplant war: Deal wollte sämtliche ­Instrumente selbst einspielen, aber dann wuchs doch eine kleine Band heran, inklusive dem Breeders-Schlagzeuger Jim Macpherson.

Die Diskographie der Breeders mutet ­allerdings vor allem deswegen äußerst schmal an, weil man sich Kim Deal eigentlich nicht vorstellen kann, wie sie nicht Musik macht. Wer die Musikerin schon einmal spielen gehört oder sogar bei einem Konzert gesehen hat, merkt sofort, dass hier jemand ganz in seinem Element ist: Mit nerdiger Konzentration gibt sich Deal ganz ihrem Musizieren hin. Dass sie nie ein Soloalbum veröffentlicht hatte, wirkte angesichts ihrer Leidenschaft geradezu bizarr. 

Roh wie Demoversionen

Das hat sich mit dem nun erschienenen »Nobody Loves You More« geändert, doch ihre erste Soloveröffentlichung ist das dann doch nicht. Zwischen 2012 und 2014 veröffentlichte Deal auf eigene Faust und ohne Label insgesamt fünf 7-Inch-Singles mit jeweils einem Song auf der A- und auf der B-Seite, die sie auf ihrer Internetseite verkaufte, dar­unter das mit knarzendem und ­völlig übersteuertem Bass aufwartende flotte Instrumentalstück »Dirty Hessians«, der an den Noise-Rock der späten Achtziger erinnernde Song »Biker Gone« (auf dem auch Kelley Deal und Britt Walford, beide ebenfalls Breeders-Kollegen, zu hören sind) und das schwarzhumorige »The Root« mit der bitterbösen Refrainzeile »I’m happy for you / But I feel like dying«.

Die meisten dieser Singles klingen in ihrer rohen Machart wie Demoversionen, doch nur zwei Songs von ihnen haben es nun, mit teils drastischen Veränderungen, auf das neue Album geschafft: »Are You Mine?«, einer davon, ist ein Lied über die Alzheimererkrankung von Deals Mutter Ann, die ihrer Tochter tatsächlich einmal diese zum Songtitel gewordene Frage stellte. 

Mom of Indie Rock. Kaum eine Musikerin beeinflusste den Alternative Rock der Neunziger so stark wie Kim Deal

Mom of Indie Rock. Kaum eine Musikerin beeinflusste den Alternative Rock der Neunziger so stark wie Kim Deal 

Bild:
Steve Gullick

Tatsächlich waren die Singles nicht als Demos geplant, sondern wurden von Deal geschrieben, nachdem sie 2011 endgültig mit den Pixies gebrochen hatte (die sich für eine lange Tour noch einmal zusammengetan hatten). Es kam so viel zusammen, dass es für ihre Singles, das erwähnte Breeders-Album und nun auch für ein Soloalbum reichte.

Die Veröffentlichung von »All Nerve« ist allerdings auch bereits sechs Jahre her, wieso also hat Deal nicht einfach ein neues Album mit ihrer Band aufgenommen? Immerhin sind mit Kelley Deal, Macpherson, Walford und Mando Lopez (der auf »Title TK« von 2002, dem wohl besten Album der Band, Gitarre und Bass spielte) so gut wie alle Mitglieder der Breeders auf »Nobody Loves You More« ­vertreten. 

Josephine Wiggs war not amused

Nur eine ist nicht dabei: die Bassistin Josephine Wiggs aus England, die bereits seit dem Debütalbum der Breeders Teil der Band ist. Dem Guardian erzählte Deal, dass sie Wiggs einige ihrer Songs auf der Ukulele vorspielte, die ein Geschenk von Steve Albini war, jenem wichtigen Toningenieur, der seit Jahrzehnten mit Deal eine Arbeitsbeziehung und eine Freundschaft pflegte und in diesem Jahr plötzlich starb – »Nobody Loves You More« dürfte eines der letzten Alben gewesen sein, an denen Albini beteiligt war. Wiggs war allerdings nicht amused über die Ukulele-Vorlagen, Deal erinnerte sich, dass sie in ihrem starken Akzent wie angeekelt sagte: »Auf gar keinen Fall!« 

Wiggs dürften die Songs, die es nun auf Deals Soloalbum geschafft haben, zu verschnörkelt, zu unrockig, aber vor allem zu fröhlich gewesen sein, vergleicht man sie etwa mit »MetaGoth«, einem Lied von »All Nerve«, dass sie mit Deal zusammen geschrieben hat und das eine düstere, treibende Nummer ist, ganz im Gegensatz zu »Nobody Loves You More«, dem Titelsongs des Albums, der zunächst mit Streichern aufwartet, um sich dann geradezu in ein Big-Band-Stück zu verwandeln. Etwas Ähnliches passiert auch im zweiten Track »Coast«, das mit Trompeten eingeläutet wird und irgendwann fast ein wenig wie ein Ska-Stück mit kleinem Orchester anmutet – und dabei immer noch wie ein Lied aus der Feder von Kim Deal klingt.

Der pure Deal-Sound, das heißt ein einfacher Bass, eine melodische, elektrisch verstärkte akustische Rhythmusgitarre und eine Lead-Gitarre, die sich manchen Patzer erlaubt.

Den puren Deal-Sound, das heißt ein einfacher, straight gespielter, ­repetitiver Bass, eine melodische, elektrisch verstärkte akustische Rhythmusgitarre und eine Lead-Gitarre, die sich manchen Patzer erlaubt (tatsächlich ist Deal bekannt dafür, vermeintliche Fehler beim Aufnehmen ganz absichtlich zu belassen), bekommt man dann spätestens bei »Disobedience« zu hören, der fünfte Song der Platte. Bei dem schon erwähnten »Are You Mine?« lassen sich Country-Elemente erkennen, und »Summerland« ist eigentlich ein Jazz-Stück, in dem die ganze Schönheit der zarten, weichen und dabei kräftigen Stimme von Deal hervortritt, die einem augenblicklich Gänsehaut über den Rücken laufen lassen kann. 

Aber wieso denn nun ein ganzes Soloalbum? Stehen die Breeders doch vor dem Aus? »Nobody Loves You More« hat viel Charisma, aber nicht den eines konzeptuell durchdachten und arrangierten Albums, zu unterschiedlich klingen die einzelnen Songs. Am Ende sind es eben doch Singles, die Deal auch weiter als solche hätte vertreiben können. Wieso sie das nicht getan hat, das erzählte sie dem Guardian, und zwar in ihrer unnachahmlichen, bodenständigen und charmanten Weise: »Ich dachte: Niemand mag es, zu seiner Anlage zu gehen und nach dreieinhalb Minuten die Platte umzudrehen, das ist irgendwie lästig, also könnte ich sie alle auf ein Album packen.«

Kim Deal: Nobody Loves You More (4AD)