»Es wird für längere Zeit keine zweite Chance geben«
Warum gehört der Paragraph 218 aus dem Strafgesetzbuch gestrichen?
Die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen hat in der Praxis sehr negative Auswirkungen für Frauen. Die Regelung über das Strafgesetzbuch verkompliziert die Abbrüche extrem. Zum Beispiel werden nur für bedürftige Frauen die Kosten übernommen, und die müssen dafür ihre Einkommensverhältnisse prüfen lassen.
Die Gesetzesinitiative sieht eine Abschaffung der dreitägigen verpflichtenden Wartezeit zwischen Beratung und Abbruch vor. Halten Sie das für eine gute Idee? Wie wirkt sich diese Wartezeit in Ihrer Beratungspraxis aus?
Viele Frauen nehmen das als diskriminierend und misogyn wahr. Einige ungewollt Schwangere haben ihre Entscheidung getroffen, bevor sie in die Beratung kommen. Nicht jede Frau ist in einem Schwangerschaftskonflikt, auch wenn es »Konfliktberatung« heißt. Vor langen Wochenenden kommt es praktisch immer wieder dazu, dass Frauen keinen zeitnahen Abbruch vornehmen lassen können. Montags beraten wir deswegen viel, damit dann freitags noch der Abbruch gemacht werden kann.
»Die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen hat in der Praxis sehr negative Auswirkungen für Frauen. Die Regelung über das Strafgesetzbuch verkompliziert die Abbrüche extrem.«
Die Gesetzesinitiative sieht vor, die Beratungspflicht beizubehalten. Wie sehen Sie das?
Die AWO hat die Position, dass es keine Pflichtberatung geben sollte, weil Beratung immer auf Freiwilligkeit beruhen sollte und man bei einer Pflichtberatung der Person nicht auf Augenhöhe begegnen kann. Aber damit man Chancen hat, dass der Gesetzentwurf jetzt durchgeht, ist es im Moment besser, erst einmal auf die Streichung des Paragraphen 218 hinzuwirken und nicht auch noch die Abschaffung der Beratungspflicht zu fordern. Wenn jetzt nicht der Paragraph aus dem Strafgesetzbuch gestrichen wird, dann wird sich für längere Zeit keine zweite Chance dafür ergeben.
Was fehlt aus Ihrer Sicht noch in dem Gesetzentwurf?
Es ist ein Unding, dass Verhütungsmittel selbst bezahlt werden müssen. Das muss eine Krankenkassenleistung werden. Das Legen einer Kupferspirale kostet beispielsweise mindestens 200 Euro. Im Bürgergeld sind pro Monat 20 Euro für Gesundheit und Kosmetik eingerechnet, dafür kriegt man keine Verhütungsmittel. Dasselbe gilt für die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Das ist absolut unzumutbar.
Nur bis zum Alter von 22 Jahren werden verschreibungspflichtige Verhütungsmittel von der Krankenkasse übernommen. Oft kommen Frauen in die Konfliktberatung, von denen ich weiß, dass sie auch nach einem Abbruch nicht die Möglichkeit haben, selbstbestimmt zu verhüten, weil sie sich das nicht leisten können.
Was fehlt sonst noch?
Dann ist da noch die Frage nach der sozialen Unterstützung. Wir haben durchaus Frauen in der Beratung, die das Kind austragen würden, wenn sie in einer besseren sozialen Situation wären.
Außerdem sollte die Formulierung »ungeborenes Leben« im Gesetz nicht mehr verwendet werden. Eine Frühschwangerschaft bedeutet, dass Leben entstehen kann, aber es handelt sich noch nicht um ein eigenständiges Lebewesen.
Der Entwurf könnte am 6. Dezember im Bundestag debattiert werden. In dem Fall könnte es noch klappen, das Gesetz kurz vor der geplanten Neuwahl am 23. Februar zu beschließen. Wieso wurde eine solche Gesetzesinitiative nicht schon vorher zur Abstimmung gebracht?
Da kann man nur spekulieren, wahrscheinlich war kein Mut vorhanden, sich der gesellschaftlichen Debatte um reproduktive Rechte zu stellen. Die Frage ist jetzt, ob man noch Abgeordnete der CDU und FDP zu motivieren vermag, für das Gesetz zu stimmen, damit man eine Mehrheit bekommt.