28.11.2024
Zu Besuch bei einer Bauerndemonstration in Berlin, die fast ohne Landwirte daherkam

Wirr für Deutschland

Angekündigt war eine Bauerndemo, doch nicht einmal 30 Traktoren wurden gezählt. Knapp 1.000 Leute, darunter viele Handwerker und »Querdenker«, brachten am Samstag vor dem Brandenburger Tor nationalistische Ressentiments zum Ausdruck.

Sie sei schon »seit Corona-Zeiten« auf den Straßen, erzählt die Frau, auf ­deren gelber Warnweste »Elke« steht. »Immer noch das alte Lied?« fragt der Streamer mitfühlend, der live ins Internet berichtet. »Jetzt sind ja die Themen anders, jetzt geht’s hier um Frieden«, sagt sie und liegt damit daneben und doch richtig: Eigentlich befindet sie sich auf einer, dem Namen nach, »Großdemonstration der Landwirtschaft« – doch auch dort geht es um viele andere meist rechtspopulistisch besetzte Themen wie den »Frieden«.

Der Verein »Hand in Hand für unser Land« hatte diese Demonstration für Samstag in Berlin angekündigt, 10.000 Teilnehmer waren angemeldet, man erwartete 1 000 Traktoren. Doch die Polizei zählte nur 23 der symbolträchtigen Zugmaschinen und die Teilnehmerzahl dürfte, wenn man großzügig schätzt, etwas unter 1.000 gelegen ­haben.

Ein Mann forderte auf einem Transparent, die Ukraine zu »entnazifizieren«, ein anderer hielt ein Schild hoch mit der Aufschrift »Putin heißt Frieden«.

Der in Bayern gemeldete Verein wollte offenbar an die Proteste von Landwirten aus dem vergangenen Winter anknüpfen. »Hand in Hand für unser Land« hatte sich nach einer solchen Demonstration auf der Münchner Theresienwiese im Januar gegründet. Ziel sei es, über Landwirte hinaus auch andere gesellschaftliche Gruppen zu organisieren wie »Mittelständler, Rentner, Handwerker, Mütter«. Mit den großen Landwirtschaftsverbänden hat man für die Demonstration in Berlin nicht zusammengearbeitet. Dafür waren Verschwörungserzähler und Möchtegern-Volkstribune dabei, wie zum Beispiel Jürgen Todenhöfer (von der Partei Team Todenhöfer) oder »Querdenken«-Veteran Anselm Lenz, die beide eine Rede hielten. Auch Vertreter der Kleinstparteien Die Basis und Werteunion waren anwesend.

Vor dem Brandenburger Tor war eine große Bühne aufgebaut, doch viele Teilnehmer blieben lieber an der langen Straße des 17. Juni bei ihren Autos, Pickups und Campingwagen – zum Unmut der Veranstalter, denn vor der Bühne fehlte das Publikum. Aber die meisten wollten ihre Teilnahme lieber so gestalten wie den Aufenthalt auf einem Festival-Zeltplatz: Man parkte zusammen in Grüppchen, baute sich dort teils auch Sitzgelegenheiten auf – eine Gruppe aus Erfurt hatte sogar eine Lautsprecherbox dabei, um Rammstein zu hören. Die Fahrzeuge waren dem Anlass entsprechend mit Fahnen und Stickern geschmückt. ­

Deutschlandfarben und »Deutschland stirbt«

Besonders beliebt waren die Deutschlandfarben, aber auch der Slogan »Deutschland stirbt«. Hier und dort fand sich auch eine Reichsflagge, viele repräsentierten ihr jeweiliges lokales Protestgrüppchen, sei es »Widerstand Leipziger Land« oder »Mecklenburg-Vorpommern steht auf«, mit Stickern, Transparenten oder eigens beschrifteten Warnwesten.

Manche gaben sich besonders viel Mühe: Ein Besucher hatte auf der Ladefläche seines Pickup einen blauen ­Käfig aufgestellt, darin eine Puppe, die vielleicht einen Islamisten darstellen sollte, mit Bart, Gebetshut und Palästinensertuch. Neben dem Käfig, auf dem »Nur Blau« – die Parteifarbe der AfD – zu lesen war, stand ein fast lebensgroßer Polizist aus Pappmaschee. Andere nutzten die Versammlung, um ihre Treue zum russischen Regime auszudrücken: Ein Mann forderte auf einem Transparent, die Ukraine zu »entnazifizieren«, ein anderer hielt ein Schild hoch mit der Aufschrift »Putin heißt Frieden«.

Ein Blick auf die parkenden Autos legte nahe, dass Landwirte keinesfalls den Großteil der Teilnehmer stellten. Straßenbauer aus Mecklenburg-Vorpommern, Mitarbeiter von Handwerksbetrieben aus Sachsen und Thüringen oder auch aus Bayern waren ­gekommen, viele mit ihren Firmenfahrzeugen.

Wo war Hubsi?

Mit der Fahne der Landvolk-Bewegung, die ein Teilnehmer trug, gab es immerhin einen Bezug zur Landwirtschaft, wenn auch nicht zur heutigen. Die Landvolk-Bewegung wurde in den zwanziger Jahren gegründet, Historiker und Historikerinnen ordnen die Be­wegung als völkisch und antisemitisch ein. Bei manchen Landwirten erfreut sich die historische Bewegung noch heute einiger Beliebtheit: 2020 formten Bauern in Schleswig-Holstein mit ihren Traktoren ein feldgroßes Landvolk-Symbol, bestehend aus Schwert und Pflug.

An die zum Teil ziemlich großen Bauernproteste des vergangenen Winters anzuknüpfen, gelang dem Verein »Hand in Hand für unser Land« nicht einmal annähernd. Dabei hatte sogar Hubert Aiwanger (Freie Wähler), der stellvertretende Ministerpräsident von Bayern, die Veranstaltung auf X beworben. Seine Partei bestätigte sogar auf Nachfrage des Redaktionsnetzwerks Deutschland, dass Aiwanger teilnehmen werde. Die Jungle World konnte ihn an Ort und Stelle nicht entdecken.