05.12.2024
In Nordrhein-Westfalen haben sich zwei rechtsextreme Gruppen aufgelöst

Revolte ist abgesagt

Innerhalb weniger Tage gaben Mitte November zwei rechtsextreme Gruppierungen aus Nordrhein-Westfalen ihre Auflösung bekannt. Antifaschisten vermuten dahinter das Kalkül, staatliche Repressions­maßnahmen abzuwenden.

»Hiermit geben wir die Auflösung der Aktion Hermannsland bekannt«, war ganz schlicht Mitte November auf der Social-Media-Präsenz der rechtsextremen Gruppierung aus Ostwestfalen zu lesen. Kurz zuvor hatte die Polizei vier Wohnungen von Rechtsextremen in Bielefeld und Umgebung durchsucht. Laut dem Recherchekollektiv Ostwestfalen handelte es sich um Mitglieder von drei lokalen Neonazi-Gruppen: neben der Aktion Hermannsland die Freischar Westfalen und Westfalens Erben.

Laut Staatsanwaltschaft besteht der dringende Tatverdacht, dass die Gruppen mehrere unangemeldete Versammlungen an geschichtsträchtigen Orten in der Region, wie dem Kaiser-Wilhelm-Denkmal bei Porta Westfalica, abgehalten haben. Der Polizei zufolge hätten sie sich dabei vermummt und Pyrotechnik gezündet. Die Inszenierung der Auftritte erinnerte an frühere Aktionen der Identitären Bewegung (IB). Außerdem stünden »Vorwürfe der Sachbeschädigung und des Hausfriedensbruches im Raum«, heißt es in der Polizeimeldung. Zumindest einer Verdächtigen könnte im Besitz erlaubnisfreier Waffen sein.

Die Bekanntgabe von Gruppenauflösungen sei in der Neonazi-Szene eine »beliebte Taktik, um sich einer kritischen Öffentlichkeit zu entziehen und polizeiliche Maßnahmen zu vermeiden«, sagt das Recherchekollektiv Ostwestfalen.

Kurz darauf gab auch die rechts­extreme Organisation Revolte Rheinland ihre Auflösung bekannt. Womöglich fürchtete sie, dass sie das nächste Ziel einer Razzia sein würde. Denn die Selbstauflösung kam, »nachdem im September 2024 mehrere Anzeigen bei der Polizei eingegangen waren und der Staatsschutz seine Ermittlungen aufnahm«, sagte die Bundestagsabgeordnete Martina Renner (Linkspartei) der Jungle World. Die Vermutung liegt nahe, dass die Gruppe offiziell ihre »Selbstauflösung« verkündete, um den Ermittlungen zu entgehen. Man sollte deshalb hinsichtlich der genannten Gruppen »besser von einer ›Scheinauflösung‹ sprechen«, so Renner.

Solche Manöver sind nicht neu – vielmehr sind die genannten Gruppen selbst zum Teil das Resultat früherer Umgruppierungen der Identitären Bewegung. Diese befand sich vor einigen Jahren in der Krise. Ursprünglich hatte sie versucht, als »Jugendbewegung« ein bemüht harmloses Image zu pflegen. Doch antifaschistische Recherchen sorgten bald dafür, dass die Fassade bröckelte. Kontinuierliche Gegenproteste zermürbten die Gruppe, der Versuch eines eigenen Hausprojekts in Halle (Saale) scheiterte.

Teile der IB in neuen Gruppen

Ab 2019 organisierten sich Teile der IB in neuen Gruppen. »Bei der Revolte Rheinland besteht eine klare personelle Kontinuität zur Identitären Bewegung Nordrhein-Westfalen«, sagte die Dokumentationsplattform IB-Doku der Jungle World. Dasselbe gelte für West­falens Erben, die »aufgrund ihrer Kader ebenfalls als Nachfolgestruktur der Identitären Bewegung zu bezeichnen sind«.

Die Revolte Rheinland bewegt sich offenbar auch im AfD-Umfeld. Im August waren ihre Mitglieder auf einem Vernetzungstreffen unter dem Titel »Messe des Vorfelds«. Dort trafen sich AfD-Funktionäre mit rechtsextremen Netzwerken und Medien wie dem Magazin Freilich oder dem Heimatkurier. Das Treffen fand auf Einladung des AfD-Landtagsabgeordneten Joachim Paul in Koblenz statt – das bestätigte unter anderem die Antwort des rheinland-pfälzischen Innenministeriums auf eine Kleine Anfrage des Landtagsabgeordneten Carl-Bernhard von Heusinger (Grüne).

Häufig bestehe nach solchen Selbstauflösungen die Gefahr, dass »diese Gruppen ihre Aktivitäten in neue Formen überführen – oft weniger sichtbar, aber nicht minder gefährlich«, sagte die Bundestagsabgeordnete Misbah Khan (Grüne) der Jungle World. Es sei »eine bekannte Strategie, bei der rechtsextreme Akteure kleinere, regional agierende Gruppen bilden, um Aufmerksamkeit und staatliche Verfolgung zu vermeiden«.

Bekanntgabe von Gruppenauflösungen in der Neonazi-Szene beliebte Taktik

Das Recherchekollektiv Ostwestfalen bewertet die Selbstauflösung der beiden Gruppen Aktion Hermannsland und Revolte Rheinland ebenfalls als »rein taktische Manöver« zur Vermeidung weiterer Repressionsmaßnahmen. Die Antifaschisten gehen ebenfalls davon aus, »dass die Mitglieder der jeweiligen Gruppen in Zukunft entweder mit neuem Gruppennamen aktiv werden oder bei zukünftigen Aktionen ohne Gruppenbezeichnung auftreten werden«. Die Bekanntgabe von Gruppenauflösungen sei in der Neonazi-Szene eine »beliebte Taktik, um sich so einer kritischen Öffentlichkeit zu entziehen und polizeiliche Maßnahmen zu vermeiden«.

Die Aktion Hermannsland könne allerdings »nicht als Teil der Identitären Bewegung gewertet werden«, sagt das Recherchekollektiv. Doch es gebe einige Kontakte zu Westfalens Erben, einem der Ableger der Identitären Bewegung. So hätten Aktivisten beider Organisa­tionen wiederholt gemeinsam die Demonstrationen der verschwörungsgläubigen Gruppe »Bielefeld steht auf« besucht. Und an politischen Schulungen von Westfalens Erben hätten Neonazis aus Detmold und Fromhausen teilgenommen, die in Aktivitäten der Aktion Hermannsland involviert ­gewesen waren.

Die Aktion Hermannsland und Revolte Rheinland wollten laut Tina Simons, Sprecherin der Basisgruppe Antifaschismus Bremen, »die Rolle eines intellektuellen Scharniers zwischen offen faschistischen Gruppen und Milieus« und zum Beispiel der AfD einnehmen. Wie die IB hätten beide dabei »­einen Avantgarde-Anspruch erhoben, was die inhaltliche und kulturelle Modernisierung faschistischer politischer Theorie und Praxis angeht«. Erfolgreich sei das nicht gewesen. Auch wenn die Revolte Rheinland in ihrer Auflösungserklärung ­damit hausieren gehe, sie sei ein »erfolgreich abgeschlossenes Projekt«, könne die Strategie als gescheitert gelten. ­Simons bezeichnet diesen Teil der Mitteilung als bloße Prahlerei.