19.12.2024
Trotz Johnny Cash und Konfirmandenunterricht: Punk ist meine Religion

Der analoge Mann

Aus Kreuzberg und der Welt: Jugend ohne Gott

»Deutschland muss sterben«, brüllte ich schon als 15jäh­riger. Und meinte mit Deutschland vor allem Harsefeld, das Dorf, in dem ich vier Jahre lang leben musste. Aber eigentlich war nicht das Dorf schuld an meiner Einstellung, sondern Balle, Malle, Hupe und Artur. »Balle, Malle, Hupe und Artur« heißt ein Stück des Grips-Theaters, in dem sich Kinder gegen Polizisten, Hausmeister und andere Erwachsene durchsetzen, indem sie sich solidarisch verhalten.

Seltsamerweise befand sich diese Schallplatte in unserem ansonsten sehr bürgerlichen Haushalt. Auf ihrem Cover ist auch ein kleines Foto von Lenin zu sehen. Dass ich seit früher Jugend ein so romantisches Verhältnis zu allem Linksradikalen hatte, ist dieser Kinderplatte ­geschuldet. Ich vermute, dass mein Onkel Michael, der in den siebziger Jahren in Berlin wohnte, sie angeschleppt hat, aber so genau ist das nicht mehr zu ermitteln. Als ich meinen Onkel zuletzt traf, konnte er sich leider nicht mehr erinnern.

Den Glauben an einen Gott finde ich irgendwie rührend. Naiv, aber rührend. Ich selbst kann nicht glauben.

Wieder über den Umweg der Schallplatte habe ich dann im fortgeschrittenen Erwachsenenalter auch noch ein ­romantisches Verhältnis zur Religion entwickelt. Ich liebe die vom Glauben inspirierte Musik von Sister Rosetta Tharpe, Mahalia Jackson und Johnny Cash. Es gibt sehr viel gute rockende und swingende Gospelmusik, die sich inhaltlich nur mit Jesus, Gott und den Storys aus der ­Bibel beschäftigt. Den Glauben an einen Gott finde ich irgendwie rührend. Naiv, aber rührend. Ich selbst kann nicht glauben.

Zum Glauben wird man häufig erzogen. Meine Mutter hat zwar alles versucht, was sie konnte, aber ohne Erfolg. Sie ging mit uns an Weihnachten in die Kirche, betete mit meinem Bruder und mir das Vaterunser, schickte uns zum Kindergottesdienst und später zum Konfirmandenunterricht, aber überzeugend war sie selbst in ihrem Glauben nicht.

Schon als Kind verstand ich, dass sie nur so mitmachte. Wirklich geliebt hat sie meinen Vater, teures Essen, schicke Klamotten und offensichtlich Sex. Für mich als Kind oft unüberhörbar. Aber zum Glück galt ihre größte Zuneigung und Liebe meinem Bruder und mir. Ein Gott hatte da keinen Platz. Mein Vater war sogar regelrecht antireligiös. »Die Scheiß-Pfaffen!« war sein Lieblingsspruch, wenn es um die Kirche ging. Über die Kirche und den Glauben hat er sich immer nur lustig gemacht.

Die Welt schön auf Abstand halten

Ich habe schon als Teenager immer die Nähe zu kreativen Leuten gesucht, etwa zu den Macher:innen der Schülerzeitung, in der ich meine ersten Comics veröffentlichte, oder zu denen, die in irgendwelchen Bands spielten. Später freundete ich mich in der Hamburger Punkszene nicht mit den chaotischen, kaputten und politischen Punks, sondern intuitiv mit den kreativen an.

Das ist bis auf eine kurze Phase in den frühen Neunzigern, als poli­tischer Aktivismus und Kunst zusammengingen, auch so geblieben. Wer sich ganz dem Aktivismus verschreibt, hat in der Regel wenig Zeit, sich intensiv künstlerisch zu betätigen. Künstler:innen sind meist sehr mit sich selbst beschäftigt, und das müssen sie auch sein. Daraus schöpfen sie ihre Kunst. Die Milieus von Künstler:innen und Aktivist:innen sind oft nicht miteinander vereinbar.

Das gilt natürlich auch für das religiöse und das künstlerische Milieu. Es sind verschiedene Typen. Als Cartoonist, Comiczeichner und Kolumnenschreiber halte ich mir die Welt schön auf Abstand und mache mich lustig über sie. Über religiöse Leute genauso wie über antireligiöse. Aber ich bin doch froh, dass Menschen die Welt ernst nehmen und sich wehren und protestieren. Und letztlich auch, dass es Menschen gibt, die ihr Glaube und ihre Liebe zum Menschen dazu bewegt, sich für andere Menschen einzusetzen.