19.12.2024
Das »Glossar der Gegenwart« versammelt Schlüsselbegriffe der aktuellen Diskurse

Krieg und Achtsamkeit

Die Fortschreibung des »Glossars der Gegenwart« zeigt, was sich in zwei Jahrzehnten verändert hat - anhand der Selbstbeschreibungen der Gesellschaft und ihrer terminologischen Verschiebungen.

Die Versionsnummer im Titel »Glossar der Gegenwart 2.0« zeigt bereits an, dass sich das Buch als eine Fortschreibung versteht: 20 Jahre ist es her, da erschien das von Ulrich Bröckling, Susanne Krasmann und Thomas Lemke herausgegebene erste »Glossar der Gegenwart«.

Die »Glossare« sind der Versuch, die Gesellschaft aus ihren Selbstbeschreibungen heraus zu deuten. Ein Vergleich zwischen beiden Bänden zeigt nun interessante terminologische Verschiebungen auf. »Terror« und »Sicherheit« waren Schlagworte aus dem Band von 2004, »Unsicherheit« ist ein Begriff des aktuellen.

Hielt 2004 noch eine Art von Fortschrittserzählung viele bei der Stange, verspricht »Disruption« heute den Erfolg der Wenigen und das Scheitern der Vielen – bis hin zum Niedergang ganzer Branchen. Nach der Ära der »Humanitären Intervention« ist der »Krieg« zurück.

Der Mensch der Gegenwart müsse hinnehmen, dass niemand absolute Sicherheit gewähren kann. Auf das Unvorhergesehene sollten alle irgendwie vorbereitet sein; »Resilienz« sei daher gefragt. Insgesamt, so zeigt der Vergleich, war die Debatte 2004 optimistischer, gerade was die Handlungsmöglichkeiten des Einzelnen angeht.

Mit genügend »Wissen« und »Lebenslangem Lernen« manövrierte man sich schon irgendwie durch die Informationsgesellschaft. Ansonsten war halt »Kreativität« gefragt.

20 Jahre später werden Menschen durch »Nudging« zum erwünschten Handeln gebracht. »Populismus« und »Postfaktisches« bedrohen die Ordnung der Dinge und Köpfe.

Hielt 2004 noch eine Art von Fortschrittserzählung viele bei der Stange, verspricht »Disruption« heute den Erfolg der Wenigen und das Scheitern der Vielen – bis hin zum Niedergang ganzer Branchen. Nach der Ära der »Humanitären Intervention« ist der »Krieg« zurück.

Die Einträge lesen sich trotz beigefügter Fußnoten angenehm unakademisch. Und man erfährt interessante Details. Beispielsweise dass der Begriff »Achtsamkeit« aus einer buddhistischen Meditations­anleitung für Sozial­arbeiter stammt. Und dass nicht ­automatisch auf der richtigen Seite der Geschichte steht, wer für die »Dekolonisierung« des Bücherschranks eintritt.


Buchcover

Ulrich Bröckling, Susanne Krasmann, ­Thomas Lemke (Hg.): Glossar der ­Gegenwart 2.0. Suhrkamp, Berlin 2024, 418 Seiten, 24 Euro