02.01.2025
Was es bedeutet, dass die Regierung des Tschad die Militärabkommen mit Frankreich aufkündigt

Emanzipation der Diktatur

Die ersten Parlamentswahlen seit über zehn Jahren im Tschad interessieren wenige und werden von der Opposition boykottiert. Populär hingegen ist die Ankündigung der Regierung, die französischen Truppen aus dem Land zu werfen. Ähnliches war derweil aus dem Senegal zu hören.

Paris. Die kurz vor Jahresende erfolgten Parlamentswahlen im Tschad – zusammen abgehalten mit Kommunal- und Regionalwahlen – waren die ersten in dem Sahelstaat seit über einem Jahrzehnt. Die Opposition boykottierte sie.

Offiziell soll mit den Wahlen die im April 2021 ausgerufene Transitions- oder Übergangsphase zur Demokratie abgeschlossen werden. Am Ausgang der Parlamentswahl zugunsten des Regierungslagers, das hauptsächlich aus der Patriotischen Rettungsbewegung (MPS) besteht, kann es kaum Zweifel geben. Der Opposition zufolge verlief der Wahlkampf weder frei noch fair und der proklamierte Übergang zur Demokratie war in Wirklichkeit ein Übergang von der Diktatur des verstorbenen Vaters Idriss Déby Itno zu der des Sohns, Mahamat Idriss Déby Itno, der seit 2021 dem militärischen Übergangsrat vorsteht, de facto also bereits Präsident war. Im Mai 2024 wurde er dann offiziell zum Präsidenten gewählt, wobei die Opposition und Teile der ­Zivilgesellschaft von Wahlbetrug sprachen (Jungle World 12/2024).

Der proklamierte Übergang zur Demokratie war in Wirklichkeit ein Übergang von der Diktatur des verstorbenen Vaters Idriss Déby Itno zu der des Sohns, Mahamat Idriss Déby Itno.

Neben verschiedenen politischen Oppositionskräften, die sich in der Konsultationsgruppe der politischen Akteure Tschads (GCAP) zusammengeschlossen haben, rief am 7. Dezember, dem Tag der Wahlkampferöffnung für die Parlamentswahlen auch der Dachverband der Online-Medien im Tschad (Amet) zum Protest auf. Die hier vereinigten 40 Online-Medien haben im Gegensatz zur Printpresse, die kaum noch über Leser verfügt, eine gewisse Reichweite. Sie riefen zu einem »Tag ohne Berichterstattung« auf, aus Protest gegen eine zuvor erfolgte Entscheidung der Hohen Behörde für Medien und Audiovisuelles (Hama), die ihnen jegliche Bildberichterstattung verboten hatte. Zwar hob der Oberste Gerichtshof am 19. Dezember diese Einschränkung auf, allerdings konnte dies nur noch wenig am Ablauf des allein durch das Regierungslage bestrittenen Wahlkampfs ändern.

Während der Wahlkampf nur wenige Menschen mobilisieren konnte, genoss eine Ankündigung der tschadischen Regierung vom 28. November weitaus größere Popularität. Wenige Stunden nach einem Besuch seines französischen Amtskollegen Jean-Noël Barrot verkündete der tschadische Außenminister Abderaman Koulamallah auf Face­book die Beendigung der bisher gel­tenden Verteidigungsabkommen mit Frankreich und forderte die französischen Truppen auf, bis zum 31. Januar 2025 aus dem Tschad abzuziehen. Französische Armeeeinheiten waren seit 1986 durchgängig im Land sta­tioniert und sicherten mehrfach dem langjährigen Déby-Regime den Fortbestand, wie etwa beim Rebellenansturm im Februar 2008, der beinahe zum Sturz von Idriss Déby Itno geführt hätte.

»Weder französische noch russische Truppen« 

Am 1. Dezember sagte Präsident Idriss Déby junior in einer Fernsehansprache, die früheren militärischen Vereinbarungen mit Paris seien »obsolet«, der Tschad folge jedoch nicht der »Logik der Ersetzung einer Großmacht durch eine andere«. Dass man im Unterschied zu den seit 2023 in der Allianz der Sahelstaaten (AES) zusammengeschlossenen Nachbarländern Mali, Burkina Faso und Niger keine militärische Hilfe seitens Russlands anfordern werde, betonte auch Koulamallah am 5. Dezember in einem Interview mit dem Sender France 24. Er sagte, es werde künftig im Tschad »weder französische noch russische Truppen« geben.

Tatsächlich dürfte die sich stabilisierende tschadische Diktatur eine flexible Außenpolitik bevorzugen, die Rück­versicherung sowohl bei Frankreich als auch bei Russland suchen könnte und dabei deren Rivalitäten zum eigenen Nutzen zu nutzen versuchen wird. Seit dem Sturz der syrischen Folterdiktatur unter Bashar al-Assad, die Russland 2015 im Bürgerkrieg durch intensive Bombardierungen vorläufig stabilisiert hatte, wird die Effizienz des russischen Schutzes bei verschiedenen afrikanischen Verbündeten des Landes, von Mali bis zur Zentralafrikanischen Republik, debattiert.

Größere Wirkung erzielte die Ankündigung aus der tschadischen Hauptstadt N’Djamena dadurch, dass sie zeitlich zusammenfiel mit einer inhaltlich ähnlichen Stellungnahme des seit Anfang April amtierenden senegalesischen Staatspräsidenten Bassirou Diomandé Faye. Er sagte Ende November in einem Interview mit der Pariser Abend­zeitung Le Monde: »Es wird bald keine französischen Soldaten im Senegal mehr geben.« Bislang waren dort noch 350 Soldaten in einer Militärbasis in Dakar stationiert. Das Gros der französischen Soldaten war nach der offiziellen Rückgabe der Basis an den senegalesischen Staat im Jahr 2011 abgezogen worden.

Kein Abbruch der ­Beziehungen Senegals zu Frankreich

Von Dakar aus war Frankreichs Armee in der Vergangenheit aufgebrochen, etwa um in den Jahren 1977 und 1978 die in der okkupierten Westsahara gegen Marokko kämpfende, von Algerien unterstützte Unabhängigkeitsbewegung Frente Polisario zu bombardieren, oder um 2011 in der Elfenbeinküste den damaligen Präsidenten Laurent Gbagbo zu stürzen.

Faye fügte allerdings hinzu, der von ihm geforderte Abzug der verbliebenen französischen Soldaten aus dem Land bedeute keinen Abbruch der ­Beziehungen. Der Senegal unterhalte auch bilaterale Beziehungen zu Ländern wie China, den USA, der Türkei und Saudi-Arabien, ohne dass diese deswegen Truppen stationiert hätten.

Die Ankündigung erfolgte kurz vor den Feierlichkeiten zum 80. Jahrestag des Massakers von Thiaroye. Am 1. Dezember 1944 hatte die französische Armee im dortigen Militärcamp unweit von Dakar zwischen 35 und 300 senegalesische Weltkriegssoldaten – tirailleurs sénégalais –, die die Zahlung ihres seit Monaten ausbleibenden Solds forderten, erschossen.

Erinnerung an das Massaker von 1944

Erstmals wurde dieses Ereignisses in diesem Jahr auch von offizieller Seite in Frankreich gedacht, und Emmanuel Macron benutzte in einem Brief an Faye vom 28. November zum ersten Mal den bislang strikt vermiedenen Begriff »Massaker«. Am 19. und 20. Dezember konnte eine Historikerkommission unter senegalesischer Beteiligung französische Archive konsultieren, der Erinnerung an das Massaker soll fortan auch im Unterricht in den Schulen Senegals eine größere Rolle zukommen.

Unumstritten ist das aber nicht, so bezeichnete der Präsidentenberater Cheikh Oumar Diagne am 21. Dezember die tirailleurs als »Verräter«, weil diese später Frankreich bei der Niederschlagung von Aufständen in anderen Kolonien gedient hätten. Die Regierung Senegals distanzierte sich zwar umgehend, doch die Diskussion über das angemessene Gedenken geht weiter.