09.01.2025
Die geplante Bundestagsresolution gegen ­Antisemitismus an Schulen und Hochschulen ist zu begrüßen

Wissenschaftsfreiheit durch Antisemitismusbekämpfung nicht in Gefahr

Die geplante Bundestagsresolution gegen Antisemitismus und Israel­feindlichkeit an Schulen und Hochschulen ist wegen des ­wachsenden Antisemitismus zu begrüßen. Befürchtungen, sie werde die Wissen­schaftsfreiheit einschränken, sind unbegründet.

Am 7. November verabschiedete der ­Bundestag eine Resolution mit dem Titel »Nie wieder ist jetzt – Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken«. Anfang November wurde außerdem der Entwurf der Bundestagsfraktionen von SPD, CDU/CSU, der Grünen und der FDP für eine Bundestagsresolution »Antisemitismus und Israelfeindlichkeit an Schulen und Hochschulen entschlossen entgegentreten sowie den freien Diskursraum sichern« bekannt. Der Entwurf erhielt viel Lob, Kritiker aus dem Hochschulbereich befürchten allerdings einen Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit und Hochschulautonomie. Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) bezeichnete ihn gar als »sachlich nicht geboten und vor dem Hintergrund von Hochschulautonomie und ­Wissenschaftsfreiheit nicht nützlich«. Haya Schulmann und Michael Waidner widersprechen dieser Kritik.

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Weniger als 0,3 Prozent der Menschen in Deutschland sind jüdisch, aber nach Angaben des BKA hatten 2023 30 Prozent der erfassten Hasskriminalität einen antisemitischen Hintergrund. Die Diskrepanz ist offensichtlich. In absoluten Zahlen hat sich die Anzahl der antisemitischen Straftaten von 2022 auf 2023 nahezu verdoppelt, von 2.641 auf 5.164. Knapp zehn Prozent der 2023 durch die Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (Rias) erfassten antisemitischen Vorfälle entfielen auf den Bildungsbereich.

Deutschland hat also ein akutes Antisemitismusproblem, auch in den Hochschulen. Hochschulangehörige zeigen im Schnitt nicht mehr antisemitische Tendenzen als der Rest der Bevölkerung, der Antisemitismus, insbesondere der israelbezogene, wird auf dem Campus aber besonders intensiv und sichtbar ausgelebt. Eine kleine Minderheit erzeugt für Juden und auch viele Nichtjuden ein Klima der Angst. Im Mittelpunkt stehen die tatsächlichen anti­semitischen Vorfälle – tätliche und verbale Angriffe, Sachbeschädigungen, Störungen von Veranstaltungen, Gleichsetzung Israels mit Nazi-Deutschland.

Verstärkt wird die Angst durch die vielen propalästinensischen Aktionen auf dem Campus. Selbst wenn diese geordnet ablaufen und sich ausschließlich für ein unabhängiges Palästina oder ein Ende des Krieges einsetzen, verstärken sie doch die Angst. Zu oft schlagen sie in Antisemitismus um, so gut wie nie positionieren sie sich gegen den palästinensischen Terror, gegen die Phantasie eines Palästina »from the river to the sea«, also eines Nahen ­Osten ohne Israel. So gut wie nie erkennen sie an, dass am 7. Oktober 2023 die Täter aus Palästina kamen, die ­Opfer aus Israel, und nicht umgekehrt.

Deutschland hat ein akutes Antisemitismusproblem, auch in den Hochschulen. Hochschulangehörige zeigen im Schnitt nicht mehr antisemitische Tendenzen als der Rest der Bevölkerung, der Antisemitismus, insbesondere der israelbezogene, wird auf dem Campus aber besonders intensiv und sichtbar ausgelebt.

Antisemitismus ist aber nicht das einzige Problem, es geht auch darum, dass Juden in der öffentlichen Wahrnehmung jenseits von Diskussionen über Antisemitismus kaum vorkommen. Am deutlichsten wird das, wenn Bilder die Diversität unserer Gesellschaft darstellen sollen. Man sieht dann Männer und Frauen, alt und jung, verschiedene Hautfarben, öfters ein Kopftuch, manchmal sogar einen Turban – aber nie eine Kippa oder ein anderes jüdisches Symbol. Das mag der Realität entsprechen – die wenigsten Juden geben sich in der Öffentlichkeit als solche zu erkennen, jetzt noch weniger als vor dem 7. Oktober. Diese öffentliche Nichtwahrnehmung trägt aber dazu bei, dass die meisten Menschen in Deutschland das Judentum für hierzulande quasi nicht existent halten. Antisemitismus ist für viele ein sehr abstraktes, fernes Problem.

Eine von einer breiten Mehrheit im Bundestag getragene Resolution zu Antisemitismus an Hochschulen und Schulen, wie sie derzeit vorbereitet wird, würde dem Thema die notwendige Aufmerksamkeit in ­Politik und ­Gesellschaft verschaffen. Sie würde ­Impulse für die Verantwortlichen in den Ländern und Hochschulen setzen, mehr im Kampf gegen Antisemitismus zu tun, und für die nächste Bundesregierung, in ihrer Wissenschafts- und Förderpolitik den Themen Antisemitismus und jüdisches Leben mehr Beachtung zu schenken. Entgegen der Einschätzung der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) ist eine solche Resolution nützlich, und sie ist auch sachlich geboten, denn trotz aller anerkennenswerten Anstrengungen der Hochschulen ist Antisemitismus auf dem Campus immer noch ein großes Problem.

Die meisten Punkte des Resolutionsentwurfs stoßen daher auf breite Zustimmung: Erweiterung der disziplinarischen Möglichkeiten, gegen Antisemitismus auf dem Campus vorzugehen, Verbesserung der Zusammenarbeit mit Sicherheitsbehörden, Förderung von Antisemitismusforschung und jüdischer Gegenwartsforschung, mehr wissenschaftlicher Austausch mit Israel. Boykottaufrufe gegen die Zusammen­arbeit mit der israelischen Wissenschaft werden abgelehnt.

Fördermittel sollen nicht in antisemitische Projekte und Organisationen fließen

Ein wichtiger Punkt in der geplanten Resolution fand sich bereits in der Resolution mit dem Titel »Nie wieder ist jetzt – Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken«, die der Bundestag am 7. November verabschiedete, und wurde damals teilweise sehr kontrovers diskutiert. Er wird nun im Entwurf der neuen Resolution eindeutiger beschrieben, wodurch sich die damalige Kontroverse eigentlich erledigen sollte: Am 7. November beschloss der Bundestag, es sollen »keine Organisationen und Projekte finanziell gefördert werden, die Antisemitismus verbreiten, das Existenzrecht Israels in Frage stellen, die zum Boykott Israels aufrufen oder die die BDS-Bewegung aktiv unterstützen«.

Der Entwurf der neuen Resolution bekräftigt dies, stellt aber klar, dass Fördermittel des Bundes auch weiterhin ausschließlich nach dem Maßstab der wissenschaftlichen Exzellenz vergeben werden sollen. Die Verantwortung sicherzustellen, dass Fördermittel nicht in antisemitische Projekte und Organisationen fließen, liegt damit allein bei den Entscheidungsträgern in Wissenschaft und ­Forschung.

Diese Klarstellung ist wichtig und richtig. Wie die einzelnen Entscheidungsträger damit umgehen, muss sich zeigen. Dass sich wissenschaft­liche Exzellenz und Antisemitismus nicht per se ausschließen, beweisen zum Beispiel die Physik-Nobelpreisträger von 1905 und 1919, Philipp Lenard und Johannes Stark, beide spätere Mitglieder der NSDAP und Verfechter der nationalsozialistischen »Deutschen Physik«, oder der V2-Konstrukteur Wernher von Braun, der mitverantwortlich war für den Tod Tausender Zwangsarbeiter, dar­unter viele Juden.

Rückwirkend ist es oft einfach, Antisemitismus als solchen zu erkennen. Wie schwierig es in der Gegenwart ist, zeigen beispielhaft die kontroversen Diskussionen über den Ethnologen Ghassan Hage und die Präsidentin der TU Berlin, Geraldine Rauch. Die Max-Planck-Gesellschaft trennte sich von Hage, nachdem dieser sich in sozialen Medien antisemitisch geäußert ­hatte. Rauch behielt ihr Amt; sie hatte sich für ihre »Likes« unter antisemitischen Posts Dritter entschuldigt.

Kritik an der israelischen Politik nicht per se antise­mitisch

Der neue Entwurf bekräftigt auch, dass Aktivitäten antisemitischer Bewegungen, zum Beispiel BDS, unterbunden werden müssen und dass deren Unterstützer in deutschen Bildungs- und Wissenschaftseinrichtungen keinen Platz haben dürfen. Es ist verständlich, dass Forderungen wie diese kontrovers diskutiert werden, da ihre Wirkung entscheidend davon abhängt, wie Antisemitismus definiert wird. Kritik an der israelischen Politik oder am Vorgehen der israelischen ­Sicherheitskräfte ist nicht per se antise­mitisch und darf nicht unterbunden werden. Wer aber die Gewalt der Hamas vom 7. Oktober 2023 als Freiheitskampf verherrlicht, Israel das Existenzrecht abspricht oder pauschal israelische oder jüdische Wissenschaftler von Kooperationen ausschließt, darf an deutschen Hochschulen tatsächlich keinen Platz haben.

Der Resolutionsentwurf stützt sich auf die IHRA-Arbeitsdefinition von Antisemitismus, ebenso wie dies schon frühere Bundestagsresolutionen und auch die Kultusministerkonferenz 2021 und die Hochschulrektorenkonferenz 2019 getan haben. Von einer verbindlichen Verwendung der IHRA-Arbeits­definition in Forschung und Lehre ist nirgendwo die Rede, dementsprechend stellt die Erwähnung der IHRA-Arbeitsdefinition auch keinen Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit dar. Für den praktischen Kampf gegen Antisemitismus braucht es aber eine pragmatische Arbeitsdefinition, die Menschen dabei hilft, sich klarzumachen, wann ein bestimmtes Verhalten, eine bestimmte Äußerung eher antisemitisch ist und wann eher nicht. Hierfür hat sich die IHRA-Arbeitsdefinition weltweit ­bewährt.

Der Resolutionsentwurf unterstützt ein pragmatisches, bewährtes Verständnis von Antisemitismus, das Platz lässt für faire Kritik an der Politik Israels.

Das dürfte insbesondere an den elf Beispielen von Antisemitismus liegen, die Teil der Definition sind und von denen sechs einen Israel-Bezug haben: Antisemitisch ist es, Juden oder Israel zu unterstellen, sie hätten den Holocaust erfunden oder würden ihn übertreiben; Juden das Recht auf einen eigenen Staat abzusprechen, zum Beispiel durch Delegitimierung Israels als rassistisches Unterfangen; von Israel ein anderes Verhalten einzufordern oder zu erwarten als von anderen Staaten; israelische Gegenwartspolitik mit der Politik der Nazis zu vergleichen; Juden individuell für Handlungen des Staates Israel verantwortlich zu ­machen.

Insgesamt halten wir den Entwurf für wichtig, nützlich und ausgewogen. Er bezieht klare Position gegen Anti­semitismus auf dem Campus. Er unterstützt ein pragmatisches, bewährtes Verständnis von Antisemitismus, das Platz lässt für faire Kritik an der Politik Israels, zugleich aber klare Kriterien dafür aufzeigt, wann »Israelkritik« in Antisemitismus umschlägt. Er bekennt sich ausdrücklich zur Wissenschaftsfreiheit und überlässt es den Verantwortlichen in Forschung und Lehre, sicherzustellen, dass an deutschen Hochschulen der Antisemitismus keinen Raum bekommt.

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Haya Schulmann ist Professorin für Cyber­sicherheit am Institut für ­Informatik der Goethe-Universität Frankfurt am Main und Mitglied im Direktorium des Nationalen Forschungszentrums für angewandte ­Cybersicherheit Athene.

Michael Waidner ist Professor für Sicherheit in der Informationstechnologie im Fachbereich Informatik der Technischen Universität Darmstadt, Direktor des Fraun­hofer-Instituts für Sichere Informa­tionstechnologie (SIT) und Leiter von Athene, dem Nationalen Forschungszentrum für angewandte Cybersicherheit.