09.01.2025
Deutsche Wirtschaftsliberale ­flirten mit dem Rechtspopulismus

Hol die Kettensäge raus

Die Diskussion über Elon Musks Wahlwerbung für die AfD in der »Welt« zeigt, dass deutsche Wirtschaftsliberale zusehends bereit sind, sich auf den Rechtspopulismus einzulassen.

Im Wahlkampf wird gerne mal übertrieben. Doch als der FDP-Vorsitzende Christian Lindner am Montag beim traditionellen Dreikönigstreffen seiner Partei in seiner Rede behauptete, »ich bin offenbar der schlimmste Alptraum des linksgrünen Mainstreams in Deutschland«, konnte er sich das vermutlich nicht einmal selbst glaubhaft machen. Die FDP kann froh sein, wenn sie es bei den kommenden Wahlen überhaupt in den Bundestag schafft.

In Wahlumfragen liegt die Partei seit Wochen mehr oder weniger deutlich unter fünf Prozent. Sie versucht verzweifelt, sich von der Bundesregierung, an der sie drei Jahre lang beteiligt war, zu distanzieren. Vor dem Hintergrund ausbleibenden Wachstums will sie sich beinhart wirtschaftsliberal verkaufen. So könne man auch Wähler von der AfD zurückgewinnen, meinte Lindner in seiner Rede.

Ein Teil dieser Strategie: Lindner feiert Leute wie den sich als Anarchokapitalisten bezeichnenden argentinischen Präsidenten Javier Milei und den US-amerikanischen Unternehmer Elon Musk. Man müsse »mehr Milei oder Musk wagen«, sagte Lindner schon vor einigen Wochen.

»Ihr seid jetzt die Medien«, appelliert Elon Musk an die Benutzer seiner Plattform X – und der einflussreichste Nutzer ist natürlich er selbst, unterstützt von seinen eigenen Algorithmen.

Als Musk dann Ende Dezember jedoch Werbung für die Konkurrenz machte und in einem Tweet schrieb: »Nur die AfD kann Deutschland retten«, legte sich Lindner ins Zeug. Er habe in Deutschland eine »Diskussion inspiriert von Ideen von dir und Milei« gestartet, schrieb Lindner an den Milliardär Musk gerichtet auf dessen Social-Media-Plattform X. »Migrationskontrolle ist wichtig für Deutschland«, so Lindner weiter, aber die AfD sei »eine rechtsextreme Partei« und »gegen Freiheit und Business« – deshalb »lass uns uns treffen«.

Doch Musk hatte bekanntlich anderes vor. Er veröffentlichte Anfang des neuen Jahres einen Gastbeitrag in der Welt, in dem er nochmal darlegte, warum die AfD »der letzte Funke Hoffnung für dieses Land« sei – und kündigte an, sich am Donnerstag für ein live übertragenes Online-Gespräch nicht mit Lindner, sondern mit der AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel zu treffen.

Springer-Chef Döpfner seit langem Verehrer Musks

Musk gilt als der reichste Mensch der Welt, und er ist spätestens seit Donald Trumps Wahlsieg wohl der politisch einflussreichste Kapitalist auf Erden. Lindner ist nicht der erste Deutsche, der sich ihm anbiedert. Mathias Döpfner, der Vorstandsvorsitzende des Springer-Konzerns, ist seit langem ein bekennender Verehrer Musks. 2020 verlieh der Konzern Musk den Axel Springer Award. Döpfner führte zu dem Anlass ein Interview mit ihm.

Zwei Jahre später, als Musk damit liebäugelte, Twitter zu kaufen, schrieb Döpfner ihm etliche Nachrichten, die später im Zuge eines Gerichtsverfahrens öffentlich wurden. »Warum kaufst du nicht Twitter? Wir managen es für dich. Und errichten eine wahre Plattform für freie Meinungsäußerung«, schrieb Döpfner. »Ich meine das ernst. Es ist machbar. Es wird Spaß machen.« Immer wieder kontaktierte Döpfner demnach Musk und malte ihm aus, wie sie gemeinsam aus Twitter eine »zensur-freie« Plattform machen könnten.

Musk ging darauf anscheinend nicht recht ein, antwortete oft einsilbig. Er kaufte Twitter schließlich und transformierte es in eine Propagandaschleuder nach seinen Vorstellungen, aber er brauchte dafür offenbar Döpfner nicht. Der suchte weiterhin Musks Nähe, lud ihn zum Beispiel 2023 zu seinem 60. Geburtstag nach Italien ein. Dort tauchte Musk Medienberichten zufolge mit der niederländischen rechtspopulistischen Influencerin Eva Vlaardingerbroek auf. Die kommentierte auf X seinen aktuellen Gastbeitrag in der Welt: »Das Spiel ist für die globalistischen Mächte vorbei, Deutschland ist/war ihre wichtigste Hochburg.«

Musks Nähe zu Donald Trump

War es Döpfner, der Musks Gastbeitrag eingefädelt hatte? So berichtete es zunächst der Spiegel. Doch später meldete sich Martin Varsavsky zu Wort, ein vor allem in den USA aktiver Unternehmer, der seit 2014 im Aufsichtsrat von Springer sitzt. Er habe die Idee gehabt, habe zunächst die Welt-Chefredakteurin Jennifer Wilton und dann, als diese sich einverstanden gezeigt hatte, Elon Musk kontaktiert.

Dieses Bekenntnis kommt für Döpfner sehr gelegen, denn sein Imageschaden wird dadurch begrenzt. Das Gleiche gilt für Wiltons Vorgesetzten Ulf Poschardt, der zu dem Zeitpunkt noch Chefredakteur der Welt-Gruppe war, bevor er zum Jahreswechsel aufstieg und Herausgeber von gleich mehreren Springer-Medien wurde. Wilton ist nur Chefredakteurin der Tageszeitung Welt, und es war Poschardt, der Medienberichten zufolge persönlich gegen den Widerstand etlicher Welt-Redakteure die finale Entscheidung traf, Musks Text zu veröffentlichen.

Döpfner hätte einige gute Gründe, sich Musk anzubiedern, denn dessen Nähe zum nächsten US-Präsidenten Donald Trump ist bekanntlich groß. »Axel Springer will Amerikas größter Verlag werden«, titelte vor zwei Jahren das Handelsblatt. Der Konzern besitzt inzwischen zwei wichtige US-amerikanische Medien: Politico und Business Insider.

Was genau bezweckt Musk?

Hinzu kommt, dass der Dauertwitterer Musk, der auf seiner eigenen Plattform X den Algorithmus angepasst hat, damit möglichst viele Benutzer ständig seine Posts sehen müssen, inzwischen enormen Einfluss auf Rechte und Rechtsextreme in zahlreichen Ländern hat – und damit auf die gesamte Öffentlichkeit. Die Wahlkampfhilfe für die AfD ist nur ein Beispiel. Derzeit fordert Musk zum Beispiel den Rücktritt des britischen Premierministers Keir Starmer, warf einem von dessen Ministern vor, »Apologet eines Vergewaltigungsgenozids«, verübt an Britinnen, zu sein.

Die Frage, was genau Musk damit bezweckt, ist nicht leicht zu beantworten. Musk gibt sich gerne als libertär, doch sein »Geschäftsmodell beruht auf der Macht und dem Geld des Staates«, wie kürzlich der Historiker Quinn Slobodian im Interview mit der Süddeutschen Zeitung sagte. »Tesla, Space X, Starlink – seine Firmen erhalten entweder üppige staatliche Subventionen für Forschung und Entwicklung«, so Slobodian, »oder ihr Hauptkunde ist die Regierung, wie bei den Satelliten von Space X für die Nasa oder bei Starlink, das Internet via Satellit anbietet.« Das lief auch unter Präsident Joe Biden ausgezeichnet, aber unter einem Rechtspopulisten wie Trump, der schon in seiner ersten Amtszeit den Staat als Beute betrachtete und persönliche Loyalität über das Recht stellte, winken noch viel mehr »Deals« für Musks Firmen.

Aber erklärt das auch, warum Musk geradezu obsessiv faschistoide Kräfte auch in Europa fördert? Schließlich riskiert er dadurch, sich die dortigen Regierungen zum Feind zu machen, was den Geschäftsinteressen von zum Beispiel Tesla schaden könnte. Die Frage sei, schrieb kürzlich Edward Luce in der Financial Times: »Spricht Musk für Trump? In dem Fall ist der Westen so gut wie tot.« Denn dann stehe dahinter wohl die Absicht des baldigen US-Präsidenten, in der EU die liberale Demokratie zu begraben und Rechtsextreme zu stärken, die eine US-amerikanische Verständigung mit Wladimir Putin zulassen würden.

Musk ein rechtsextremer Überzeugungstäter

Schaut man sich aber Musks tägliche Dauertwitterei an – manchmal setzt er im Minutentakt Posts ab, insgesamt sind es bislang 65.000 –, dann fällt es schwer zu glauben, dass dahinter eine ausgeklügelte Strategie steckt. Bei dem reichsten Menschen der Erde würde man erwarten, dass er – unterstützt von einem Stab von PR-Profis und Politikexperten – strategisch überlegt und vor allem im Sinne seiner Geschäfts- und Machtinteressen handelt.

Doch auf X zeigt sich ein anderes Bild: Seine Witze sind schlecht, seine Beleidigungen stumpf, und der endlose Strom der Lügen, Fake-News-Geschichten und hetzerischen Memes, den Musk verbreitet, ist so extrem, dass er auf alle, die nicht schon längst in rechtsex­tremen Filterblasen festhängen, nur abstoßend wirken kann. Musk erscheint tatsächlich als jemand, der durch Social Media verhetzt worden ist, so wie es ja auch unzähligen Menschen in den vergangenen Jahren passiert ist – da gibt es keine Überlegung oder ausgeklügelte Kommunikationsstrategie.

Dass Musk ein rechtsextremer Überzeugungstäter ist, schließt freilich nicht aus, dass es ihm vor allem um die eigenen Machtinteressen geht. Ein wichtiger Bestandteil seiner politischen Strategie war die Übernahme von Twitter, das er anschließend in X umbenannte. Dafür nahm Musk Milliardenverluste hin. Er verfolgte damit die erklärte Absicht, die etablierten Medien nicht nur herauszufordern, sondern zu ersetzen. »Ihr seid jetzt die Medien«, appellierte Musk immer wieder an die Benutzer seiner Plattform – und der einflussreichste Nutzer ist natürlich er selbst, unterstützt von seinen eigenen Algorithmen.

Porsche-Poschardt und der »Elfenbeinturm«

Dies ist der rote Faden, der sich durch Musks politische Äußerungen zieht: die Aggression gegen alle vermittelnden Institutionen, die dem Kapital oder einem faschistoiden Volkswillen im Weg stehen könnten – Bürokraten, die Umweltauflagen oder die Vergabe von Staatsaufträgen überwachen; seriöse Medien, die sogar große Bosse wie Musk und Trump auf ihre Lügen hinweisen; und schließlich die etablierten Parteien, die für politische Stabilität des Musk verhassten Rechtsstaats sorgen. Das alles soll abgeräumt werden und zwar im Bündnis mit einem rechtspopulistischen Mob, der zwar nicht Musks Geschäftsinteressen teilt, aber seine Feindbilder.

Und hier schließt sich der Kreis zu den deutschen Musk- und Milei-Fanboys. Zu ihnen zählt an vorderer Stelle Ulf Poschardt, der seit Ewigkeiten versucht, das Schlagwort »Elfenbeinturm« zu etablieren, aber immer noch praktisch der Einzige ist, der es in der halbwegs seriösen Presse verwendet – dafür in fast jedem seiner Texte. Das damit insinuierte Feindbild sieht folgendermaßen aus: Die arroganten, weltfernen Linken, die an den Schalthebeln der In­stitutionen sitzen, verachten die einfachen Menschen und richten mit ihrer verbohrten Ideologie das Land zugrunde. Neben den Grünen ist für Poschardt der öffentlich-rechtliche-Rundfunk der wichtigste Verteidiger des »Elfenbeinturms«.

Angesichts der düsteren Wirtschaftslage sei nun die Zeit der extremen Maßnahmen gekommen, um den Niedergang Deutschlands aufzuhalten: Das ist die Botschaft, die Poschardt in seinem Podcast verbreitet.

Angesichts der düsteren Wirtschaftslage sei nun die Zeit der extremen Maßnahmen gekommen, um den Niedergang Deutschlands aufzuhalten: Das ist die Botschaft, die Poschardt in seinem neuen Podcast »Make Economy Great Again« verbreitet. Neben Musk müsse dabei Milei als Vorbild dienen. »Ich mag diese Kettensäge«, meinte Poschardt. Man müsse aggressiv sein, um die nötigen Reformen durchzusetzen. Die Kettensäge sei eine klare Ansage: »Jeder Mitarbeiter im öffentlich-rechtlichen Rundfunk weiß: Wenn Milei dran ist, sind wir weg.« Er glaube nicht mehr an die »Reformfähigkeit dieser Apparate«.

Poschardt hat, wenn der Bericht des Spiegel stimmt, Musks Gastbeitrag durchgedrückt, obwohl er selbst für die FDP wirbt, nicht die AfD. Und er hat Unterstützer: die Ökonomin Veronika Grimm zum Beispiel, die Mitglied im Sachverständigenrat der Bundesregierung für Wirtschaft ist und deshalb in den Medien als eine der fünf »Wirtschaftsweisen« bezeichnet wird. Sie ist der Ansicht, die von Musk ausgelöste Debatte sei »eigentlich gut, denn es ist essentiell, dass wir jetzt alle politisch werden«. Es sei nämlich richtig, »dass wir ziemlich radikale Entscheidungen brauchen, um wieder wettbewerbsfähig« zu werden.