16.01.2025
»Der Brutalist« lotet die Spannung zwischen Baukunst und Mäzenatentum aus

Die Wucht des Amerikanischen Traums

Der US-amerikanische Regisseur Brady Corbet hat mit »Der Brutalist« ein grandioses Kinomeisterwerk vorgelegt, das die Logik des Monumentalen herausfordert.

Es beginnt in der Dunkelheit im Bauch eines Schiffs. Ein nervöser Soundteppich breitet sich aus. Die Kamera folgt einer Personengruppe, die dem Tageslicht entgegen drängt. Türen öffnen sich und geben den Blick frei auf die Freiheitsstatue, die verkehrt herum in das wackelige Bild ragt.

Die Eröffnungsszene von »Der Brutalist« erzählt davon, wie der ungarisch-jüdische Architekt László Tóth (Adrian Brody) im Jahr 1947 in einem überfüllten Dampfer im New Yorker ­Hafen von Ellis Island ankommt. Als Jude und Vertreter der avantgardis­tischen Bauhaus-Schule ist er von den Nazis verfolgt und ins Konzentrationslager verschleppt worden. Er und seine Ehefrau haben den Holocaust überlebt, die Reise in die Freiheit tritt er aber allein an. Die schwerkranke Erzsébet (Felicity Jones) schlägt sich zur selben Zeit durch das Nachkriegschaos in Osteuropa.

László Tóth (Adrian Brody) und Erzsébet (Felicity Jones)

László Tóth (Adrian Brody) und Erzsébet (Felicity Jones)

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Universal Pictures

Tóth ist eine fiktive Figur, die die gebrochenen Biographien jüdischer Emigranten repräsentiert. In den USA ohne Besitz gestrandet, gezeichnet von der Hölle, der er entkommen ist, versucht er, sich in Pennsylvania eine neue Existenz aufzubauen. Chronische Schmerzen behandelt er mit Opiaten, was schnell in die Sucht führt.

Mit seiner atemberaubenden Ausstattung sowie der wunderschönen Farb- und Lichtdramaturgie wirken die Szenen wie ein analoges Fest, das die aseptischen Computerwelten, die das Blockbuster-Kino seit Jahren so langweilig machen, vergessen lässt. 

Zufällig gerät an den wohlhabenden Industriellen Harrison Lee Van Buren (Guy Pearce), der Tóths Arbeit zunächst geringschätzt. Van Burens Sohn Harry überrascht seinen Vater mit dem Plan, eine Bibliothek von Tóth umbauen zu lassen, doch der Senior lehnt die Dienste des Architekten ab. Als er dann aber von Tóths Ruhm in Europa erfährt, beauftragt Van Buren ihn damit, zu Ehren seiner verstorbenen Mutter ein Institut zu errichten, das aus einer Bibliothek, einer Sporthalle, einem Auditorium und einer Kapelle besteht.

Große Pläne. Auf dem Anwesen des ­Oligarchen in Pennsylvania soll ein Denkmal für Van Burens verstorbene Mutter entstehen

Große Pläne. Auf dem Anwesen des ­Oligarchen in Pennsylvania soll ein Denkmal für Van Burens verstorbene Mutter entstehen 
 

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Universal Pictures

Das Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem ­visionären Architekten und seinem Mäzen ist vom Fleck weg unangenehm. Van Buren, reich, gönnerhaft, streng protestantisch, erfüllt das ­Klischee eines Industrie-Tycoons, der sich gerne mit europäischer Kultur umgibt. Dem philanthropischen Habitus zum Trotz ist er Narzisst, Reaktionär und Antisemit.

Eine epische Geschichte von Aufstieg und Fall

Bei einem Dinner erfährt Tóth, dass er mit Van Burens Hilfe auch Erzsébet und deren Nichte Zsófia in die USA holen kann. Damit endet der erste Teil des Films, und nach einem Intermezzo beginnt Teil zwei mit der Ankunft der beiden Frauen. Bis dahin schickt sich das gut dreieinhalbstündige Epos an, eine geradli­nige, epische Geschichte von Aufstieg und Fall zu erzählen, ähnlich etwa Paul Thomas Andersons »There Will Be Blood« (2007) oder auch Sergio Leones »Es war einmal in Amerika« (1984). Kritische Deutungen des ­Mythos vom American Dream sind im US-amerikanischen Autoren­kino nicht neu und sie feiern zudem gegenwärtig unter den Fanfaren der zweiten Staffel der Horrorclown-Präsidentschaft ein Comeback, beispielsweise in Ali Abbasis Trump-Biopic »The Apprentice«.

In der zweiten Hälfte ist »Der Brutalist« aber weniger absehbar und kompromissloser. Das betrifft sowohl die Zuspitzung des Konflikts zwischen dem Künstler und seinem Mäzen als auch den radikalen Ein­bezug von Architektur in die Film­ästhetik. Ohne den erzählerischen Griff zu verlieren, verhandelt »Der Brutalist« die großen Themen Religion und Kapital, Trauma und Liebe, Drogensucht und Besessenheit sowie den Antisemitismus als eine Art bürgerliche Basisideologie. Dagegen setzt der Film eine Geschichte jüdischer Selbstbehauptung.

In einem Interview erzählte der Regisseur Corbet, er habe ein »1950er-Melodrama« mit »opernhaften Ex­tremen« machen wollen, in dem der American Dream scheitere. Sein Vorgängerfilm »Vox Lux« (2018) hatte dies bereits mit einer düsteren Vision des US-Starkults vorbereitet; mit »Der Brutalist« geht es nun an den Nukleus des American-Dream-Versprechens: die Immigration in ein Reich der Freiheit.

Ungeheurer Augenschmaus

»Der Brutalist« ist ein ungeheurer Augenschmaus. Das zeigt sich schon in der Wahl des selten verwendeten 70-Millimeter-Analogformats, das längst nicht mehr alle Kinos abspielen können, weswegen nur einige Spielstätten die Originalversion zeigen. Mit seiner atemberaubenden Ausstattung sowie der wunderschönen Farb- und Lichtdramaturgie wirken die Szenen wie ein analoges Fest, das die aseptischen Computerwelten, die das Blockbuster-Kino seit Jahren so langweilig machen, vergessen lässt. Die körnigen Bilder wollen sich in die Filmgeschichte einschreiben.

Der verspielte und die Bildebene perfekt unter Strom setzende Score des britischen Komponisten Daniel Blumberg verstärkt diesen Eindruck. Kaum zu glauben ist, dass das Budget des Films lediglich zehn Millionen Dollar betrug, wie der Regisseur in Interviews betont. Trotz eines Hangs zum Pathos baut »Der Brutalist« nicht auf bombastische Inszenierung, sondern auf Nähe und Präzi­sion, was sich im Einfangen von Gesichtern, Räumen und Gegenständen zeigt.

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Universal Pictures

Corbets Umgang mit dem Material bedient dabei keinen Retro-Ästhe­tizismus, sondern ist über den Stoff vermittelt: die Auseinandersetzung mit der Architektur der Moderne von der Bauhaus-Schule zum Brutalismus, der das rohe, unbearbeitete Material in den Mittelpunkt stellt. Ähnlich wie das Bauhaus aus der Erschütterung des Ersten Weltkriegs entstand, ist der Brutalismus eine Reaktion auf den Zweiten Weltkrieg. Entwerfen, Gestalten, Bauen ziehen sich als Motive durch den Film. Der Fokus auf das noch im Bau befindliche »bewegte« Material bildet einen smarten Kontrast zum fertigen Monument als einem vollendeten Symbol kollektiver Mythenbildung.

Antimonumentale Aneignung des Monumentalen

Diese Mythen – hier vorrangig der American Dream – wenden sich in »Der Brutalist« gegen sich selbst. Ganz direkt und wuchtig versinnbildlicht dies die verkehrte Freiheits­statue am Beginn des Films, zudem wiederholt es sich am Ende, wenn lange Kamerafahrten Tóths brutalistisches Kulturzentrum einfangen und dabei ein auf dem Kopf stehendes Kreuz ins Bild kommt. Tóth wird zuletzt eine gänzlich eigene Aneignung des Monumentalen reali­sieren, die gewissermaßen antimonumental ist, und damit dem modernistischen Erbe von Bauhaus die Treue halten.

Kühne Träume am Zeichentisch. László ist ­besessen von der brutalistischen Architektur mit ihren klaren Linien und kantigen Formen

Kühne Träume am Zeichentisch. László ist ­besessen von der brutalistischen Architektur mit ihren klaren Linien und kantigen Formen

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Universal Pictures

Eine Schlüsselszene des Films, die den Vorrang des Materials vor dem Monument allegorisch inszeniert, hat ihren Schauplatz in den Marmorsteinbrüchen von Carrara. Tóth und Van Buren besuchen den Ort im italienischen Gebirge. Ein alter Freund Tóths führt die Besucher durch das imposante Abbaugebiet. Zwar ist dies ein Schauplatz der Extraktion, also der Ausbeutung von Natur, ­zugleich aber auch ein Labyrinth, in dem sich das entwerfende Subjekt der schieren Unbezwingbarkeit des Materials gegenübersieht.

In den Bildern von Carrara, den Schatten- und Lichtspielen an den Marmorwänden, hallt auch eine Metareflexion auf das Kino als das »Höhlenhaus der Träume« nach, wie es die Psychoanalytikerin Mechthild Zeul beschrieben hat. 

Carrara wird in atemberaubenden Aufnahmen als Ort der Wahrhaftigkeit inszeniert. Der Mäzen, der in den gigantischen Marmorhöhlen nur wie eine winzige Gestalt wirkt, zeigt endgültig sein wahres Gesicht: das eines Tyrannen, der den Künstler besitzen will und nicht bloß dessen Arbeit.

In den Bildern von Carrara, den Schatten- und Lichtspielen an den Marmorwänden, hallt auch eine Metareflexion auf das Kino als das »Höhlenhaus der Träume« nach, wie es die Psychoanalytikerin Mechthild Zeul beschrieben hat. Nach den Auszeichnungen bei den Filmfestspielen in Venedig und den Golden Globes dürfen sich Regisseur Brady Corbet und sein Hauptdarsteller Adrian Brody völlig zu Recht Hoffnungen auf den Oscar für ihr Ausnahmewerk machen.

Der Brutalist (USA 2024). Drehbuch: Brady Corbet und Mona Fastvold. Regie: Brady Corbet. Darsteller: Adrien Brody, Felicity Jones, Guy Pearce, Joe Alwyn, Raffey ­Cassidy, Stacy Martin, Isaach de ­Bankolé, Alessandro Nivola. 

Filmstart: 30. Januar