23.01.2025
Isolde Vogel, Rechtsextremismusexpertin, im Gespräch über die Gründe für den Wahlerfolg der FPÖ

»Durch die ›Corona­proteste‹ hat die FPÖ neue Leute erreicht«

Bei der Nationalratswahl im September wurde die rechtspopulistische Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) mit 28 Prozent stärkste Partei, in den jüngsten Umfragen erhält sie sogar bis zu 39 Prozent. Die »Jungle World« sprach mit der Rechtsextremismusexpertin Isolde Vogel über die Entwicklung der FPÖ und die Gründe für ihre derzeitige Stärke.

Die FPÖ wurde in den fünfziger Jahren von ehemaligen Nationalsozialisten gegründet. Welche ideologischen Strömungen gibt es in ihr heute?
In der FPÖ als Partei der »Ehemaligen«, die sich nie wirklich von der NS-Vergangenheit distanziert hat, existiert neben einem neoliberalen Flügel seit jeher ein deutschnational-rechtsextremer. Das spiegelt sich in der hohen Zahl an Burschenschaftlern in der Partei wider, von denen einige deutschnational ausgerichtet sind.

Die Partei gibt sich israelfreundlich. Spielt Antisemitismus noch eine Rolle in der FPÖ?
Zunächst einmal ist es wichtig zu betonen, dass sich Antisemitismus nicht nur im Verhalten gegenüber Israel bemessen lässt. Das Verhältnis der FPÖ zu Israel ist strategisch motiviert – gerade auch seit dem 7. Oktober 2023. Äußerungen werden mit größtem Bedacht gewählt. Offiziell bekennt man sich zum Staat Israel, doch hat Herbert Kickl beispielsweise angekündigt, dass unter seiner Ägide keine israelische Fahne als Zeichen der Solidarität am Kanzleramt gehisst werde.

»Herbert Kickl hat bereits angekündigt, dass unter seiner Ägide keine israelische Fahne als Zeichen der Solidarität am Kanzleramt gehisst werde.«

Historisch gibt es bei der FPÖ jedenfalls eine Verbindung zu völkischer und antisemitischer Ideologie, die etwa im Bekenntnis zur »deutschen Volks- und Kulturgemeinschaft« im Parteiprogramm Ausdruck findet. Zudem kann man einen impliziten Antisemitismus in zahlreichen »Einzelfällen« feststellen, von den Holocaust verharmlosenden Äußerungen bis zu strukturell antisemitischen Verschwörungserzählungen. Die Partei inszeniert sich über antielitäre und Anti-Establishment-Positionen und behauptet, mit der »Corona-Diktatur« und der Weltgesundheitsorganisation aufräumen zu wollen. Implizit werden antisemitische Mythen von der Weltbeherrschung durch bestimmte Eliten, den »Globalisten«, genährt. Antisemitismus sieht man nur bei anderen und spricht vom »importierten Antisemitismus«, für den Muslim:innen und Migrant:innen verantwortlich seien.

Ist die Bejahung Israels bei der FPÖ eher ein Nebenprodukt des Rassismus gegen Muslime?
So klar ist die FPÖ in ihrer Positionierung nicht, es gibt in der Partei auch Personen, die den 7. Oktober als einen »Ausbruchsversuch« und als Aufstand gegen den Westen deuten. Antisemitismus wird jedenfalls selten als offener Judenhass geäußert, sondern in Verschwörungserzählungen wie jener des »großen Austauschs«. Laut dieser Erzählung arbeitet eine Elite daran, die ursprüngliche Bevölkerung durch Zugewanderte zu ersetzen. Die FPÖ greift regelmäßig auf dieses Bild zurück. Zugleich ist es auch in der österreichischen Bevölkerung verbreitet. Eine aktuelle repräsentative Umfrage des DÖW, das Rechtsex­tremismus-Barometer, zeigt, dass 47 Prozent glauben, sie würden durch Zugewanderte ersetzt, 23 Prozent meinen sogar, dahinter stünden politische Eliten, die die Bevölkerung austauschen wollen.

Wie vernetzt ist die FPÖ international? Mit wem kann sie besonders gut, mit wem hat sie Differenzen?
Bei Wahlen nutzt die FPÖ eine scharfe Anti-EU-Rhetorik, gleichzeitig besteht eine Vernetzung mit anderen rechten Parteien auf EU-Ebene. Zur AfD gibt es eine starke inhaltliche Verbindung. Beide Parteien inszenieren sich als Vertreterinnen des Protests gegen das Esta­blishment und die EU und benutzen dieselben Begriffe, von »Klimaterror« bis »Genderwahn«. Bei den sogenannten Bauernprotesten haben beide Parteien behauptet, dass man die heimische Landwirtschaft vor der vermeintlich elitären Wissenschaft und der »linksgrünen« Idee des Klimaschutzes bewahren müsse.

Wie steht es um die Verbindung nach Ungarn? Droht Österreich eine »Orbánisierung«?
Hier gibt es einen regen Austausch. Eine der ersten Amtshandlungen von Nationalratspräsident Walter Rosenkranz (FPÖ) war es, den ungarischen Präsidenten Viktor Orbán in Wien zu empfangen. Innerhalb der europäischen Rechten besteht kein Konsens bezüglich des Ukraine-Krieges, aber die FPÖ lehnt wie Orbáns Partei Fidesz die finanzielle und militärische Unterstützung der Ukraine ab. Beide Parteien sehen in Wolodymyr Selenskyj geradezu ein Feindbild. Das trennt sie klar von den Fratelli d’Italia von Giorgia Meloni. Und auch Marine Le Pen und ihr Rassemblement national distanzieren sich im Gegensatz zur FPÖ von Begriffen wie »Remigration« und haben sich deutlich von der AfD abgegrenzt.

Wie verwoben sind die Burschenschaften und die Identitäre Bewegung mit der Partei?
Burschenschaften sind seit jeher fester Bestandteil der Partei, personell sowie ideologisch in ihrer deutschnationalen Ausrichtung. Zu den sogenannten Identitären gibt es inhaltlich starke Verbindungen. Herbert Kickl bezieht sich positiv auf den zunächst von den Identitären propagierten Begriff der »Remigration« und bezeichnete die Identitären schon vor ein paar Jahren als bloße »NGO von rechts«. Die Hürden zu direkter Kooperation sind in den letzten Jahren abgebaut worden. Die FPÖ-Nachwuchsorganisation Freiheitliche Jugend unterscheidet sich inhaltlich, semantisch und von ihrem Auftreten her kaum von den Identitären. Auch ein paar personelle Überschneidungen sind vorhanden. Dennoch reserviert man sich in der Partei die Möglichkeit zur Distanzierung, etwa wenn Aktionen der Identitären strafrechtlich relevant sind.

»Es wird auffallend wenig darüber gesprochen, dass rechtsextreme Einstellungen offensichtlich tief in der österreichischen Bevölkerung verankert sind.«

Hatte auch die Covid-19-Pandemie mit dem jüngsten Wahlerfolg der FPÖ zu tun? War die Pandemie ein Glücksfall für die Partei?
Die FPÖ hat während der Covid-19-Pandemie eine Strategiewende vollzogen, sie hat sich das Thema angeeignet und sich die Proteste gegen Pandemieschutzmaßnahmen und die Impfung zunutze gemacht. Durch die sogenannten Coronaproteste konnte die FPÖ neue Leute erreichen. Auch wenn man nicht alle Beteiligten dieser Proteste als rechtsex­trem einstufen kann, stieg aufgrund ihrer Aktivitäten die gesellschaftliche Zustimmung zu rechtsextremem, völkischem und sozialdarwinistischem Gedankengut. Wie sehr die FPÖ davon profitierte, zeigt sich auch darin, dass sie das Thema weiterhin bearbeitet. Im vergangenen EU-Wahlkampf sprach man vom »Corona-Chaos«, forderte eine »Aufarbeitung« der Pandemiejahre und sogar einen »Entschädigungsfonds« für »Coronaopfer«, was begrifflich an den Entschädigungsfonds für die Opfer der Nationalsozialisten erinnert.

Wie verfolgen Sie die Debatte über eine blau-schwarze Regierung mit Kickl als Kanzler?
Mir fehlt vor allem die Diskussion darüber, dass die FPÖ von fast 29 Prozent der Wählerinnen und Wähler gewählt wurde. Es gibt jetzt Kritik an möglichen Koalitionsformaten, an den Parteien, an Herbert Kickl – aber es wird auffallend wenig darüber gesprochen, wie stark rechtsextreme Einstellungen in der österreichischen Bevölkerung verankert sind. Das Problem ist also nicht nur eine blaue Regierungsbeteiligung, vielmehr sollte man sich die Frage stellen, warum so viele Menschen kein Problem mit völkischen, autoritären, demokratiefeindlichen, antisemitischen, rassistischen und antiziganistischen Positionen haben.