50 Jahre ohne Franco
Granada. »Alles ist gut verschnürt hinterlassen, alles gut verschnürt.« So kündigte der faschistische Diktator Francisco Franco Bahamonde 1969 in seiner alljährlichen Weihnachtsansprache an, für das Fortbestehen des Faschismus nach seinem Tod Vorsorge getroffen zu haben. Sechs Jahre später verstarb er.
Das Aufschnüren in Form erinnerungspolitischer Aufarbeitung begann nicht etwa zögerlich und zaghaft, sondern lange Zeit gar nicht. Mit der Generalamnestie von 1977 sollte der Blick ausschließlich in die Zukunft gerichtet und über die Vergangenheit geschwiegen werden. Erst in den vergangenen Jahren wurden von staatlicher Seite erste erinnerungspolitische Initiativen ergriffen. Anlässlich des 50. Todestags des Diktators hat die spanische Regierung unter dem Motto »50 Jahre in Freiheit« nun gleich ein ganzes Gedenkjahr ausgerufen.
Die linke Minderheitsregierung des Ministerpräsidenten Pedro Sánchez vom sozialdemokratischen Partido Socialista Obrero Español (PSOE) zelebriert mit einem prallgefüllten Terminkalender Spaniens Rückkehr zur Demokratie, die mit dem Tod Francos 1975 begann und 1977 zur ersten Parlamentswahl führte. Eine eigens für die Gedenkfeierlichkeiten eingesetzte Kommission ist für die Organisation von über 100 Veranstaltungen – Universitätskongressen, Ausstellungen, Buchveröffentlichungen und Filmvorführungen – im ganzen Land verantwortlich.
»Die Differenzen der großen Parteien in der Erinnerungskultur sind bei weitem nicht so groß, wie die Show um das Gedenkjahr einen glauben lassen mag.« Emilio Silva Barrera, Verein zur Wiederherstellung des historischen Gedächtnisses
Doch an der Reaktion der rechten Opposition zeigt sich, wie weit die Widerstände gegen eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit in die Gegenwart reichen. Die rechtsextreme Partei Vox schnaubte und nannte das Gedenkjahr einen Akt »absurder Nekrophilie«. In einem Manifest des konservativen Partido Popular (PP), das von 80 Politikern und Intellektuellen unterzeichnet wurde, ist von Boykottaufrufen gegen »all diese Hexensabbate« zu lesen. Vor allem wird den Veranstaltern vorgeworfen, mit dem Gedenkjahr Zwietracht in der spanischen Gesellschaft zu schüren.
Bei der Auftaktveranstaltung am 8. Januar im großen Museum für Gegenwartskunst, dem Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía in Madrid, versuchte die Regierung Einigkeit zu demonstrieren. Fast alle Minister:innen sowie hochrangige PSOE-Politiker aus allen Landesteilen waren anwesend.
»Man muss nicht links oder rechts sein, um mit Angst und Traurigkeit auf die düsteren Jahre der Diktatur zurückzublicken und zu fürchten, dass sich dieser Rückschritt wiederholt. Es reicht, Demokrat zu sein«, appellierte Sánchez an das Publikum – und wohl an den durch Abwesenheit glänzenden Oppositionsführer Alberto Núñez Feijóo und seinen PP.
Auch von der politischen Linken gibt es Kritik
An die wachsende Wählerschaft – vornehmlich junge Männer – der rechtsextremen Partei Vox gerichtet, fügte Sánchez hinzu: »Wer heute ›ein einziges Spanien‹ groß und frei!« (Wahl- und Wappenspruch des Franquismus), einfordere, der vergesse, »dass jenes Spanien 1970 ein Wrack war, isoliert von der Außenwelt und nach Freiheit hungernd«.
Nicht nur sämtliche Vertreter von Vox und PP blieben der Auftaktveranstaltung fern. Selbst König Felipe VI., der Sohn des noch von Franco 1975 zum Staatsoberhaupt ernannten Königs Juan Carlos I., war nicht anwesend – aus »terminlichen Gründen«, wie das Königshaus angab.
Doch auch von der politischen Linken gibt es Kritik. Der linke Koalitionspartner des PSOE, Podemos, kritisierte das Gedenken als »Schminke«. Schließlich werde für eine wirkliche Aufarbeitung der Diktatur noch wenig getan, beispielsweise sei der von Podemos ins Parlament eingebrachte Gesetzesentwurf zur Aufarbeitung des Systems der »bebés robados« (geraubten Kleinkinder) immer noch nicht verabschiedet worden.
Der PSOE versicherte zwar seine Unterstützung, wollte den Antrag aber nicht unterzeichnen, seitdem stockt das Verfahren. Zwischen 1936 und 1975 ließ das Regime schätzungsweise 300.000 Kinder von Oppositionellen und ledigen Müttern entführen und zur Adoption freigeben. Hauptkollaborateur des Kinderraubs, der zum Teil sogar bis in die achtziger Jahre fortdauerte, war die katholische Kirche.
Die Profiteure werden nicht angetastet
Auch Emilio Silva Barrera, Gründer des Vereins zur Wiederherstellung des historischen Gedächtnisses, kritisiert den PSOE und dessen Selbstinszenierung als Vertreter einer kritischen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. »Die Differenzen der großen Parteien in der Erinnerungskultur sind bei weitem nicht so groß, wie die Show um das Gedenkjahr einen glauben lassen mag«, sagt er im Gespräch mit der Jungle World. Denn, so fährt er fort, beim Wesentlichen – den Pakt der Übergangsphase aus der Diktatur so zu belassen, wie er ist – würden sie übereinstimmen. Dies bedeute, dass die Verbrechen der Diktatur allesamt juristisch ungesühnt bleiben und die Profiteure – von der katholischen Kirche, dem Hauptkollaborateur der Diktatur, bis zum großen Industriekapital, das von der Zwangsarbeit der republikanischen Kriegsgefangenen profitierte – würden nicht angetastet.
»Was wir das Jahr über sehen werden, wird stattdessen eine permanente Würdigung der wegweisenden Persönlichkeiten der Übergangsphase zur Demokratie sein«, ist Silva Barrera überzeugt. Zu diesen gehört der ehemalige König Juan Carlos I., dessen Foto die Startseite des Webauftritts der Gedenkkampagne »50 Jahre in Freiheit« ziert. Dabei wird geflissentlich unterschlagen, dass Juan Carlos I. ein Zögling Francos war und den Diktator während seiner Herrschaft zweimal interimsmäßig vertrat.
Silva Bandera feiert dieses Jahr ein eigenes Jubiläum, das 25jährige Bestehen des Vereins zur Wiederherstellung des historischen Gedächtnisses. Begonnen hatte die Arbeit des Vereins mit einer Exhumierung im Herbst 2000. Es war die erste dieser Art, bei der ein Massengrab aus dem Bürgerkrieg geöffnet wurde, um sterbliche Überreste der Opfer der faschistischen Putschisten zu bergen.
Im Straßenbild Spaniens ist die Diktatur noch vielfach präsent, über 6.000 Straßen sind landesweit nach faschistischen Regimegrößen benannt, in der Franco-Zeit errichtete Siegesdenkmäler, wie der Arco de la Victoria in Madrid, ragen in den Himmel.
Seit 2022 wird mit dem Gesetz zur demokratischen Erinnerung die Bergung der Überreste der Opfer forciert und staatlich finanziert. Dennoch befinden sich immer noch die Relikte von Zehntausenden der 114.000 namentlich bekannten Opfer in Massengräbern. Und im Straßenbild Spaniens ist die Diktatur noch vielfach präsent, über 6.000 Straßen sind landesweit nach faschistischen Regimegrößen benannt, in der Franco-Zeit errichtete Siegesdenkmäler, wie der Arco de la Victoria in Madrid, ragen in den Himmel.
Diejenigen, so scheint es derzeit, die die Erinnerungsarbeit initiiert und zum Großteil geleistet haben, Vereine wie der Silva Barreras, regionale und lokale Initiativen, anarchosyndikalistische Gewerkschaften wie die CNT-AIT oder die CGT und linke respektive nationalistisch-separatistische Parteien aus Katalonien, dem Baskenland und Galizien sind zu den Regierungsfestspielen der »Freiheit« nicht geladen.