»Chemnitz als Problemhauptstadt«

»Du bleibst hier, Hase«. Karl-Marx-Monument, Spitzname »Nischl«, des sowjetischen Künstlers Lew Kerbel in Chemnitz
Nach den rassistischen Ausschreitungen in Chemnitz von 2018 haben Sie den Text »Sieben Thesen zur urbanen Krise in Chemnitz« verfasst. Darin sprechen Sie von einer Chemnitzer Eigenart. Worin besteht die?
In Chemnitz gibt es einen alten Spruch, der manchen auch heute noch oft auf den Lippen liegt: »In Chemnitz wird produziert, in Leipzig wird damit gehandelt und in Dresden wird es ausgegeben.« Hier wird eine Arbeitsteilung markiert, aber auch ein Moment von Zurücksetzung. Der Spruch transportiert die Idee, dass in Chemnitz der Wert geschaffen wird, der aber erst anderswo sichtbar wird. Man könnte sagen, den Chemnitzerinnen, den Produzierenden, wird etwas vorenthalten.
Diese Affekthaltung der Chemnitzer, dass sie sich ungesehen fühlen und sich um den gerechten Anteil betrogen wähnen, ist Teil dieser Eigenheit. Was auch darin steckt, ist eine Art Produzentenstolz, also das Selbstbild der Chemnitzerin, am Ort der Produktion zu sein, zu schaffen, zu machen (Anm. d. Red).
Welche Anknüpfungspunkte hat dieser Produzentenstolz heute noch?
Der Stolz auf das Produzieren war lange Teil der Chemnitzer Identität, Chemnitz mit seinen qualmenden Schornsteinen galt in der Hochindustrialisierung als das »sächsische Manchester«. Mit dem industriellen Strukturbruch nach 1989 verloren die Lebensformen der Arbeiter ihren realen Bezugspunkt. Der Produzentenstolz ist eine Art geisterhaftes Nachleben dieser Vergangenheit. Die Stadt verlor in den Neunzigern auch Zehntausende Einwohner. Dieses Verlassenwerden führt bis heute zu einem tiefen Misstrauen gegen Veränderungen und neue Entwicklungen.
»Der Produzentenstolz ist eine Art geisterhaftes Nachleben der Vergangenheit.«
Noch kein Abonnement?
Um diesen Inhalt zu lesen, wird ein Online-Abo benötigt::